#56 Digitale Transformation mit Tom Klein

Podcast Industrie 4.0 | Der Expertentalk für den Mittelstand

Der Digitalisierung ausweichen oder sie doch lieber als Chance begreifen? In Folge #56 unseres Podcast, spricht Andrea Spiegel mit Tom Klein, selbstständiger Führungskräfte-Coach und Organisationsentwickler, darüber wie die digitale Transformation ganzheitlich gelingt.

Braucht es dafür Change Management oder doch unternehmensweite Transformation? Worin besteht eigentlich der Unterschied? Und wie lange dauert eine echte Unternehmenstransformation?

Kritisch beleuchten wir mit Tom verschiedene Transformationsmodelle und beschäftigen uns auch mit der Frage, wie Führungskräfte die Transformation sinnvoll begleiten können. Wichtigstes Stichwort: Partizipation auf allen Ebenen…

Das Transkript zur Podcast-Folge: Digitale Transformation

ANDREA SPIEGEL: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Industrie 4.0, der Expertentalk für den Mittelstand. Im Podcast sprechen wir oft über Industrie 4.0, Digitalisierung oder über die digitale Transformation von Geschäftsprozessen. Dabei betonen wir regelmäßig, dass diese Themen auch heute im deutschen Mittelstand noch lange nicht ausreichend umgesetzt sind und wir uns wünschen, dass hier mehr Fortschritte erzielt werden. Gleichzeitig geht es jedoch nicht nur um die Digitalisierung von Lager, Produktion, Service oder Logistikprozessen, sondern da hängt am Ende auch immer noch ein ganzes Unternehmen daran.

Wie man diese Transformation im ganzen Unternehmen umsetzen kann, wie das funktionieren kann, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Tätigkeiten dafür erforderlich sind, das schauen wir uns heute an. Dafür habe ich wie immer einen spannenden Gast eingeladen. Bei mir ist Tom Klein. Er ist selbstständiger Führungskräftecoach und Organisationsentwickler. Vielleicht gibt es auch noch mehr was du machst, Tom. Auf deiner Website findet man so viel über dich. Deswegen schön, dass du heute da bst.

TOM KLEIN: Hi Andrea, es freut mich hier zu sein.

ANDREA SPIEGEL: Wie immer an der Stelle nochmal kurz für euch alle da draußen der Hinweis, auch die Folge gibt es wieder als Video bei YouTube zu sehen.

Falls ihr den Tom und mich in Persona sehen wollt, dann schaut da gerne vorbei.

ANDREA SPIEGEL: Tom, könntest du uns ein wenig über dich erzählen? Was machst du den ganzen Tag als Coach und Organisationsentwickler? Welche Fähigkeiten benötigt man dafür?

TOM KLEIN: Mein Tätigkeitsfeld als Coach und Organisationsentwickler ist sehr vielseitig. Aber zuerst ein paar Worte zu meiner Person. Ich bin ein Deutsch-Kanadier, in Kanada geboren und aufgewachsen und habe die ersten 29 Jahre meines Lebens dort verbracht.

Nach meiner Universitätszeit, in der ich zehn Jahre lang Psychologie und Politik studiert habe, bin ich nach Deutschland gekommen, um mein Studium abzuschließen und bin selbstständig geworden. Ich habe überlegt, ob ich hier in Deutschland, im Land meiner Eltern, bleiben möchte. Die Antwort war ja. Dann stellte sich die Frage, was ich beruflich machen wollte. Ich hatte keine Lust, Professor zu werden, und so überlegte ich, was meine Stärken sind. Ich merkte, dass ich gut mit Menschen kommunizieren kann und Systeme gut analysieren kann – das war schon immer eine meiner Fähigkeiten. Zudem habe ich festgestellt, dass ich ein guter Lehrer bin.

Dann ergab es sich zufällig, dass ich den Job als Coach, Berater und Transformation Coach gefunden habe – und das ist es, was ich heute mache.

ANDREA SPIEGEL: Das klingt sehr spannend. Ich glaube, wir werden heute bestimmt eine Menge von dir lernen.

ANDREA SPIEGEL: Zu Beginn stellen wir gerne eine kleine, etwas verrückte Frage, die nicht tiefer hinterfragt werden muss, um mehr über dich zu erfahren. Für dich habe ich heute die Frage mitgebracht, wenn du ein Tier wärst, welches wärst du und warum?

TOM KLEIN: Oh, ein Adler.

ANDREA SPIEGEL: Warum ein Adler?

TOM KLEIN: Ganz klar. Ich habe schon immer einen Adlerhorst bewohnt. Das heißt, immer wenn wir eine Wohnung gesucht haben, war eine Maßgabe von mir, dass da Ausblick sein muss. Es sollte in der frischen Luft sein. Ich finde, in der Enge der Stadt ist es spannend, aber ich liebe es, diesen Ausblick zu haben. Ich war der jüngste Fallschirmspringer im Bundesland Ontario und bin mit zwölf zum ersten Mal gesprungen. Ich habe daher schon immer einen Hang zur Luft gehabt und ich liebe es, auf Berggipfel zu stehen, nach einem längeren Aufstieg, und einfach in die Stille zu gehen und die Weite zu genießen. Wenn ich Flügel hätte, würde das, glaube ich, zu mir passen.

ANDREA SPIEGEL: Das klingt so gut. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Vielen Dank für diesen kleinen Einblick.

ANDREA SPIEGEL: Dann wollen wir uns mit dem Thema Transformation genauer beschäftigen. Im Podcast haben wir das Thema digitale Transformation oft vertreten, aber jetzt möchte ich gerne mit dir tiefer in dieses Thema Transformation eintauchen.

Ich habe mir zur Vorbereitung ein bisschen gefährliches Halbwissen angelesen, das ich gemeinsam mit dir ein wenig aufarbeiten möchte und dazu Fragen klären möchte. Was mir als Erstes aufgefallen ist, dass oft die Begriffe Transformation und Change Management verwendet werden, manchmal wird auch der Synonym verwendet. Allerdings scheint es teilweise fundamentale Unterschiede zwischen den beiden zu geben.

Ich habe erkannt, dass jede Transformation auch ein Change ist, aber nicht jeder Change eine echte Transformation. Das fand ich spannend. Kannst du uns allen erklären, was genau damit gemeint ist oder welche Unterschiede es gibt?

TOM KLEIN: Tatsächlich werden die Begriffe oft abwechselnd verwendet und das mache ich auch oft im täglichen Sprachgebrauch. Beispielsweise bilde ich Change Agents aus, obwohl sie Transformationsarbeit leisten. Aber wir wollen uns nicht zu sehr auf die genauen Worte versteifen. In der Systemtheorie bedeutet Change meistens eine Veränderung im bestehenden System. Transformation hingegen heißt, das System an sich zu verändern. Das heißt, Change bewegt sich im Rahmen des Vorhandenen, während Transformation eine Metaebene erreicht und den Kontext verändert.

ANDREA SPIEGEL: Perfekt erklärt. Ich glaube, das kann man super nachvollziehen.

ANDREA SPIEGEL: Was zeichnet denn deiner Meinung nach Transformation darüber hinaus aus?

TOM KLEIN: Einer meiner Lehrer auf YouTube war vor etwa 10 bis 15 Jahren Peter Kruse. Er sprach über Prozessmusterwechsel und Transformation findet immer dann statt, wenn wir einen Prozessmusterwechsel vollziehen. Das bedeutet, dass wir von einem Muster, in dem wir unser Gleichgewicht haben und in dem wir uns bewegen, zu einem komplett neuen Muster übergehen müssen. Dieser Übergang erfordert viel Kraft, Zeit und Energie. Es gibt Elemente davon, die sehr schnell und leicht passieren können, aber wenn wir über Systeme sprechen, dauert das meistens ein bisschen länger.

ANDREA SPIEGEL: Zu dem Zeitpunkt hätte ich noch eine Frage. Vielleicht schieben wir die jetzt ein. Ich hatte die eigentlich für später vorgesehen, aber vielleicht passt sie auch jetzt gut. Wenn ich eine Transformation in meinem Unternehmen anstoße, kann man sagen, dass man nach einem Jahr bereits gut unterwegs ist oder ist das wirklich komplett individuell von Unternehmen zu Unternehmen? Hast du da Erfahrungswerte?

TOM KLEIN: Ja, im Laufe der Jahre habe ich viele Change-Projekte gemacht und in diesen früheren Change-Projekten haben wir oft festgestellt, dass drei Jahre ein guter Zeitraum ist. Wir haben früher Prozess-Reengineering gemacht, wo wir jetzt eine Produktion komplett umgestellt haben, zum Beispiel im Sinne einer Lean-Transformation mit Shopfloor und Vernetzung und Teil- oder Gruppenarbeit. Es hat meistens drei Jahre gedauert, bis alles wirklich implementiert war.

ANDREA SPIEGEL: Okay, aber das ist schon schön. Einen solchen Richtwert hätte ich jetzt überhaupt nicht erwartet, aber das finde ich sehr spannend. Vielen Dank.

ANDREA SPIEGEL: Auch auf die Gefahr hin, dass wir jetzt die ganze Folge mit der nächsten Frage spoilern, würde mich interessieren, was in deinen Augen echte Transformation für ein Unternehmen bedeutet? Welche Konsequenzen hat das?

TOM KLEIN: Eine echte Transformation bedeutet, dass wir die gewohnten Governance-Modelle und Führungshandlungen verlassen. Wir stellen grundsätzlich Dinge in Frage, zum Beispiel, wie viel Führung brauchen wir überhaupt noch? Im klassischen Sinn braucht man nicht mehr so viel.

Wir gehen so an die Grundfesten der bestehenden Organisation. Das geschieht nicht, weil wir Spaß am Chaos haben oder um Dinge umwerfen zu wollen, sondern weil wir müssen. Ein Beispiel dafür ist die Digitalisierung, die prinzipiell nicht in den Führungsmustern und Organisationsstrukturen der alten Welt funktioniert. Teilweise kann es noch funktionieren, aber es geht mit riesen Reibungsverlust einher. Man kann sich grundsätzlich auf eine digitale Wirtschaft umstellen, aber das ist eine Transformation.

ANDREA SPIEGEL: Okay, du hast gerade schon ein bisschen über die verschiedenen Menschen gesprochen, also die Führungskräfte, Mitarbeiter, Kunden und Zulieferer, je nachdem in welcher Branche man ist. Was passiert durch die Transformation mit diesen Beziehungen zwischen den Menschen?

TOM KLEIN: Für einen Teil der Menschen ist das eine totale Befreiung. Es gibt eine Gruppe von Menschen in Firmen, die schon immer gesagt haben, dass die Art, so wie wir es machen, verschwenderisch, unsinnig, willkürlich oder autoritär ist. Sie sagen, endlich können wir so arbeiten, wie es Sinn macht.

Dann gibt es vielleicht ein Drittel, ich sage immer so ein Drittel, Drittel, Drittel, das offen dafür ist, mit geht und es lernen will. Die wollen mitgenommen werden und machen es auch gerne.

Dann gibt es noch ein Drittel, das Angst hat, blockiert und nicht einsieht, dass diese Veränderungen notwendig sind. Sie sagen, dafür sind wir nicht eingestellt worden, das ist nicht unser Job.

All diese Haltungen sind zu respektieren und legitim. Aber in der Transformation gibt es auch tatsächliche Umwälzungen, das heißt, es kann sein, dass man sich von ein paar Mitarbeitern trennen muss.

ANDREA SPIEGEL: Du meinst also nicht unbedingt, dass die Leute sagen, ich möchte nicht mehr hier arbeiten, sondern eher, dass sie feststellen, vielleicht passe ich nicht mehr hierhin. Das kann auch passieren.

TOM KLEIN: Ja, das zeigt sich ganz stark, wenn jemand ein Jobangebot bekommt und man ihm sagt, hey, das ist ein toller Job, zumindest aus unserer Sicht, wir bieten es dir an und wollen dich behalten. Du bekommst Training und Coaching. Aber die Person lehnt ab und sagt, nein, grundsätzlich nicht. Das ist nicht die Art, wie ich arbeiten will. Dann ist das in Ordnung, aber dann muss man Entscheidungen treffen.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt habe ich es vorhin schon ein bisschen angeteasert, wir wollen heute die Transformation verstehen lernen, auch ein bisschen die Mechanismen dahinter oder die Strukturen, die da auch ein Stück weit wieder hinter dem Prozess stehen.

Wie gesagt, ich habe schon angedeutet, dass ich mir gefährliches Halbwissen angelesen habe. Ich habe mich ein bisschen schlau gemacht und bin auf das Zwiebelmodell oder Dimensionsmodell von Wilfried Krüger gestoßen. Ich weiß nicht, ob dir das was sagt.

TOM KLEIN: Ich glaube, ich habe davon gehört, aber ich kenne es nicht im Detail.

ANDREA SPIEGEL: Dann würde ich jetzt kurz erläutern, worum es da geht und dann würde ich da gerne mit dir einsteigen. Er sagt im Prinzip, dass die Transformation aus vier Elementen oder vier Schichten besteht und die innerste Schicht ist auch der Kern, deswegen auch Zwiebel.

Der innerste Teil der Zwiebel stellt das Thema Werte und Überzeugungen dar. Er hat das auch als Soft Facts bezeichnet.

Dann gibt es noch eine Schicht drumherum, die zweite Dimension, die auch noch mal Soft Facts enthält, nämlich Fähigkeiten und das Verhalten. Das wären die beiden inneren Schichten.

Dann kommt die dritte Dimension, die Strategie. Das wären dann die Hard Facts.

Dann noch die äußerste Dimension ist die Dimension von Strukturen, Prozessen und Systemen.

Das fand ich interessant, dass er das in diese vier Dimensionen oder Bereiche einteilt.

Er sagt zudem, dass Transformation von der Dimension drei und vier all das ist, was an der Oberfläche stattfindet. Das hat dann damit zu tun, dass man sagt, wir machen den Shopfloor nicht mehr mit Excel-Tabellen, sondern wir haben jetzt beispielsweise ein digitales Board. Oder alle Daten kommen automatisiert irgendwie bei uns an. Alles, was an der Oberfläche stattfindet.

Echte Transformation entsteht aber erst dann, wenn ich anfange, an Dimension zwei und eins zu kratzen, also wirklich am Kern innen drin. Wäre das etwas, wo du mir zustimmen kannst? Und wie kratze ich am Kern?

TOM KLEIN: Nein, da stimme ich nicht zu. Es gibt ganz viele Modelle, die eine bestimmte Richtung einschlagen. Ich bin sehr stark von der Komplexitätstheorie geprägt. In der Komplexitätstheorie gibt es keine Richtungen, sondern es gibt Konstellationspunkte, Attraktoren und Verhaltensmuster, es gibt alles Mögliche. Ich gebe dir ein paar Beispiele von den Ansätzen, die von der einen oder der anderen Seite kommen. Zum Beispiel arbeite ich manchmal mit einer ganz, ganz tollen Kooperationsfirma zusammen, die aus etwa 120 Psychologen besteht. Der Chef ist zutiefst davon überzeugt, dass man zuerst die innere Einstellung verändern muss und dann kann alles andere folgen. Das ist richtig. Es deckt sich mit meiner Erfahrung, dass wenn wir auf einer tiefen inneren Einstellung, also auf der Glaubensebene, etwas verändern, dass alles, was daraus hervorgeht, die oberflächlicheren Sachen beeinflusst.

Jetzt ist es aber so, gleichzeitig war in meiner Erfahrung, dass Menschen extrem stark von ihrem Umfeld geprägt werden. Es ist nicht exklusiv. Ich mache ein Beispiel, also ich bin ein leidenschaftlicher Twitterer. Das hat Elon Musk Twitter übernommen. Ein Mensch, von dem ich sehr viel lerne, ist der Sam Harris. Brillanter Intellektueller. Sam Harris hat gerade einen Podcast veröffentlicht, in dem er erklärt, warum er Twitter verlassen hat. Er hat Twitter verlassen, weil ihn die Interaktionen auf Twitter zu einem schlechteren Menschen gemacht haben. Seine innere Einstellung ist klar. Seine Werte sind klar. Aber beim Versuch, bei dem teils hoch angriffslustigen und verschwörungstheoretisch getriebenen Social-Media-Kontext, seine Mitte zu halten, klar zu bleiben und anständiger bei Menschen einzugehen, hat er gemerkt, dass er mitgerissen wird von diesem System und seine Einstellung überhaupt nicht halten kann. Er fing an, Gefühle zu haben, Menschen zu hassen und zu bewerten, wo er sagt, das bin ich gar nicht. Das heißt, ich glaube es stimmt, dass wenn wir in der Einstellung eine Transformation erleben, dass wir tatsächlich vieles im Verhalten und in Strukturen damit sehr leicht dann weiterbewegen können.

ANDREA SPIEGEL: Auf jeden Fall.

TOM KLEIN: Aber unsere Einstellung und unser Selbstbild wird massiv geprägt von dem System, in dem wir sind. Es kann genauso legitim sein zu sagen, wir verändern den Rahmen, um zu sehen, was das mit den Menschen macht. So kriegen wir oft viel, viel stärkere und viel leichtere Veränderungen auf der Haltungsebene wenn das System verändert wird. Da würde jetzt mein Kollege, der diese Firma mit den Psychologen hat, vehement dagegen argumentieren. Aber das ist nicht meine Erfahrung. Beides ist gültig.

ANDREA SPIEGEL: Wie würdest du es beschreiben, wie fange ich nun an, das System zu verändern? Das geht für mich noch ein bisschen in Richtung Umsetzung. Arbeitet man da zuerst am Verhalten, an den Werten oder am System als solchem? Wie und wo fängt man da an?

Tom Klein: Mein Lieblingsweg im Moment ist Story Capture, so nennt man das. Das heißt, wir gehen in die Firma rein und wir sammeln Anekdoten zu der alltäglichen Erfahrung der Menschen in der Firma. Das machen wir auf eine spezielle Weise. Wir fragen nicht, wie gut ist die Führung in der Firma von eins bis zehn, sondern wir sagen, erzählt eure Erlebnisse. Das heißt, wir gehen wirklich Bottom-up aus der Erfahrung.

Was wir dann machen, ist die Menschen zu bitten, diese Geschichten, die sie erzählen, zu bewerten.

Wir geben ihnen Bewertungsmuster, anhand derer sie sagen können, was die Geschichte für sie bedeutet. Dann gehen wir hin, entweder mit Führungskräften oder mit einem Change Team und wir lesen diese Geschichten und wir schauen uns die Muster, die in den Geschichten stecken, an.

Wir schauen uns an, wo es negative Geschichten gibt. Die nennt man Attraktoren, das ist in der Komplexitätstheorie. Dann schauen wir uns an, welche Attraktoren es gibt im System. Also welche Attraktoren sind negativ, welche sind konstruktiv, welche zahlen auf eine strategische Richtung, die wir gehen wollen, ein und welche arbeiten dagegen. Dann überlegen wir uns, wie wir bestimmte Attraktoren ressourcieren können und wie wir andere platt machen können.

ANDREA SPIEGEL: Wie verhinderst du, dass man schon framet mit den Fragen, die man an die Geschichten stellt? Es könnte sein, dass du Attraktoren verlierst oder nicht beachtest, weil du gerade andere Fragen an die Geschichten stellst. Du hast gesagt, ihr habt Diaden.

TOM KLEIN: Was wir dann machen, ist, wir spiegeln das über Handlungen zurück in das System. Das heißt, wenn wir gewisse Muster erkennen, gewisse Attraktoren und wir überlegen uns, was machen wir damit? Das machen wir auch in Rücksprache mit den Menschen, die die Geschichten erzählt haben. Und wir sagen, ist dieses Muster tatsächlich das, worum es euch geht?

Der Beleg dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind, ist immer, dass wir die Menschen fragen.

Wenn die Menschen sagen, ja, in unserer Erfahrung ist das tatsächlich so, dann sagen wir, okay, jetzt würden wir gerne Folgendes machen, um das im System zu verändern.

Die Menschen erleben dann, wie das gemacht wird, und können aufatmen, weil es dem System besser geht, das heißt, das System ist freier, vitaler, kreativer und die Menschen sind motivierter. Wenn ich immer Messkriterien benutzen will, dann wissen wir, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber wenn wir etwas machen, wo das ganze System sagt, oh Gott, warum habt ihr das denn so gemacht? Das macht gar keinen Sinn. Dann wissen wir aber sofort, ups, falsch interpretiert, dann müssen wir was anderes machen.

ANDREA SPIEGEL: Okay.

ANDREA SPIEGEL: Was mache ich, wenn ich in der Geschichte jetzt ein Muster erkenne? Das interessiert mich einerseits, wie erkennt man ein Muster? Was kann als Muster gelten? Vielleicht könntest du uns dazu ein Beispiel geben.

TOM KLEIN: Ganz einfache Muster. Es könnte sein, dass Menschen sich von gewissen Prozessen blockiert oder bevormundet fühlen. Das bedeutet, dass die Prozesse eine übermäßige Kontrolle ausüben oder sogar eine irrationale Richtung einschlagen. Das behindert das Geschäft.

Durch die Stories finden wir heraus, dass bestimmte Prozesse leistungshinderlich sind, und dann ergreifen wir Maßnahmen bezüglich dieser Prozesse.

Es könnte sein, dass hatte ich vor kurzem in der Firma, dass Zynismus vorhanden ist und ein extremes Misstrauen im System besteht. Das wäre eher auf der Einstellungs- oder Gefühlsebene.

Dann hören wir ganz viele Geschichten, wir sammeln viele von diesen, in denen man den Verlautbarungen der Führung oder den Absichten der Kollegen grundsätzlich misstraut.

Dann müssen wir uns überlegen, wie wir Misstrauen behandeln können.

ANDREA SPIEGEL: Wie behandeln wir Misstrauen? Das würde mich auch interessieren.

TOM KLEIN: Man kann zum Beispiel im Buch von Stephen Covey schauen, “The Speed of Trust”.

Dort gibt es Listen mit vielen Verhaltensweisen, die das Vertrauen fördern.

Ebenso gibt es Verhaltensweisen, die eindeutig das Vertrauen zerstören.

Wir meiden die, die Vertrauen zerstören und setzen die um, die Vertrauen aufbauen.

Das wäre eine Variante. Allerdings gibt es, in diesem Thema System, Dinge, die das System unbeabsichtigt macht und die Vertrauen zerstören. Zum Beispiel wird jede Innovationsidee vom System so zermalmt, dass hinterher nichts davon übrig bleibt. Das heißt, das System hinterlässt bei mir die Erfahrung, dass ich nichts bewirken kann. Wenn diese Erfahrungen von den Personen, die diese Geschichten erzählen, mit Vertrauen verbunden werden und sie deshalb weniger Vertrauen haben, weil ihre Versuche, sich einzubringen, vom System zermürbt werden, dann muss man systemische Veränderungen vornehmen. Es ist dann keine Absicht der Person, sondern die negative Wirkung eines Prozesses.

ANDREA SPIEGEL: Ich verstehe.

ANDREA SPIEGEL: Ich fand das ganz spannend. Ich habe mich natürlich auch über das Thema Umsetzung ein bisschen informiert. Wie macht man so etwas? Wie fängt man so einen Transformationsprozess an? Da gab es unter anderem auch so eine Einteilung in vier Stufen, die nicht abschließbar sind. Die sind immer fließend. Das war ganz interessant. Der erste Punkt war das Thema Reframing. Da würde ich gerne darauf eingehen, was deine Meinung dazu ist, wie das funktionieren kann. Was heißt Reframing und was bewirkt man damit?

TOM KLEIN: Framing beschreibt den Umstand, dass Fakten keine Bedeutung haben. Fakten bekommen ihre Bedeutung vom Kontext. Den Kontext stellt man in der Literatur häufig wie einen Bilderrahmen dar. Daher kommt das Wort Framing. Das heißt, wir verstehen Fakten immer im Kontext gewisser Rahmen und diese Rahmen sind manchmal mehr oder weniger produktiv. Das ist etwas, was ich im Coaching auch viel verwende. Das ist eine Basistechnik im Coaching. Viele Menschen machen sich unglücklich, weil sie die Umstände ihres Lebens auf eine bestimmte Weise deuten. Das heißt, sie framen ihre Erfahrungen so, dass die Erfahrung für sie negativ ist. Ein Teil einer guten Therapie oder eines Coachings kann sein, dass man seine Erfahrungen, die man oft nicht ändern kann, anders framet, um damit anders umzugehen und es anders zu erleben. Die gute Nachricht daran ist, dass so wie wir die Welt erleben, hat mit der Welt wenig zu tun, sondern mit der Art, wie wir der Welt begegnen.

ANDREA SPIEGEL: Auch mit unserer Wahrnehmung.

TOM KLEIN: Wir können unsere Wahrnehmung steuern.

ANDREA SPIEGEL: Verrückt.

TOM KLEIN: Ja, wir können sie steuern. Change-Prozesse oder auch Transformationsprozesse gehen immer mit Framing oder Reframing einher. Das heißt, eine bestimmte Art zu arbeiten wird in einen bestimmten Kontext gestellt und dieser Kontext hat eine negative Bedeutung. Jetzt kann man sich die Frage stellen, muss eine bestimmte Art von Arbeit so geframet werden? Die Antwort ist meistens nein. Dann kann man sich die Frage stellen, was sind produktivere Frames, die genauso real sind und genauso die Wirklichkeit beschreiben wie die anderen Frames, die aber einen anderen Blickwinkel auf diese Fakten geben. Das ist Reframing. Man wird daher immer in Change- oder Transformationsprozessen zu Erkenntnissen kommen, ah, wir können die Dinge statt so, eher so verstehen, weil das hilfreich ist und uns gefällt. Dann machen wir das.

ANDREA SPIEGEL: Verrückt.

TOM KLEIN: Ja.

ANDREA SPIEGEL: Wenn es doch immer so einfach wäre.

TOM KLEIN: Ja, mir hat ein Mentor erzählt, 95 Prozent der Zeit des Umgangs mit Bedeutungsgebung ist das Verstehen des Problems. Fünf Prozent ist die Transformation. Das heißt, wenn man einmal an dem Punkt ist, wo man verstanden hat, worum es geht und wo man Konsens darüber hat, dass man etwas verändern will, dann ist die Intervention ganz kurz. Das ist häufig ein ganz kleiner Hebel, ein kleines Reframing, ein anderer Blickwinkel, eine Handlung, eine Erkenntnis. Das geht blitzschnell. Deshalb finde ich, dass Transformation auch nicht schwer ist.

ANDREA SPIEGEL: Ja, der Wille zur Veränderung muss größer sein als der Widerstand dagegen. Dann geht’s los.

TOM KLEIN: Ja und man kann sogar so weit gehen, dass man den Widerstand in Motivation umframet, dass die Person das…

ANDREA SPIEGEL: …als Herausforderung sieht?

TOM KLEIN: Ja, so ein klassischer Frame, das ist kein Problem. Das ist eine Herausforderung. Das klingt erstmal platt und oberflächlich, aber manchmal ist es so einfach.

ANDREA SPIEGEL: Manchmal hilft es schon.

Ist das dann etwas, was man vor allem mit den Führungskräften, mit dem Management oder der Geschäftsführung macht oder macht man das mit allen Mitarbeitern? Wen muss ich in ein Reframing mit einbeziehen?

TOM KLEIN: Je nachdem. Wenn wir die Geschichtenlandschaft haben und wir da reinschauen, dann kann es sein, dass Führungskräfte ein Engpass sind. Das kann ein Verhaltensmuster, ein Rollenverständnis oder eine hierarchische Aufhängung bei den Führungskräften sein, wo man sagt, dass hält uns zurück. Dann könnte man dort intervenieren. Es könnte sein, dass wir ein Kommunikationsthema auf einer Mitarbeiterebene in der Produktion haben. Zum Beispiel, dass die Mitarbeiter durch einen Vorarbeiter befähigt werden, anstatt selber gewisse Dinge zu managen.

Vielleicht kommt man zu der Erkenntnis, dass eine Selbststeuerung über Shopfloor effizienter wäre und auch mehr Spaß machen würde. Dann sagt man, okay, machen wir dort eine Intervention.

ANDREA SPIEGEL: Aber das klingt bei dir so, dass man das einfach erkennt, was zu tun ist und dann macht man es, als wäre es überhaupt kein Problem. Aber wie gelangt man denn zu dieser Erkenntnis? Wer kommt zu dieser Erkenntnis? Wer ist der Treiber solcher Veränderungen? Ist es die Führungsebene? Wer initiiert diese Prozesse und wer treibt sie voran? Möglicherweise sind es auch zwei verschiedene Parteien. Wie funktioniert das?

TOM KLEIN: Ich glaube, wenn man so lange in diesem Bereich tätig ist wie ich, macht man sich keine großen Sorgen mehr darüber. Man ist dann im Hier und Jetzt. Man geht hin, nimmt wahr, wie das System ist und wie die Menschen sind und dann sieht man es. Aber es ist kein Hexenwerk. Es ist wirklich so offensichtlich. Manchmal werde ich von einem CEO beauftragt, einen Prozess zu machen, der dann top down anfängt. Manchmal gehe ich in die Produktionsreihe oder in die Administration und führe kleinere Veränderungen auf operativer Ebene durch, die anschließend von der oberen Führungsebene wahrgenommen werden. Dann sagen diese, das brauchen wir breiter, daraufhin wird das Bottom-up getrieben. Veränderungsimpulse können von verschiedenen Seiten kommen: von Beratern, von Führungskräften oder von Mitarbeitern. Jedes System ist anders.

ANDREA SPIEGEL: Ist von außen Hilfe notwendig? Du bist zum Beispiel jemand, der in diese Prozesse hineingeht und sie unterstützt, vielleicht mit anleitet und moderiert. Ist das immer zwingend erforderlich oder kann man es auch allein schaffen? Oder ist es nicht ratsam?

TOM KLEIN: Es geht alles im Leben. Ich habe Firmen erlebt, die unglaublich viel aus sich heraus gemacht haben. Ich kenne eine wunderbare kleine IT-Beratung, mit etwa 100 Mitarbeitern in der Karlsruher Gegend. Der Chef ist ein Inspirator und Kommunikator und hat eine Wertewelt der agilen Arbeit und autonomen Gruppen. Er braucht kaum Berater, denn er treibt dies mit einem Team von Menschen selber voran, die den alten Kern dieser Firma bilden. Gleichzeitig holt er sich ganz viele Leute auf Townhalls rein, die extra Impulse geben, um Dinge frisch zu halten. Das ist die eine Variante, die eher bei kleineren Firmen geht.

Die andere Variante ist, dass ein großes bestehendes System oder ein Mensch, der in sich selbst steckt, sich nicht von außen sehen können. Viele Dinge, die gemacht werden müssen, brauchen einen externen Impuls und einen externen Spiegel. Das hier ist meine Existenzberechtigung.

ANDREA SPIEGEL: Auf jeden Fall, deshalb frage ich nach.

TOM KLEIN: Ja, ganz häufig braucht man jemanden von außen im Coaching, der den Raum hält, damit man loslassen und seinen eigenen Prozess durchlaufen kann und man einen Spiegel bekommt.

In Firmen kommt es häufig vor, dass die Interessen der Menschen in der Firma im alten System festgefahren sind.

Man kann einen Menschen nicht bitten, seine eigene Arbeitsstelle abzuschaffen. In extrem reifen Organisationen, wo die Sicherheit anders gegeben ist, mag das möglich sein. Doch in klassischen Organisationen bedarf es oft eines Beraters von außen, um solche Veränderungen anzustoßen.

ANDREA SPIEGEL: Sehr gut.

ANDREA SPIEGEL: Das heißt, wir haben jetzt über das Reframing gesprochen und einen Startpunkt gefunden, wer auch immer damit begonnen hat.

Wir haben damit begonnen und könnten als nächstes zum Restructuring, welches in dieser Theorie vorkommt, übergehen. Das bedeutet, dass wir neue Strukturen aufbauen oder? Was ist damit gemeint?

TOM KLEIN: Genau, das wäre wieder ein systemischer Ansatz. Es wäre eher der klassische Ansatz von McKinsey oder Roland Berger. Das bedeutet, sie werden von außen vom CEO beauftragt, die unangenehmen Aufgaben zu übernehmen, die er von innen aus verschiedenen Gründen nicht erledigen möchte. Dabei liefern sie die Rechtfertigung dafür mit ihren Analysen und dann strukturiert man um. Allerdings erlebt man dabei oft, dass sich dadurch nichts Wesentliches verändert. Es mag eine teurere Umstrukturierung nach der anderen geben, man spart dabei manchmal Kosten und beruhigt die Banken, aber es ist meistens keine Transformation.

Es kann jedoch auch vorkommen, dass man von innen heraus bemerkt, dass bestimmte Strukturen die gewünschte Arbeitsweise behindern. In diesem Fall hat man aber den Anlass, die Struktur aus dem Arbeitsprozess heraus anzupassen und dann macht das auch sehr viel Sinn. Aber dir von außen geleiteten Umstrukturierungen haben meistens sehr kurze Beine.

ANDREA SPIEGEL: Okay, aber das bedeutet, wenn ich von innen heraus aktiv werde und Erfolg damit habe, könnte es zum Beispiel sein, je nachdem was für ein Unternehmen man hat, dass ich dadurch wirtschaftlich erfolgreicher bin. Vielleicht habe ich irgendetwas gut umstrukturiert, Geld eingespart oder verdiene auf einmal mehr, weil ich zum Beispiel meinen Logistikprozess optimiert habe und jetzt alles schneller läuft. Das könnte mich dann dazu verleiten zu sagen, cool, ich bin fertig mit der Transformation, jetzt habe ich etwas erreicht. Ich kann wieder mehr Geld verdienen und vielleicht sogar neue Mitarbeiter einstellen. Ist es deiner Meinung nach damit getan?

TOM KLEIN: Ja, das ist glaube ich, auch keine Transformation, sondern ein Change. Es bedeutet, dass ich ein bestehendes System habe und darin Veränderungen vorgenommen habe, wie die Optimierung des Logistikprozesses. Das ist ein Change innerhalb des bestehenden Systems. Dabei wurden jedoch lange nicht die Rollen der Menschen, sowie ihre geistige Einstellung und das Governance-System der Führung, verändert, man hat die Führung nicht in Frage gestellt. Es wurden lediglich die Prozesse in der Logistik verändert, was vollkommen okay ist und manchmal genau das Richtige ist was man braucht, aber dennoch keine Transformation darstellt.

ANDREA SPIEGEL: Das heißt, der nächste Schritt in dieser Theorie ist Revitalizing, spricht man das so aus?

TOM KLEIN: Ja, Revitalizing.

ANDREA SPIEGEL: Was heißt das und was ist damit gemeint?

TOM KLEIN: Ah, ich ahne schon, wo diese Kategorien herkommen. Das mutet wie ein Top-Down-Prozess an.

Das heißt, es gäbe ein Reframing von der obersten Ebene also man schafft manchmal eine Burning-Plattform. Man soll die Mannschaft, also die Leute, motivieren, dass es hier um die Existenz geht.

ANDREA SPIEGEL: Seid doch mal gut drauf.

Macht doch jetzt Transformation.

TOM KLEIN: Könnte sein, ja. Dann treibt man sie nach vorne. Das geht ganz stark von der oberen Führung oder von einem Sanierungsmanager aus. Dann strukturiert man um, weil man vermeintlich von oben Ineffizienzen gesehen hat, die schon längst hätten gemacht werden müssen.

Manchmal stimmt das auch und es ist ganz heilsam, eine Private Equity reinzubekommen, die sagt, hey Leute, als Führung habt ihr lange irgendwo nicht hingeschaut, wir machen das jetzt. Das ist auch richtig so.

ANDREA SPIEGEL: Es ist auf jeden Fall schön, wenn man da dann erfolgreich ist.

TOM KLEIN: Ja, und dann zu Revitalizing, das impliziert, dass die Mannschaft am Boden ist. Dass man wahrscheinlich in Kauf nimmt, dass man das selber verursacht hat und man jetzt mit den neuen Strukturen, mit dem Reframing dann Motivation entfachen möchte. Super, wenn es funktioniert, aber meistens ist dem nicht so. Aber ich verstehe den Gedanken dahinter, dass dann so machen zu müssen.

ANDREA SPIEGEL: Ich fand diesen Übergang von den top-down getriebenen, oder ihrer direktiven Verteilung von Aufgaben oder direktivem Führungsstil, hin zu einer Partizipation, spannend. Egal ob andere dieses Konstrukt nun spannend finden oder nicht. Meiner Meinung nach, ein ganz spannender Ansatz, denn so verstehe ich durchaus auch den Transformationsprozess in einem Unternehmen. Oder ist das ein falscher Gedanke? Also von direktiv hin zu partizipativ.

TOM KLEIN: Ich glaube ich habe im Laufe der Jahre vier bis fünf Private-Equity-Prozesse gemacht. Dabei habe ich zweimal brutale Heuschrecken begleitet und zweimal langfristig denkende Aufbauende. Beim fünften bin ich gerade mittendrin, da weiß ich es noch nicht.

Anders als viele schätze ich Private-Equity sehr. Sie sind manchmal die einzige Rettung für eine Firma. Wobei ich unter anderem die negative Variante, die Ausbeuterische, erlebt habe. Die gibt es auch. Wenn eine Private-Equity reinkommt und einen Sanierungsmanager einsetzt, dann ist es meistens deshalb, weil die Banken das verlangen. Die sagen, wenn wir die Firma noch finanzieren wollen, dann brauchen wir ein paar ordentliche Einschnitte, also Management-Entscheidungen, die die Überlebensfähigkeit der Firma sichern werden. Ich habe ein paar Private-Equity-Manager erlebt, die das brillant gemacht haben. Wirklich brillant. Die haben einfach die klaren, harten Entscheidungen getroffen, die notwendig waren. Die haben die Firma gesünder dann hinterher dastehen lassen. Dann habe ich jedoch bei einem Fall erlebt, wie ein Riesenfehler gemacht wurde. Dieser sehr autokratische, sehr, sehr guter Sanierungsmanager ist dann geblieben und sollte den Aufbau der Firma machen. Der verstand Partizipation aber nicht.

ANDREA SPIEGEL: Ja, er ist auch für was anderes eigentlich geholt worden.

TOM KLEIN: So ist es. Der trifft Entscheidungen und berät auch nur wenig. Die leben oft in dem Duktus, ich bin der Meister, ich weiß, wo es lang geht, von mir hängt es ab. In dieser Phase stimmt das auch meistens. Jetzt sollte er aber was aufbauen und er konnte nicht loslassen. Das war eine Katastrophe. Das heißt, von direktivem zu partizipativen Verhalten kann man meistens nur mit einem Personalwechsel kommen und das nach einer Sanierung. Aber dann stellt man die Firma wieder auf ganz andere Beine.

ANDREA SPIEGEL: Also direktive Führung muss man erst loswerden, auch bei sich selber sollte man vielleicht darauf achten, wie man das bisher die letzten 30 Jahre gemacht hat. Was ich damit ansprechen möchte ist vielmehr das System generell, damit sind die ganzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeint, die man auch darauf polt. Gerade die, die zum Beispiel aus dem Konzern kommen und zum Mittelstand wechseln, sind es gewohnt eine Anweisung zu bekommen, diese umzusetzen und nicht zu hinterfragen, ob das jetzt wichtig ist oder nicht. Laut meines Verständnisses, möchte man gleichzeitig nach einen Transformationsprozess erreichen, dass Mitarbeiter sich beteiligen, sie dabei sind und mitgehen und Ideen einbringen, so wie du es vorhin beschrieben hast. Ich möchte sie nicht abhängen, sondern ich möchte sie mitnehmen.

Inwiefern spielt das für die Mitarbeiter eine Rolle und wie erreicht man das?

TOM KLEIN: Es kommen hauptsächlich Kunden aus mittelständischen Konzernen und ganz häufig kommen sie zu mir mit der Frage, Herr Klein, wie können wir eine Kultur der Freiheit und Verantwortung und eine Kultur, in der Initiativen getrieben werden, aus der Mannschaft heraus erzeugen. Dann ahne ich schon, was kommt, weil ich sage, es ist nicht Ihr Problem.

Ich garantiere Ihnen, das ist nicht Ihr Problem. Wir können ein paar ganz einfache Dinge machen und Sie bekommen so viel Dynamik und Partizipation in der Firma, dass Ihnen das droht, um die Ohren zu fliegen. Das ist eine wirkliche Gefahr. Es ist ganz einfach, Partizipation zu ermöglichen, aber es ist ganz schwer, die Dynamik, die da entsteht, in einem alten Sinn zu managen oder zu kontrollieren.

Ich hatte zum Beispiel eine Anfrage von einer Sparkassenversicherung und die haben nach einem Transformationsprojekt angefragt. Die waren schon ein bisschen dafür, was das bedeuten könnte, sensibilisiert und haben mir schon ein paar Probleme signalisiert. Zum Beispiel, dass sie junge Menschen kaum anwerben können und wenn, dann gehen sie auch sehr schnell wieder.

Ich stellte dann nur eine Frage und sagte, wie sieht Ihr Compliance-Prozess aus?

Daraufhin zuckten die zusammen und sagten Zehn Augen Prinzip.

ANDREA SPIEGEL: Zehn Augen?

TOM KLEIN: Ja, das heißt, fünf Menschen mussten so gut wie jede Entscheidung unterschreiben.

Ich habe gesagt, hier haben Sie Ihre Antwort. Was mir das sagt, ist, dass kein Mensch irgendwas selbstständig in der Firma bewegen kann und selbst eine Versicherung braucht eine solche Compliance nicht. Sie können völlige Sicherheit ganz anders herstellen. Das heißt, die erste Voraussetzung dafür, dass Sie Partizipation bekommen, also Beteiligung bekommen, ist, dass Sie bestimmte Kontrollmechanismen lösen, dass Sie sie rausnehmen.

Ihre Antwort war, das können wir nicht und dann habe ich den Auftrag nicht bekommen.

Da bin ich sehr dankbar dafür, weil in dem Kontext dieser Art von Kontrolle hätte ich auch gar nichts machen können.

ANDREA SPIEGEL: Das heißt, es ist vielleicht eine Herausforderung für die obere Führungsriege Kontrolle loszulassen.

TOM KLEIN: Ich bin in einer Psychologie geschult, die nicht problemorientiert ist.

Es sind zwei Varianten, die eine heißt Somatic Experiencing, da habe ich eine klinische Ausbildung drin. Das zweite heißt Neuro-Effective Relational Model. Das ist eine Kombination Bottom-Up, Top-Down. Beide sind nicht auf Probleme ausgerichtet, sondern auf Vitalität.

Die Grundfrage bei der einen Methode ist, wie viel Vitalität hält der Körper aus? Das Problem ist nicht sein Problem, weil das Problem, den Deckel anzuheben, ist relativ leicht. Sondern wenn ein körperliches System gelernt hat, sich sehr, sehr einzuschränken, sich sehr zu kontrollieren, sich klein zu machen, unauffällig zu sein, dann ist die größte Herausforderung für dieses System, Freiheit, Energie und Kraft zu bekommen.

Wenn man bestimmte Probleme löst und bestimmte Ressourcen hinzufügt, dann bekommt das System mehr Vitalität. Dann bekommen Menschen Angst. Wo immer viel Kontrolle ist, ist auch Angst. Das kann man fast eins zu eins sagen. Wenn ich ein System erlebe, indem ganz viele Kontrollmechanismen stecken, dann ist es, weil die Führungskräfte und auch viele Mitarbeiter alles dafür tun, das Risiko, was vielleicht entstehen könnte, zu eliminieren, damit sie bloß keinen Fehler machen und keine Schuld haben.

ANDREA SPIEGEL: Das kann ich als kleiner Perfektionist ein bisschen nachvollziehen.

TOM KLEIN: Ja. Wenn man jetzt aber diesen Menschen oder in diesem System gewisse Kontrollmechanismen lockert, dann fällt das Steuern des Systems zurück auf die Verantwortung der Menschen. Dann fängt man an, Menschen wie erwachsene Menschen zu behandeln, die Verantwortung übernehmen und Gutes daraus machen. Das heißt nicht, dass jeder macht, was er will, weil man hat immer noch einen Governance-Rahmen, Ziele und man weiß, wo die Reise hingehen soll. Man kann auch Leistungen messen. Das ist alles überhaupt kein Problem.

Aber man nimmt Kontrollen raus und erst dann spüren die Menschen, dass es auf sie fällt.

ANDREA SPIEGEL: Und dass man sie fragt.

TOM KLEIN: Dass man sie fragt, dass sie es managen müssen, ob es gut oder schlecht läuft und von ihnen abhängt. Damit muss man erst mal lernen, umzugehen.

ANDREA SPIEGEL: Aber es ist eine tolle Möglichkeit zu lernen, Freiheit für sich selbst zu schätzen oder für sich nutzen zu können. Das finde ich sehr spannend.

TOM KLEIN: Absolut, ja.

ANDREA SPIEGEL: Toller Input, vielen Dank.

ANDREA SPIEGEL:  Vorhin hatte ich erwähnt, dass es 4 Stufen gibt, deswegen muss ich die letzte jetzt noch hinzufügen, sonst ist es für meinen inneren Monk, den ich habe, zu unvollständig. Der letzte Punkt in dieser Theorie ist das Renewing.

TOM KLEIN: Ich merke, dass ich immer mehr in Abwehr zu diesem Modell gehe.

ANDREA SPIEGEL: Ich finde es super spannend, weil ich fand es auf der einen Seite sehr interessant und auf der anderen Seite habe ich mich auch immer wieder gefragt, wieso muss es so sein?

Deswegen habe ich gedacht, ich bringe es heute mit. Ich finde, dass es eine ganz schöne Basis war.

Den Grundgedanken fand ich nicht schlecht, dass der letzte Schritt wirklich der ist, dass das ganze System versteht. Also, dass alle, die in dieser Organisation mit dabei sind, von der Führung bis zum Beispiel zur Reinigungskraft, am Ende diese neue Transformation mit leben, mitgestalten, umsetzen und für sich auch leben können. Fand ich einen schönen Gedanken. Jetzt ist die Frage, ob das der richtige Begriff dafür ist oder ob da nicht noch mehr dazugehört und wie das überhaupt gelingen kann, dass das wirklich von vorne bis hinten jeder versteht. Oder braucht es das gar nicht.

TOM KLEIN: Ich kenne die theoretischen Gedanken hinter diesem Modell nicht. Deshalb ist es vielleicht unfair, was ich sage.

Aber es wirkt auf mich wie ein Top-Down-Ansatz, der im Glauben funktioniert, dass eine obere Führung diese Dinge anstoßen, steuern und zur Vollendung bringen kann.

Dagegen arbeiten aber ein paar ganz einfache Mechanismen und zwar alles, was ich von außen verstehen und umsetzen soll, wird wahrscheinlich wenig umgesetzt. Alles, was von innen kommt, also aus der Erfahrung und was zu Erkenntnis und Lösung über mich führt, das funktioniert in der Regel. Das Modell kommt mir viel zu Top-Down vor, weil wenn ich Bottom-up anfange und das von Menschen selbst nicht voranbringen lasse, es gibt kein Lassen, sondern die Menschen nehmen es in die Hand und setzen es um…

ANDREA SPIEGEL: …bringen es automatisch voran, ja.

TOM KLEIN: Sie treiben es an. Dann haben sie es auch verstanden, weil sie erarbeiten die Lösung für die Engpässe, die sie täglich erleben und verbessern ihr Leben und auch die Ergebnisfähigkeit der Firma. Dann brauchen wir keine Renewal zu machen, sondern das ist schon da.

Die Renewal ist am Anfang.

ANDREA SPIEGEL: Super, vielen Dank.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt schaue ich auf meinen schlauen Zettel, ob ich noch irgendwas habe.

Ich habe schon wieder so viele Impulse im Kopf, Tom, dass ich hier fast einen Knopf dran machen würde. Mich würden zum Abschluss noch deine drei Tipps interessieren, wie eine Transformation gelingen kann und welche Fragen man sich vielleicht am Anfang stellen muss? Unsere Hörer sind oft Führungskräfte, die in Unternehmen sitzen und allein schon, dass sie sich die Folge heute angemacht haben, zeigt, dass da vielleicht ein Interesse besteht, Transformation zu begleiten und anzustoßen, wenn sie nicht schon im Gange ist. Was könntest du denen mitgeben? Welche Gedanken sollen sie sich machen? Oder drei Tipps, die du da für die Leute hast, die sagen, Transformation, das klingt nach etwas, wo ich was bewegen möchte. Darf auch nur einer sein, wenn du sagst, das ist das, womit ihr anfangen müsst.

TOM KLEIN: Wir Menschen sind nicht gut im intellektuellen Anstoßen von wichtigen Dingen. Wir müssen leider manchmal erst erfahren, warum es wichtig ist und durch den Schmerz gehen, dass unser altes Verhalten oder unsere alten Sichtweisen auf die Welt nicht funktionieren. Wir erleben das gerade mit dem Klima, der deutschen Bürokratie und mit der Digitalisierung.

Deutschland ist laut einer Studie auf dem vorletzten Platz in Europa, also Platz 26 von 27 in der Digitalisierung, ein Platz vor Albanien. Wie kann es sein, dass ein Hochtechnologieland, ein Bildungsland wie Deutschland sich so verfährt? Die Transformation kommt aus dieser Erfahrung. Wir leiden darunter. Wir werden die Welt, so wie sie heute wird, nicht als führende Nation meistern. Wir werden unseren Platz komplett verspielen, wenn wir nicht hier anfangen, anders zu denken und anders zu handeln. Das gilt auch für Firmen. Firmen, die glauben, sie könnten zum Beispiel der Digitalisierung ausweichen, werden es nicht schaffen, weil die Welt sich dematerialisiert.

Die Welt wird digital, sie wird virtuell. Wir werden nach wie vor Dinge produzieren, aber wenn man das nicht mit digitalem Marketing verkauft, mit digitalen Prozessen unterstützt und mit IT untermauert und so weiter, dann werden wir es nicht schaffen.

Ich glaube, dass die Erkenntnis, dass wir auf unglaublich vielen Feldern feststecken, jetzt in Deutschland ankommt und daraus der Transformationsantrieb entsteht.

Wenn ich in Kontakt bin mit dem, was mich behindert und mein Leben teilweise bedroht, dann fange ich an zu spüren, dass ich hier vielleicht ein paar grundsätzliche Dinge anders machen müsste oder alles grundsätzlich anders machen.

Daraus entsteht eine Transformation, wenn ich den Impuls greifen kann und den verfolgen kann.

Jetzt haben wir ganz viele unternehmerische Menschen, wir haben ganz viele Selbstständige, wir haben ganz viele Leute, die Transformation ihr ganzes Leben schon gemacht haben. Was ich natürlich hoffe ist, dass genügend von uns jetzt an dem Punkt der Erkenntnis sind, dass wir verstehen, was auf dem Spiel steht und was gemacht werden muss.

ANDREA SPIEGEL: Also ist Erkenntnis der erste Weg und der erste Schritt.

TOM KLEIN: Erkenntnis aus der Erfahrung kommend ist der erste Schritt.

ANDREA SPIEGEL: Erfahrungen haben wir alle, das heißt, wir haben alle die Chance zur Erkenntnis und zur Veränderung.

TOM KLEIN: Ja, und dann fällt uns Transformation leicht. Also Mensch sein heißt sich ständig zu transformieren. Du bist nicht der gleiche Mensch, der du warst mit fünf. Im besten Fall.

ANDREA SPIEGEL: Im besten Fall.

TOM KLEIN: Oder mit 20. Du bist ein ganz anderer Mensch geworden. Jede Zelle deines Körpers hat sich schon ersetzt. Trotzdem haben wir so eine Kontinuität, an der wir oft festhalten, auf einer völlig irrationalen Art und Weise. Wir müssen also alle lernen, loszulassen. Das fällt, glaube ich, Deutschen besonders schwer. Da ist ein Kontrollbedürfnis wahrscheinlich in alten Kriegserfahrungen begründet. Genau da müssen wir in den Spiegel schauen.

ANDREA SPIEGEL: Da müssen wir nochmal eine extra Folge zu den Kontrollbedürfnissen der Deutschen machen. Das wäre bestimmt auch spannend, Tom.

TOM KLEIN: Ich habe es zwar gesagt, aber das ist ein bisschen pauschal.

ANDREA SPIEGEL: Alles gut. Nein, ich finde, das ist ein sehr schönes Plädoyer, zu sagen, wir alle haben das eigentlich in uns und wir müssen es nur nach außen bringen und es angehen.

TOM KLEIN: Ja, und wir haben alle das Potenzial dazu.

Sucht euch die Gesprächspartner, die Menschen, die euch begleiten können, die Impulsgeber und macht euch auf den Weg. So wie ein spanischer Dichter sagt, der Weg entsteht durch das Gehen.

Wir fangen mit dem ersten Schritt an und dann geht es los.

ANDREA SPIEGEL: Da möchte ich nichts mehr hinzufügen. Vielen Dank, Tom, dass du heute da warst. Hat mir großen Spaß gemacht.

TOM KLEIN: Sehr gerne, Andrea.

ANDREA SPIEGEL: An euch da draußen der Hinweis, wenn ihr gerne mit dem Tom zusammenarbeiten möchtet, dann meldet euch gerne bei ihm. Wir verlinken seine Seite und alles bei uns in den Show Notes oder in der Videobeschreibung auf YouTube. Da könnt ihr natürlich auf jeden Fall Kontakt aufnehmen. Ansonsten findet man dich, glaube ich, auch auf LinkedIn. Nutzt da gerne die Kanäle, falls ihr noch Fragen habt.

Ansonsten dürft ihr uns auch gerne über die Website schreiben oder ihr schreibt es in die Kommentare, wenn ihr noch Fragen zum Thema habt oder Ideen für weitere Folgen. Meldet euch bei uns. Wir freuen uns über euren Input.

Vielen Dank nochmal an dich, Tom. Hat mir Spaß gemacht.

TOM KLEIN: Danke dir, Andrea.

ANDREA SPIEGEL: Und dann bis zum nächsten Mal.

Macht’s gut. Ciao.

Welche Idee steckt hinter der Multikommissionierung in der Lagerlogistik?

„Die Idee bei der Multikommissionierung ist auch da, eben solche Leerfahrten, Leerwege, egal ob jemand läuft oder eben fährt, zu vermeiden.“

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