ANDREA SPIEGEL: Wie stelle ich denn überhaupt fest, dass ich Bedarf für Biohacking habe oder dass meine Umwelt mir nicht gut tut? Weil ich kenne ja nur die Situation, in der ich bin, und wenn die für mich erst mal nicht grauenvoll schlimm ist oder es keinen Anlass gibt, etwas zu verändern, wie erkenne ich denn, ob es mir gut geht oder nicht? Woher weiß ich, was normal für mich ist und was nicht?
ALEXANDER METZLER: Ja, also da gibt es das Gefühl im Inneren, dem man zuhören und das man spüren darf. Das ist eine wichtige Disziplin: die Signale, die Körper und Geist senden, auch richtig zu interpretieren und überhaupt erst einmal wahrzunehmen, dass sie da sind und sie nicht einfach wegzuschieben.
ANDREA SPIEGEL: Was wäre denn so ein Signal vom Körper?
ALEXANDER METZLER: Ein körperliches Signal ist zum Beispiel dauerhaft schlechter Schlaf. Wenn ich dauerhaft schlecht schlafe, im Sinne von: ich habe eigentlich quantitativ genug geschlafen, sagen wir siebeneinhalb oder acht Stunden, und ich wache morgens auf und fühle mich wie gerädert, dann stimmt irgendwas nicht, und zwar mit der Qualität des Schlafs. Dann ist irgendwas nicht richtig, weil eigentlich hatten die Zellen genug Zeit, sich zu regenerieren und wieder aufzubauen. Wenn das dauerhaft so ist, dann ist das ein klares Signal vom Körper, dass etwas nicht stimmt.
Diese ganzen Zivilisationskrankheiten, die wir heute haben – Fettleibigkeit, Diabetes Typ 2, Rückenschmerzen, Herzinfarkte, diese ganzen Geschichten – das sind natürlich alles Indikatoren, die sich langfristig entwickeln durch, ich sage gerne, “nicht artgerechte Haltung”.
ANDREA SPIEGEL: Zu viel sitzen.
ALEXANDER METZLER: Zu viel sitzen, zum Beispiel. Da spielt das digitale Zeitalter natürlich eine Rolle, wenn wir uns den lieben langen Tag vor Bildschirmen bewegen. Das Auge ist eigentlich nicht dafür gemacht, den ganzen Tag im gleichen Abstand auf einen lichtemittierenden Gegenstand zu schauen. Unser Auge ist dafür designt worden, den Horizont abzuchecken oder die Perspektive zwischen nah und fern zu wechseln. Da sind vielleicht Pilze oder Wurzeln, die für mich als Steinzeitmensch spannend waren. Gleichzeitig schaue ich aber wieder am Horizont, ob da kein Säbelzahntiger auftaucht. Der gute alte Säbelzahntiger, der immer bemüht wird.
Dafür ist unser Auge eigentlich gemacht. Wir schauen heute stundenlang in einen Bildschirm. Wir wechseln nicht die Perspektive. Und bei Kindern führt das zu Brillen und Sehproblemen. Dann kann man sich natürlich fragen, wenn man den ganzen Tag beruflich schon vor einem Bildschirm sitzt: Wie gut ist dann die Idee, abends in der Freizeit noch freiwillig in den Fernseher zu schauen oder PC-Spiele zu spielen? Wie gut tut mir das eigentlich? Auch diese permanente geistige Beanspruchung durch diese Endgeräte.
ANDREA SPIEGEL: Also ich sage mal, manchen fällt es schwer, auf die innere Stimme oder Intuition zu hören, vor allem, wenn man vielleicht gerade viel zu tun hat oder viel los ist oder sich generell nicht gerne die Zeit nimmt, runterzufahren und sich mal hinzusetzen und mit sich selbst zu beschäftigen. Das kann ja auch unangenehm werden. Das heißt, ich kann aber auf Signale meines Körpers achten, wie du sagst. Schmerzen sind natürlich immer ein extremes Signal.
ALEXANDER METZLER: Da sind wir ja eigentlich schon fast zu spät, wenn die Schmerzen da sind.
ANDREA SPIEGEL: Das sind also Signale, auf die ich achten kann, wo ich sagen kann, okay, da ist etwas, das vielleicht nicht so gut ist.
ALEXANDER METZLER: Ja, und generell das eigene Level der Zufriedenheit ist vielleicht auch ein guter Indikator. Du hast ja vorhin gesagt, wenn bei mir im Job alles super ist und ich mich gut fühle, dann ist doch alles gut. Dann brauchst du vielleicht auch gerade kein Biohacking zu machen. Wenn es dir gut geht, wenn du dich gut fühlst, so what? Wenn du allerdings dauerhaft grobe Fehler in der Gesundheitsführung machst, also jeden Tag Fast Food isst oder permanent zu wenig schläfst, sei die Begeisterung auch noch so hoch, oder dich immer abkapselst, weil du abends dann als virtueller Avatar irgendwo mit dem Schwert herumrennst oder so.
Nichts gegen Spiele, ich spiele ja selbst ganz gern mal. Aber wenn da kein gewisser Ausgleich für das ist, was unsere Biologie eigentlich erwartet, evolutionär gesehen, dann geht es früher oder später mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwie schief und dann kommt unangenehmer Druck von außen und wir müssen reagieren. Dann ist der Weg natürlich viel, viel länger und schmerzhafter, als wenn wir vorher ein bisschen präventiv gehandelt hätten. Aber auch präventiv, um die Energie und den Zufriedenheitszustand im Hier und Jetzt weiterhin zu konservieren und zu kultivieren.
ANDREA SPIEGEL: Also quasi nicht nur Maschinen und Anlagen präventiv warten, sondern auch ab und zu mal ins eigene System reinschauen, was man da machen kann.
ALEXANDER METZLER: Genau, das eigene System. Wir holen uns heute eine Maschine, ich bin ja hier im Lager, habe die Software gezeigt bekommen und finde es sehr schön, wie ihr das hier gemacht habt. Aber jede Maschine, die ihr habt, kommt mit einem Handbuch. Da kann man in verschiedenen Sprachen blättern und schauen, wie die Funktion ist. Vielleicht ist es mittlerweile auch nur noch als Software hinterlegt, aber früher hatte man ein Handbuch. Die komplexeste Maschine auf diesem ganzen Planeten ist unser Körper mit diesem Gehirn. Das ist das Komplexeste, was wir kennen. Und es gibt kein Handbuch dafür. Niemand gibt dir ein Handbuch und sagt, beschäftige dich damit. Niemand kommt und sagt, achte mal auf die Gedanken, die du den ganzen Tag denkst. Nimm das mal bewusst wahr, was in deinem Gehirn vorgeht.
Das lernst du nicht im Kindergarten, nicht in der Grundschule, nicht in der Ausbildung. Das sagt dir einfach keiner. Und irgendwann rennst du dann halt möglicherweise gegen die Wand mit deinem Denkbild, deinen Sorgen, Ängsten, schlechtem Schlaf und der Energielosigkeit, die dann dazukommt. Dann bist du vielleicht wirklich ein Fall für die Therapeutin oder den Therapeuten. Dann denkst du: Ich hab’s nicht hingekriegt. Alle anderen kriegen es hin, aber ich hab’s nicht hingekriegt, weil es dir nie jemand gezeigt hat, weil du nie das Handbuch lesen konntest, weil dir es einfach nie jemand gegeben hat. Das ist schon krass, vor allem bei uns im Westen, dass wir so gut ausgebildet werden in so vielen komplexen Fähigkeiten. Aber das Wichtigste, also das Handwerkszeug für Körper und Geist, das erklärt uns halt einfach niemand. Oder erst dann, wenn’s richtig zu spät ist.
ANDREA SPIEGEL: Oder wenn ich mich eben aktiv darum bemühe. Das ist nichts, was ich so in meiner allgemeinen Bildung quasi abgedeckt bekomme.
ALEXANDER METZLER: Du musst ein eigenes Interesse mitbringen.