#38 Angst vor der Digitalisierung? mit Ingo Klarenbach

Podcast Industrie 4.0 | Der Expertentalk für den Mittelstand

Ist es die Angst vor der Digitalisierung? Oder ist es doch nur eine hohe analoge Schmerzgrenze in Deutschlands Mittelstand? Folge #38 unserer Videoshow geht diesen und weiteren Fragen auf den Grund.

Andrea Spiegel und Ingo Klarenbach sprechen über die Angst im Digitalisierungsprojekt zu scheitern, über fehlende Investitionsbereitschaft und die Notwendigkeit, die Arbeitskultur neu zu denken.

Das Transkript zur Podcast-Folge: Angst vor der Digitalisierung?

ANDREA SPIEGEL: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge Industrie 4.0, der Experten-Talk für den Mittelstand. In der Presse wird oft darüber geschrieben, dass Deutschland die Digitalisierung verschläft und dass wir jetzt endlich auf den Zug aufspringen müssen. Gleichzeitig erleben wir häufig, dass in Unternehmen, die noch nicht stark digitalisiert sind, vor allem in der Führungsriege, die Bereitschaft fehlt, den Schritt zur Digitalisierung zu gehen. Dabei reicht es manchmal schon, mit kleinen Dingen anzufangen. Warum das so sein kann, warum es vielleicht auch nicht so sein muss und was man als Mitarbeiter tun kann, der Lust hat, das Unternehmen voranzubringen, sind Fragen, denen ich heute mit meinem Gast ein wenig auf den Grund gehen werde.

Wer ist heute bei mir? Es ist Ingo KlarenbachSenior Consultant bei L-mobile. Einige kennen ihn vielleicht schon aus früheren Folgen, in denen er zu Gast war. Ich freue mich, dass du heute hier bist, Ingo.

INGO KLARENBACH: Tag, Andrea.

ANDREA SPIEGEL: Die Folge gibt es, wie immer, auch als Video auf YouTube für alle, die mal sehen wollen, wie es hier bei uns im Studio aussieht. Schaut dort also gerne vorbei.

ANDREA SPIEGELIngo, du warst ja jetzt schon zweimal, glaube ich, bei uns im Podcast. Erzähle gerne trotzdem noch mal, wer du bist, was du machst und was dich qualifiziert, heute über das Thema zu sprechen.

INGO KLARENBACH: Genau. Mein Name ist Ingo Klarenbach. Ich bin bei L-mobile als Projektleiter und Beratertätig. Ich bin hier ab und an im Interview, weil ich viel Praxiserfahrung mitbringe. Ich bin seit über 30 Jahren im ERP-Bereich tätig, sowohl als Projektleiter und Berater als auch als Inhouse-Projektleiter. Ich bin später speziell in die Richtung Produktionsplanung gegangen. Durch meine Tätigkeit habe ich ständig mit der Unternehmensführung und den Mitarbeitern auf verschiedenen Hierarchie-Ebenen zu tun. Dadurch nimmt man eine Menge mit. Deswegen freue ich mich, das heute mitteilen zu dürfen.

ANDREA SPIEGEL: Super. Dann legen wir auch direkt los, würde ich sagen.

ANDREA SPIEGEL: Ich habe es jetzt schon so ein bisschen angeteasert. Deutschland ist so hinterher beim Thema Digitalisierung. Das kann man vielleicht nicht ganz verallgemeinern, aber es gibt schon noch einige Unternehmen, die da Bedarf haben, nachzuholen. Mal eine ganz provokante Frage: Wovor haben diese Unternehmen denn Angst, die sich nicht zur Digitalisierung hinreißen lassen?

INGO KLARENBACH: Also, es muss nicht unbedingt Angst sein, um das mal so zu sagen. Es kann ganz einfach sein, dass der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist oder es noch nicht genug Druck gibt. Oder vielleicht auch die Unkenntnis darüber, was man durch die Digitalisierung verliert oder was man sich damit nicht ins Unternehmen holt. Die Angst kommt bei manchen Unternehmen erst im zweiten Schritt, wenn sie tatsächlich sagen, wir digitalisieren. Dann stellt sich die Frage: Was genau digitalisieren wir und was nicht? Und was bedeuten die Änderungen, wenn wir es tun? Dann kommen oft die versteckten Ängste, spätestens bei denen, die es umsetzen müssen, sprich die Mitarbeiter. „Oh, es kommen Änderungen, was kommt jetzt auf mich zu? Noch mehr Arbeit, noch mehr Lernen.“ Ganz klar, ich muss ja lernen, wie gehe ich damit um? Und was die Digitalisierung immer mit sich bringt, ist eine höhere Qualifizierung der Mitarbeiter. Es ist nicht so, dass dadurch Arbeitsplätze eingespart werden, sondern es ist wirklich eine höhere Qualifikation erforderlich.

ANDREA SPIEGEL: Gibt es dann auch die Angst zu scheitern, die eine Rolle spielt? Gibt es auch Unternehmen, die einfach sagen, ja, das kommt viel zu viel auf mich zu, ich weiß jetzt nicht, und dann ist es wie eine Art Schockstarre, aus der ich mich nicht herausbekomme?

INGO KLARENBACH: Gibt es auch, natürlich. Das gibt es auf beiden Seiten, nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch auf der Seite der Softwareanbieter, wie wir es zum Beispiel sind. Ich kenne es durchaus in der Branche, weil man sich als Projektleiter und Berater natürlich austauscht, wenn auch nicht unbedingt deutschlandweit, aber der Kreis ist nicht so groß. Da hört man natürlich eine Menge Ängste und Bedenken, die aufkommen, wenn ein Unternehmen den Schritt zur Digitalisierung gehen will. Man steht in einer gewissen Verantwortungsrolle, extern wie intern. Auch intern gibt es dann Verantwortliche, die neben ihrem normalen Job, neben dem Tagesgeschäft, ein Digitalisierungsprojektleiten sollen. Da kommen viele Unbekannte mit, die zu Skepsis und sogar zu einer gewissen Scheu führen können.

ANDREA SPIEGEL: Das heißt, die Problematik liegt nicht nur bei den Unternehmern oder den Führungskräften, die das Ganze blockieren, sondern es gibt verschiedene Komponenten, die da reinspielen.

INGO KLARENBACH: Ganz genau. Und aus meiner Rolle als Projektleiter kann ich sagen, dass man in solchen Unternehmen oft eine gewisse Unkenntnis spürt, die zu Unsicherheit führt. Man kennt die externen Abläufe nicht, man hat nur stichpunktweise Berührung mit dem Unternehmen. Aber wenn man die Dinge mehr und mehr auseinanderfaltet und mit den Unternehmen durchspricht, kann man viele Ängste und Bedenken ausräumen. Als externer Projektleiter ist es meine Aufgabe zu sagen: „Ich weiß, wie es geht, wir machen es gemeinsam, und ich sorge dafür, dass ihr Vertrauen gewinnt.“ Das ist das A und O.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt haben wir über die gesprochen, die das Ganze vielleicht ein Stück weit verursachen oder behindern. Wer sind denn die Leidtragenden, sage ich jetzt mal, wenn ich die Digitalisierung verschlafe?

INGO KLARENBACH: Die Leidtragenden sind eigentlich immer die, die es letztlich tun. Also dort, wo die Späne anfallen oder im Lager, wo Hand angelegt wird. Das sind diejenigen, die vielleicht 20 Prozent mehr laufen müssen, sich ständig abstimmen müssen, ständig Anrufe bekommen: „Das ist gerade wichtig, du musst das packen und hin und her.“ Anstatt einen geordneten Arbeitsablauf zu haben, der an sich stabil ist. Die bekommen es am ehesten zu spüren, wenn es nicht gut läuft, und andererseits natürlich auch am ehesten, wenn es gut läuft.

ANDREA SPIEGEL: Und im schlechtesten Fall verpasse ich als Unternehmen, irgendwie Wettbewerbsfähigkeit aufzubauen.

INGO KLARENBACH: Ganz genau.

ANDREA SPIEGEL: Das wäre jetzt natürlich der Extremfall, aber auch das sollte man, glaube ich, nicht außer Acht lassen.

INGO KLARENBACH: Und idealerweise macht man zum Beispiel eine Kosten-Nutzen-Betrachtung oder einfach mal eine Art Potenzialanalyse, um herauszufinden, welche Vorgänge aktuell im jeweiligen Bereich stattfinden, der vielleicht digitalisiert werden kann. Einfach mal feststellen, was dort aktuell verschwendet wird. Suchzeiten zum Beispiel, die natürlich erstmal schwer zu qualifizieren sind. Meist werden diese Dinge von der Unternehmensführung, vom Management, gar nicht so wahrgenommen. Die Mitarbeiter sollen einfach mal machen. Aber wenn man dann so etwas tut, wie es selten in Unternehmen vorkommt, dass man einfach einen Rollentausch macht und der Chef mal selbst einen Tag im Lager arbeitet, dann sieht die Sache ganz anders aus.

ANDREA SPIEGEL: Man muss ja nicht immer gleich digitalisieren im Sinne von, dass man das gesamte Unternehmen umkrempelt. Man kann ja auch mal mit einem anderen Projektmanagement-Tool arbeiten oder mit einem Kanban-Tool oder sowas. Wir haben uns im Vorfeld ja schon mal über das Thema unterhalten, und da habe ich so ein bisschen herausgehört, dass viele nicht bereit sind, in solche digitalen Tools zu investieren. Woran liegt das?

INGO KLARENBACH: Es ist zum einen schwierig, auf dem Markt überhaupt einen Überblick zu bekommen, was es gibt und was für uns passt. Genau das, was du sagst, Andrea, das ist nämlich so ein punktuelles Raussuchen. Ich suche mir zum Beispiel ein Tool, das Kanban macht, oder eins, das einen bestimmten Vertriebsprozess schneller macht. Aber im Gesamten bringt es unterm Strich nichts. Da bekommt irgendeine Abteilung oder ein Mitarbeiter vielleicht einen Vorteil, aber drei andere dahinter müssen vielleicht sogar mehr arbeiten, weil ihnen einfach Dinge fehlen oder es komplizierter wird. Dann hat man zwar etwas getan und fühlt sich gut, weil man digitalisiert hat, aber nur an einem Punkt. Ob das gerade die Hebelwirkung bringt oder vielleicht der am wenigsten gewichtete Punkt ist, steht dann zur Frage.

ANDREA SPIEGEL: Das heißt, die sind quasi gehemmt durch die Vielzahl der Angebote, durch das Nichtwissen, wo sie anfangen sollen, und durch das Nichtwissen, was das Richtige für sie ist? Kann man das so zusammenfassen?

INGO KLARENBACH: Ja, ganz genau. Seit dieses ganze Schlagwort Digitalisierung unterwegs ist, angefangen mit Industrie 4.0 und diesen ganzen Dingen, ist es ein unüberschaubarer Markt. Jeder hat das Beste und das Neueste, und wo soll man anfangen? Alles sieht erstmal bunt aus, man bekommt alles erzählt, was geht und was nicht geht, und was man am Ende daraus hat. Das ist das Schwierige.

ANDREA SPIEGEL: Wir schauen uns auf jeden Fall gleich noch den Ausweg aus dieser Situation an. Also wie kann ich da vielleicht trotzdem einen Weg für mich finden, das nutzbar zu machen? Mich würde jetzt aber noch interessieren, welche Risiken bei der Digitalisierung von LagerProduktion und Co. muss ich denn auch berücksichtigen, wenn ich mir da Gedanken mache, sei es als Unternehmer oder als Mitarbeiter?

INGO KLARENBACH: Du meinst jetzt, wenn man digitalisiert?

ANDREA SPIEGEL: Genau. Also ich bin ein Unternehmen, das nicht digital arbeitet, nehme mir das jetzt vor, weil ich gelesen habe in der PresseDigitalisierung ist der Weg. Und jetzt weiß ich aber nicht so richtig, was da auf mich zukommt und welche Risiken ich im Hinterkopf haben muss. Also was kann vielleicht auch schiefgehen?

INGO KLARENBACH: Genau. Das größte Risiko ist, dass die Mitarbeiter oder auch das Management das nicht unterstützen. Man trifft eine Entscheidung, will damit nichts mehr zu tun haben, bindet es irgendjemandem um den Hals und sagt: „Lauf, mach das und ich will Ergebnisse sehen.“ Ohne jedes Verständnis dafür, was überhaupt machbar ist, setzt man vielleicht völlig unrealistische Ziele. Das hängt damit zusammen, dass man die aktuelle Situation gar nicht genau kennt, sich nicht genau informiert und dementsprechend nicht weiß, was herauszuholen ist, wo Potenzial liegt oder was gar nicht möglich ist und in welchen Schritten. Ein weiteres, sehr oft vergessenes Risiko in IT-Projekten ist, dass man die Mitarbeiter wirklich mitnimmt. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber oft nicht. Es sind zum Beispiel diese typischen Key-User, die man hat. Von ihnen wird erwartet, die neuen Prozesse zu lernen und mitzugestalten, zum Beispiel in der Konzeptphase mit dem Anbieter. Sie sollen die neuen Systeme testen und das In-House-Training für die Endanwender übernehmen und all diese Dinge.

Aber Andrea, welcher Key-User ist dafür ausgebildet? Wer ist ausgebildet, all diese neuen Dinge zu lernen? Oft sind das Mitarbeiter, die schon lange im Unternehmen sind und viel wissen, aber nicht unbedingt mehr fit darin sind, Neues zu lernen. Außerdem, wie bringen sie das ihren Kollegen bei? Keiner ist in Erwachsenenbildung oder Erwachsenenweiterbildung qualifiziert. Man kann nicht einfach sagen: „Ich zeige dir das und dann kannst du es.“ Nicht umsonst gibt es Ausbildungen für Erwachsenentrainer und so weiter. Das sind alles Fähigkeiten, die einfach erwartet werden. Und wenn diese nicht vorhanden sind, geht es nachher schief und man sucht dann Schuldige. Diesen Punkt darf man nicht unterschätzen.

ANDREA SPIEGEL: Also nicht nur die betriebswirtschaftliche Seite und die Prozesse berücksichtigen, sondern auch das menschliche Thema nicht vernachlässigen.

INGO KLARENBACH: Genau. Das entscheidet letztlich auch über die Akzeptanz. Führe ich eine Lösung ein, wird sie akzeptiert und benutzt oder nicht?

ANDREA SPIEGEL: Es ist auch ein Thema, wie du sagst: Beziehe ich die Mitarbeiter mit ein oder gebe ich ihnen nur den Zettel: „Jetzt mach mal so.“ Wie beziehe ich sie ein?

INGO KLARENBACH: Das ist nicht nur Informationsweitergabe.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt haben wir versprochen, dass wir auch einen Ausweg aus dem Ganzen aufzeigen. Also nicht nur darüber reden, warum die Leute sich davor scheuen oder Angst haben, sondern auch darüber, wie man da rauskommen kann. Ich habe da ein schönes Zitat von Albert Einstein gefunden. Er sagt nämlich: “Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.” Das ist erstmal spannend und ein guter Ansatz. Die Frage, die sich mir da sofort aufdrängt, ist: Wie ändere ich dann meine Denkweise?

INGO KLARENBACH: Das ist eine spannende Frage. Solange ich im gleichen Umfeld unterwegs bin, denke ich immer das Gleiche. Ich kann bessere Lösungen schaffen und vielleicht auch Veränderungen bringen, aber eine grundsätzliche Änderung schaffe ich so nicht. Das heißt, wenn ich jetzt, was man ja auch gerne macht, das Mindset ändern möchte oder ähnliches, bringt das absolut gar nichts, wenn man nicht versteht, woher die Gedanken eigentlich kommen. Wir wissen ja schon, dass wir selber keine Gedanken erzeugen, sondern unser Gehirn bezieht Gedanken von irgendeiner anderen Energiequelle. Da muss man natürlich schauen, an welche Energiequelle zapfe ich mich an und woher bekomme ich meine Gedanken. Dementsprechend kann ich dann unterschiedliche Lösungen entwickeln.

ANDREA SPIEGEL: Und welche Energiequellen sollte ich anzapfen, wenn ich digitalisieren möchte, um meine Denkweise entsprechend neu auszurichten?

INGO KLARENBACH: Am besten digitale.

ANDREA SPIEGEL: Hast du konkrete Ideen oder Vorschläge?

INGO KLARENBACH: Genau, also ein bewährter Vorschlag, der sich ganz einfach daher ergibt, ist, dass die wenigsten Unternehmen die Zeit und das nötige Know-how haben, um sich mit dem Thema wirklich qualifiziert zu befassen. Wenn ich eine normale Unternehmung habe, dann ist mein Kerngeschäft nicht die Digitalisierung. Das heißt, ich stehe am besten da, wenn ich mir einen geeigneten Partner auf dem Markt suche, dem ich das Vertrauen entgegenbringe, zu sagen: “Du kennst dich besser aus als ich, bitte berate mich.” Dabei unterstütze ich dich und bezahle dich dafür, klar. Du hast mehr Know-how, das ist dein tägliches Doing und unseres ist das andere. Das müssen wir einfach zusammenbringen. Wenn das kooperiert, dann funktioniert das auch. Aber nicht, wenn ich mit Halbwissen versuche, mir eine Lösung zu bauen und mein eigentliches Geschäft ein ganz anderes ist. Das funktioniert nicht.

ANDREA SPIEGEL: Das heißt, es geht darum, zum einen vielleicht den Horizont zu erweitern und, wie du sagst, in einer anderen Blase zu stochern, um zu sehen, wo ich mich über Digitalisierung informieren kann. Und dann auch jemanden ins Boot zu holen. So wie man sich auch einen Trainer reinholt, wenn man sagt, wir müssen Führungskräfteschulen, holt man sich jemanden von außen, der einen anderen Blick hat. Okay, das heißt, auch bei der Digitalisierung kann ich mir Hilfe holen. Das ist kein Eingeständnis von Schwäche, sondern ein ganz natürliches Thema. Ich glaube, das ist vielleicht auch für viele ein Punkt: Jetzt hole ich mir da jemanden rein. Es ist also erlaubt, sozusagen.

INGO KLARENBACH: Ja, richtig. Genau.

ANDREA SPIEGEL: Sehr gut. Jetzt haben wir vorhin auch schon gesagt, es gibt vielleicht auch Unternehmen, in denen die Mitarbeiter eine treibende Kraft sein können, die einfach sagen: “Hey, wir sehen da Probleme. Ich habe im Alltag immer wieder dasselbe Problem und kenne vielleicht jemanden, der in seiner Firma das Problem schon digital gelöst hat.”

ANDREA SPIEGEL: Hast du vielleicht einen Tipp für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sagen, sie möchten etwas bewegen und die Führungsriege inspirieren oder anstacheln, den nächsten Schritt in Richtung Digitalisierung zu gehen? Wie kann man so etwas angehen?

INGO KLARENBACH: Ja, das ist ein ganz schwieriges Thema. Ich kenne es selbst. Da kamen auch Mitarbeiter zu mir und sagten: “Können wir nicht WhatsApp untereinander nutzen? Das geht schneller als E-Mails.” Ja, könnt ihr machen, aber es ist halt nicht der offizielle Weg im Unternehmen. Und solange die Unternehmensführung oder die nächste Entscheiderebene das nicht wahrnimmt oder registriert und sagt, da ist ein Problem oder Potenzial, das sollten wir mal angehen, ist es sehr schwierig, das durchzusetzen. Was sich natürlich bewährt, ist, solange man das selbst engagiert tut und bereit ist zu sagen, okay, in meinem Rahmen und Entscheidungsgebiet mache ich so viel wie möglich. Das ist zum Beispiel etwas, was ich mache: Ich brauche nicht unbedingt Hilfsmittel von meinem Arbeitgeber, sondern beschaffe mir die selbst, wenn sie mir helfen. Manchmal sage ich, es wäre nicht schlecht, dann beziehe ich es offiziell und bezahle nichts dafür, und ansonsten beschaffe ich sie mir selbst, weil ich es mir damit einfacher mache.

ANDREA SPIEGEL: Weil du es dir wert bist.

INGO KLARENBACH: Ja, ganz genau. Wenn ich es damit einfacher habe und weniger Stress habe, dann interessiert mich das weniger. Aber diese Einstellung hat nicht jeder, und in großen Unternehmen ist das auch nicht unbedingt der richtige Weg. Wenn einer von zehn das macht, bringt es nur ihm etwas, aber nicht der gesamten Mannschaft. Insofern kann man nur hoffen, dass irgendwer bereit ist, ein Entscheider wirklich hinzuschauen und sich ein Gesamtbild zu verschaffen, was wirklich passiert und welchen Nutzen eine entsprechende Lösung haben kann. Ansonsten hat man da wirklich wenig Chancen.

ANDREA SPIEGEL: Man sollte also vielleicht auch ein Stück weit Beharrlichkeit mitbringen. Nicht nerven, aber gute Argumente zurechtlegen.

INGO KLARENBACH: Statt zu schimpfen, einfach handeln. Das hat meist den Effekt, dass es zur Normalität wird. Die Kollegen werden darauf aufmerksam und sagen, eigentlich gar nicht schlecht, das würde ich auch machen. Wenn es nachher mehrere tun, fällt es irgendwann auf, und man sagt, irgendwas ist anders, es funktioniert besser. Vielleicht sollten wir es offiziell tun.

ANDREA SPIEGEL: Also auch direkt eine Lösung mit anbieten. Nicht nur schimpfen und sich beschweren, sondern selbst nach einer Lösung suchen und sie präsentieren.

INGO KLARENBACH: Genau. Ich war in Betrieben, wo das so war. Beim Thema Vorschlagswesen oder Verbesserungsvorschläge haben die Mitarbeiter das nicht eingereicht, sondern einfach gemacht und fanden es gut. Das eine ist, zu sagen, ich gebe nichts an und lasse die Geschäftsführung das machen. Das ist heute keine vertretbare Einstellung. Die konnte man eigentlich nie vertreten. Da bin ich dann irgendwo falsch. Wenn ich aber wirklich für meinen Bereich Vorteile erschaffe, durch Dinge, die ich selbst einbringe, dann habe ich auch eine ganz andere Verbindung mit dem, was ich tue. Das merkt man in solchen Betrieben sehr deutlich.

ANDREA SPIEGEL: Da sind wir auch viel beim Mindset der Mitarbeiter. Man kann sich auch selbst an die Nase fassen und sagen, ich kann etwas bewirken. Ich bin nicht nur hier, um die acht Stunden abzusitzen, sondern ich möchte gestalten.

INGO KLARENBACH: Und das ist letztlich viel besser als Wertschätzung, die von außen kommt. Wenn ich selbst weiß, warum ich hier bin und was ich tue, dann macht es mehr Spaß.

ANDREA SPIEGEL: Macht dann auch mehr Spaß.

INGO KLARENBACH: Eben, ganz genau. Da bin ich nicht so auf das Lob angewiesen.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt haben wir viel über das Mindset der Mitarbeiter und der Führungskräfte gesprochen. Vielleicht jetzt noch einmal einen Schritt weiter: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Arbeitskultur? Oder welchen Einfluss wird sie haben? Und vielleicht ist das ja auch etwas, wovor sich manche ein wenig drücken wollen.

INGO KLARENBACH: Ja, das ist richtig. Spontan fällt mir ein, wenn man Richtung China oder generell Asien schaut, wo die Digitalisierung einen ganz anderen Grad erreicht hat als hierzulande. Da gibt es mehrere Aspekte, die ich zumindest dort sehe. Das eine ist sicherlich, dass man die schöne, funkelnde, digitale Welt betrachten kann. Das andere ist natürlich die Frage, was bleibt dabei auf der Strecke und was passiert im Hintergrund?

Zum Beispiel in Städten wie Shenzhen oder anderen großen Städten, wo ich mehrere Reportagen gesehen habe. Einmal natürlich über die digitale Welt, aber auch über die Slums und die Armen, die dort existieren. Es gibt Gegensätze in der gleichen Stadt zwischen sehr starkem, aktuellem digitalem Geschehen und dem, was im Untergrund passiert, wo keiner hinschauen möchte, was aber existiert. Da sage ich mir, da kann etwas nicht stimmen, wenn dieses Ungleichgewichtherrscht. Und wie du vorhin sagtest, Deutschland hängt eventuell hinterher, aber das Ungleichgewicht sehe ich hier nicht.

Das bedeutet, das gesamte soziale Gefüge, das Miteinander und das Verständnis füreinander spielen eine sehr große Rolle, damit eine Gesellschaft insgesamt mit der Digitalisierung funktioniert. Sonst haben wir irgendwann das Problem, dass wir die Sklaven der Digitalisierung sind. Oft wird es auch so genannt, dass wir uns in den Zwängen und Fängen der Digitalisierung fühlen. Andererseits sollten wir doch dahin gehen, als Nutzende der Digitalisierung zu sagen, wohin die Digitalisierung gehen soll, um uns einen Nutzen zu bringen und nicht umgekehrt als Sklaven.

ANDREA SPIEGEL: Das war jetzt quasi ein wenig der gesellschaftliche Aspekt. Wenn du jetzt nochmal in die Unternehmen hineinschaust: Was kann ich als Mitarbeiter oder als Führungskraft tun, um diese neue Kultur und auch diese Wertschätzung, die man sich gegenseitig entgegenbringt, zu fördern? Um das nicht in die falsche Richtung abdriften zu lassen? Was kann man tun?

INGO KLARENBACH: Es ist genau das, dass ich überall hinschaue, nicht nur punktuell, wie wir eben als Beispiel hatten. Wenn ich nur eine Stelle digitalisiere und der Rest bleibt analog, dann habe ich genau schon den Anfang solcher Unterschiede oder Abbrüche. Das bringt natürlich auch Neid und Missgunst mit sich: „Wieso kriegt der das und ich nicht? Wir müssen jetzt noch mehr tun, und das sieht keiner.“ Das heißt, man muss von Anfang an ein gewisses Gleichgewicht reinbringen, sodass jeder das Gefühl hat, er wird irgendwo berücksichtigt und gehört. Also gesamtheitlich denken.

Nicht, dass irgendwelche Probleme unter den Tisch fallen und es zu Fragen kommt wie „Wieso hat der und ich nicht?“ Das führt nur zu Problemen, die man vermeiden kann. Und natürlich mit Blick nicht nur innerhalb des Unternehmens, sondern auch außerhalb. Was man oft vergisst: Richtung Kundenseite ist immer alles super, aber was machen die Lieferanten? Werden die noch mehr gequält und getreten, vor allem für die Punkte, die bei mir im Unternehmen nicht funktionieren?

Gerade, wie ich vorhin sagte, ich bin im Bereich Produktionsplanung als Berater und Projektleiter unterwegs. Da kommt immer wieder die Anforderung: „Wir brauchen Fixtermine und Eilaufträge und, und, und.“ Und ich frage: „Woher kommen die? Das kann nicht sein, wenn ihr eine vernünftig stabile Planung habt. Wieso können dann noch Eilaufträge da sein?“ Ja, das ist, weil der Kunde uns das aufzwängt. Genau, aber nur, weil es beim Kunden nicht richtig läuft. Das heißt, die gesamte Kette, diese Supply Chain, funktioniert in sich nicht, wenn irgendwer die Füße unter den Arm nehmen und laufen muss, nur damit vorne irgendwer nicht an alles denkt oder eine schlechte Organisation führt. Das heißt, so eine ganze Prozesskette muss in sich stimmig sein.

ANDREA SPIEGEL: Du hast ja auch vorhin das Thema Kompetenzen angesprochen, also was man vielleicht Neues können oder lernen muss. Wir haben dazu eine ganz eigene Folge gemacht, das kann ich auch empfehlen. Das war Folge 26 mit Dennis, unserem internen Learning und Development Manager. Aber vielleicht kannst du trotzdem nochmal kurz darauf eingehen. Wir haben die gesamte Supply Chain, die wir irgendwie mit einbeziehen müssen. Das heißt, vielleicht auch mit Lieferanten und Kunden sprechen, was diese Thematik angeht. Aber nochmal den Blick auf die Mitarbeiter: Über die haben wir ja vorhin schon gesprochen, es ist wichtig, dass sie auch abgeholt werden. Welche Kompetenzen muss ich da aufbauen und wie kann ich die aufbauen? Vielleicht einmal so ein Abriss.

INGO KLARENBACH: Also zum einen ist natürlich eine gewisse Affinität gegenüber digitalen GerätenSoftware und PC-Handhabung wichtig. Für die jüngere Generation ist das sicherlich kein Problem, aber bei den älteren kenne ich das anders. Da gibt es Mitarbeiter, die beispielsweise sagen, wenn ich eine Maus bedienen soll, dann gehe ich.

ANDREA SPIEGEL: Hast du das schon erlebt?

INGO KLARENBACH: Ja, ich habe es erlebt. Ich hatte auch Mitarbeiterinnen, die durch eine Umschulung ins Unternehmen kamen und noch nie einen PC bedient hatten. Die wussten nicht, wie man eine Maus anfasst. Das habe ich alles miterlebt. Was gerne vergessen wird, ist, dass es nicht nur diese primären Skills sind, also mit der Digitalisierung oder den Instrumenten umzugehen, sondern auch das, was hinten rauskommt. Wie gesagt, in der Key-User-Rolle habe ich bestimmte Aufgaben oder als Endanwender wird erwartet, dass ich es nach einmaligem Zeigen kann. Manche brauchen aber etwas länger. Ich bin selbst auch so jemand, ich muss Dinge mehrmals ausprobieren. Es ist natürlich auch die Sache, wie man es rüberbringt.

Das sind alles Soft-Skills, die man auch betrachten sollte, weil diese im Gegensatz zu dem eigentlichen Doing nachher darüber entscheiden, ob die Mitarbeiter Ängste haben, Vertrauen fassen oder nicht, ob sie folgen.

ANDREA SPIEGEL: Also vielleicht nochmal als Tipp: Die Soft-Skills sollten vor allem auch geschult werden, und zwar nicht nur bei den Mitarbeitern, sondern auch bei den Führungskräften. Es ist wichtig, dass richtig kommuniziert wird, damit erst gar keine Ängste entstehen. Das ist vielleicht auch ein guter Tipp: Man kann das schon vorbereiten, damit es gar nicht erst so hochkocht.

INGO KLARENBACH: Und das sind die Dinge, die zu 60, 70 Prozent darüber entscheiden, ob die “Klade” unterm Tisch verschwindet mit den Geheimaufzeichnungen oder die Excel-Listen verschwinden. Ich habe es erlebt, dass nach 15 Jahren immer noch alles ausgedruckt wurde. Jede Bestellung wurde gedruckt, ein eigener Ordner geführt, obwohl man alles im ERP-System hatte, aber man vertraute dem nicht.

ANDREA SPIEGEL: Also auch wieder Mindset: ein bisschen der Technik vertrauen und lernen, damit umzugehen. Dieses Nicht-Vertrauen kommt sicherlich auch daher, dass man nicht so vertraut damit ist und nicht genau weiß, wie es funktioniert. Sich da ein breites Wissen anzueignen, kann sicher nicht schaden.

INGO KLARENBACH: Man darf nicht vergessen, dass oft auch schlechte Schulungen eine Rolle spielen. Es geht nicht nur um die Bedienung, sondern auch darum, die Abläufe zu verstehen. Oft sind es dann auch die Mitarbeiter, die selbst Fehler machen, sich dessen aber nicht bewusst sind. Aufgrund dieser Fehler passieren dann Dinge, die sie dazu berechtigen, eine parallele Buchführung zu führen.

ANDREA SPIEGEL: Super.

ANDREA SPIEGEL: Ingo, mich würde jetzt zum Abschluss noch interessieren, es soll ein, sagen wir mal, positiver Aufruf werden an alle Führungskräfte, aber vielleicht auch an Mitarbeiter, die sich mit dem Thema Digitalisierung bisher noch nicht so freiwillig auseinandergesetzt haben, die vielleicht sagen: „Ich weiß nicht, ob das jetzt das Richtige für uns ist und ob ich das wirklich tun sollte. Wird das nicht viel schwieriger, als man am Anfang denkt, und teuer und überhaupt?“ Was würdest du so einem Skeptiker an positivem Input mitgeben? Also, wie würdest du ihm sagen: „Denk doch vielleicht mal anders an die Sache“?

INGO KLARENBACH: Also zunächst mal würde ich sagen, man sollte einfach damit beginnen, sich mit dem Thema zu befassen. Ohne Digitalisierung wird es auf Dauer sehr, sehr schwer werden, wenn alle anderen damit beginnen und etwas machen. Man hängt dann im Wettbewerb einfach hinterher. Das ist genauso, als wenn man sich weigert, eine Uhr zu tragen. Ich habe jahrelang keine Armbanduhr getragen. Irgendwann ging es nicht mehr, weil man nicht immer der Letzte sein möchte, der kommt.

Das heißt, man wird mehr oder weniger durch einen gewissen äußeren Zwang dazu gebracht, und dann ist es angenehmer, sich selbst damit zu beschäftigen, als von außen gezwungen zu werden. Man sollte die Zeit früh genug nutzen und nicht warten, bis es brennt. Das erleben wir auch als Anbieter. Das Angebot ist noch nicht gelegt, da wird schon gefragt, wann der Go-Live ist. Dann drängt auf einmal alles, und das führt natürlich dazu, dass ein Hauruck-Projekt aufgesetzt wird, was dann häufig zu Fehlern führt. Und dann, wie ich vorhin sagte, bestätigt sich die Meinung: „Wusste ich doch vorher, dass es nicht super funktioniert, haben wir es schon.“ Was aber einfach durch den erzeugten Druck entsteht.

ANDREA SPIEGEL: Okay, das heißt, einfach mal von vornherein planen, sich Hilfe reinholen, wie wir besprochen haben, die Mitarbeiter von Anfang an in den Prozess mit einbeziehen und sich auch Zeit dafür nehmen. Also nicht unendlich viel Zeit, aber genug Zeit für so ein Projekt, damit es am Ende richtig wird.

INGO KLARENBACH: Genau das. Und dann auch unterscheiden zu können: Ich bin derjenige, der es möchte. Ich sag, was ich möchte, aber ich sage nicht, wie ich es möchte. Weil dafür habe ich jemanden der es weiß, nämlich einen Experten. Der sagt das Wie und ich sage nur, was rauskommen soll.

ANDREA SPIEGEL: Alles klar.

ANDREA SPIEGEL: Das lassen wir doch mal so stehen und lassen es in euren Köpfen da draußen wabern. Also, wenn ihr langsam das Gefühl habt, ihr kommt an eure analoge Schmerzgrenze, nenne ich das jetzt mal, und ihr habt den Bedarf zu digitalisieren, macht euch Gedanken, nehmt die Leute mit, holt euch Hilfe ins Haus. Es ist kein Problem, danach zu fragen, sich Unterstützung reinzuholen und Experten dazu zu holen, die einem helfen können. Ingo, vielen Dank, dass du heute da warst. An alle da draußen, wenn ihr noch Fragen an Ingo habt zu dem ganzen Thema oder vielleicht Sorgen habt, die ihr gerne teilen würdet, dann schreibt es gerne in die Kommentare.

Lasst uns ansonsten, wenn euch die Folge gefallen hat, ein Like bei YouTube da oder auch gerne eine Bewertung bei Apple Podcasts oder Spotify. Und dann würde ich sagen, bis zum nächsten Mal. Danke nochmal an dich, Ingo.

INGO KLARENBACH: Danke Andrea.

ANDREA SPIEGEL: Macht’s gut.

Welche Idee steckt hinter der Multikommissionierung in der Lagerlogistik?

„Die Idee bei der Multikommissionierung ist auch da, eben solche Leerfahrten, Leerwege, egal ob jemand läuft oder eben fährt, zu vermeiden.“

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