ANDREA SPIEGEL: Also direktive Führung muss man erst loswerden, auch bei sich selber sollte man vielleicht darauf achten, wie man das bisher die letzten 30 Jahre gemacht hat. Was ich damit ansprechen möchte ist vielmehr das System generell, damit sind die ganzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeint, die man auch darauf polt. Gerade die, die zum Beispiel aus dem Konzern kommen und zum Mittelstand wechseln, sind es gewohnt eine Anweisung zu bekommen, diese umzusetzen und nicht zu hinterfragen, ob das jetzt wichtig ist oder nicht. Laut meines Verständnisses, möchte man gleichzeitig nach einen Transformationsprozess erreichen, dass Mitarbeiter sich beteiligen, sie dabei sind und mitgehen und Ideen einbringen, so wie du es vorhin beschrieben hast. Ich möchte sie nicht abhängen, sondern ich möchte sie mitnehmen.
Inwiefern spielt das für die Mitarbeiter eine Rolle und wie erreicht man das?
TOM KLEIN: Es kommen hauptsächlich Kunden aus mittelständischen Konzernen und ganz häufig kommen sie zu mir mit der Frage, Herr Klein, wie können wir eine Kultur der Freiheit und Verantwortung und eine Kultur, in der Initiativen getrieben werden, aus der Mannschaft heraus erzeugen. Dann ahne ich schon, was kommt, weil ich sage, es ist nicht Ihr Problem.
Ich garantiere Ihnen, das ist nicht Ihr Problem. Wir können ein paar ganz einfache Dinge machen und Sie bekommen so viel Dynamik und Partizipation in der Firma, dass Ihnen das droht, um die Ohren zu fliegen. Das ist eine wirkliche Gefahr. Es ist ganz einfach, Partizipation zu ermöglichen, aber es ist ganz schwer, die Dynamik, die da entsteht, in einem alten Sinn zu managen oder zu kontrollieren.
Ich hatte zum Beispiel eine Anfrage von einer Sparkassenversicherung und die haben nach einem Transformationsprojekt angefragt. Die waren schon ein bisschen dafür, was das bedeuten könnte, sensibilisiert und haben mir schon ein paar Probleme signalisiert. Zum Beispiel, dass sie junge Menschen kaum anwerben können und wenn, dann gehen sie auch sehr schnell wieder.
Ich stellte dann nur eine Frage und sagte, wie sieht Ihr Compliance-Prozess aus?
Daraufhin zuckten die zusammen und sagten Zehn Augen Prinzip.
ANDREA SPIEGEL: Zehn Augen?
TOM KLEIN: Ja, das heißt, fünf Menschen mussten so gut wie jede Entscheidung unterschreiben.
Ich habe gesagt, hier haben Sie Ihre Antwort. Was mir das sagt, ist, dass kein Mensch irgendwas selbstständig in der Firma bewegen kann und selbst eine Versicherung braucht eine solche Compliance nicht. Sie können völlige Sicherheit ganz anders herstellen. Das heißt, die erste Voraussetzung dafür, dass Sie Partizipation bekommen, also Beteiligung bekommen, ist, dass Sie bestimmte Kontrollmechanismen lösen, dass Sie sie rausnehmen.
Ihre Antwort war, das können wir nicht und dann habe ich den Auftrag nicht bekommen.
Da bin ich sehr dankbar dafür, weil in dem Kontext dieser Art von Kontrolle hätte ich auch gar nichts machen können.
ANDREA SPIEGEL: Das heißt, es ist vielleicht eine Herausforderung für die obere Führungsriege Kontrolle loszulassen.
TOM KLEIN: Ich bin in einer Psychologie geschult, die nicht problemorientiert ist.
Es sind zwei Varianten, die eine heißt Somatic Experiencing, da habe ich eine klinische Ausbildung drin. Das zweite heißt Neuro-Effective Relational Model. Das ist eine Kombination Bottom-Up, Top-Down. Beide sind nicht auf Probleme ausgerichtet, sondern auf Vitalität.
Die Grundfrage bei der einen Methode ist, wie viel Vitalität hält der Körper aus? Das Problem ist nicht sein Problem, weil das Problem, den Deckel anzuheben, ist relativ leicht. Sondern wenn ein körperliches System gelernt hat, sich sehr, sehr einzuschränken, sich sehr zu kontrollieren, sich klein zu machen, unauffällig zu sein, dann ist die größte Herausforderung für dieses System, Freiheit, Energie und Kraft zu bekommen.
Wenn man bestimmte Probleme löst und bestimmte Ressourcen hinzufügt, dann bekommt das System mehr Vitalität. Dann bekommen Menschen Angst. Wo immer viel Kontrolle ist, ist auch Angst. Das kann man fast eins zu eins sagen. Wenn ich ein System erlebe, indem ganz viele Kontrollmechanismen stecken, dann ist es, weil die Führungskräfte und auch viele Mitarbeiter alles dafür tun, das Risiko, was vielleicht entstehen könnte, zu eliminieren, damit sie bloß keinen Fehler machen und keine Schuld haben.
ANDREA SPIEGEL: Das kann ich als kleiner Perfektionist ein bisschen nachvollziehen.
TOM KLEIN: Ja. Wenn man jetzt aber diesen Menschen oder in diesem System gewisse Kontrollmechanismen lockert, dann fällt das Steuern des Systems zurück auf die Verantwortung der Menschen. Dann fängt man an, Menschen wie erwachsene Menschen zu behandeln, die Verantwortung übernehmen und Gutes daraus machen. Das heißt nicht, dass jeder macht, was er will, weil man hat immer noch einen Governance-Rahmen, Ziele und man weiß, wo die Reise hingehen soll. Man kann auch Leistungen messen. Das ist alles überhaupt kein Problem.
Aber man nimmt Kontrollen raus und erst dann spüren die Menschen, dass es auf sie fällt.
ANDREA SPIEGEL: Und dass man sie fragt.
TOM KLEIN: Dass man sie fragt, dass sie es managen müssen, ob es gut oder schlecht läuft und von ihnen abhängt. Damit muss man erst mal lernen, umzugehen.
ANDREA SPIEGEL: Aber es ist eine tolle Möglichkeit zu lernen, Freiheit für sich selbst zu schätzen oder für sich nutzen zu können. Das finde ich sehr spannend.
TOM KLEIN: Absolut, ja.
ANDREA SPIEGEL: Toller Input, vielen Dank.