#25 Service als Geschäftsmodell mit Marilla Bax

Podcast Industrie 4.0 | Der Expertentalk für den Mittelstand

Customer Service als Geschäftsmodell, geht das? In Folge 25 unserer Videoshow spricht Andrea Spiegel mit Marilla Bax, Geschäftsführerin und Gründerin der marillabax GmbH, über serviceorientierte Geschäftsmodelle im Zusammenhang mit Industrie 4.0 und Digitalisierung.

Wir klären Fragen wie:

Wie finde ich ein passendes Geschäftsmodell für den Service? Bedeutet ein serviceorientiertes Geschäftsmodell auch gleichzeitig Disruption? Welchen Nutzen bietet ein Service-Geschäftsmodell? Was hat der Kunde davon? Welche Rolle spielt die Digitalisierung meiner Geschäftsprozesse?

All diese Fragen besprechen wir anhand anschaulicher Praxisbeispiele. Außerdem gibt Marilla 3 Tipps, wie ein serviceorientiertes Geschäftsmodell zum Erfolg wird.

Das Transkript zur Podcast-Folge: Service als Geschäftsmodell

ANDREA SPIEGEL: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge Industrie 4.0, der Experten-Talk für den Mittelstand. Wie ihr bereits sehen könnt, habe ich heute wieder einen besonderen Gast, mit dem ich das Thema Service und insbesondere das Geschäftsmodell rund um Service ausführlich diskutieren werde. Mein Gast ist keine Unbekannte, und ich freue mich sehr, Marilla Bax in dieser Folge begrüßen zu dürfen. Hallo Marilla, schön, dass du heute hier bist.

MARILLA BAX: Danke für die Einladung.

ANDREA SPIEGEL: Diese Folge könnt ihr wie gewohnt auf Plattformen wie Spotify, iTunes und anderen Podcast-Apps anhören. Für diejenigen, die Marilla noch nicht kennen, lass uns eine kurze Vorstellung von dir hören. Wer bist du und was sind deine täglichen Tätigkeiten?

MARILLA BAX: Natürlich, es gibt möglicherweise Zuhörer, die noch nicht mit mir vertraut sind. Ich bin die Inhaberin einer Unternehmensberatung, wie du bereits erwähnt hast, und mein Team und ich sind spezialisiert auf das Thema Servicequalität und Servicekultur. Wir arbeiten vorrangig im Mittelstand und insbesondere in Branchen, in denen technische Expertise eine wichtige Rolle spielt, wie beispielsweise im Maschinenanlagenbau, der IT und der Medizintechnik. Mein Kollege sagt gerne: “Fachidiot schlägt Kunde tot.” Wir fühlen uns überall dort zu Hause, wo technische Experten ihre Dienstleistungen anbieten und helfen können, die Kundenbindung und Servicekultur positiv zu beeinflussen.

ANDREA SPIEGEL: Vielleicht wissen einige unserer Hörer nicht, dass du nicht nur im Bereich Serviceberatung tätig bist, sondern auch praktische Erfahrung in der Industrie gesammelt hast. Könntest du uns mehr darüber erzählen?

MARILLA BAX: Absolut, ich habe einen Hintergrund in Wirtschaftsinformatik. Bevor ich in die Beratung wechselte, habe ich in Positionen gearbeitet, die ich heute berate. Ich war Servicemanager, Servicemitarbeiter im Feld und am Telefon sowie Projektleiterin, insbesondere in der IT-Branche. Dabei arbeitete ich oft in Softwareunternehmen, die komplexe Lösungen entwickelten, wie zum Beispiel Bankingsoftware. Diese Unternehmen mussten frühzeitig darüber nachdenken, wie sie mit ihren Serviceangeboten Geld verdienen können. Neben dem Verkauf von Lizenzen spielte der Service eine entscheidende Rolle und war bereits ein Geschäftsmodell. In der IT-Branche wurden Services schon lange als integraler Bestandteil des Geschäftsmodells betrachtet, und das kann auch für andere Branchen ein wertvoller Ansatz sein, um sich besser im Markt zu positionieren.

ANDREA SPIEGEL: Um sicherzustellen, dass wir alle am selben Punkt starten, könntest du uns bitte zu Beginn kurz erklären, wie du Service oder Kundenservice in wenigen Worten definierst?

MARILLA BAX: In einem Satz fassen ist fast unmöglich.

ANDREA SPIEGEL: Du könntest einen ausführlichen Satz mit vielen Erläuterungen machen.

MARILLA BAX: Kundenservice umfasst alle Maßnahmen, die dazu beitragen, dass der Kunde das Produkt optimal nutzen und störungsfrei arbeiten kann. Das beinhaltet Beratung, Unterstützung bei Störungen und Fragen zur Anwendung, alles mit dem Ziel, den Kundennutzen zu steigern.

ANDREA SPIEGEL: Sehr prägnant.

MARILLA BAX: Ich habe versucht, es kurz zu halten.

ANDREA SPIEGEL: Warum denkst du, dass serviceorientierte Geschäftsmodelle überhaupt relevant sind? Du hast bereits angedeutet, dass es sinnvoll sein kann, Geld mit Service zu verdienen, nicht nur mit dem Produkt. Aber was treibt diesen Bedarf an serviceorientierten Geschäftsmodellen an?

MARILLA BAX: In vielen Branchen liegt es daran, dass die Profitmargen für Produkte immer kleiner werden. Das bedeutet, Hersteller erzielen nicht mehr so hohe Gewinne mit ihren Produkten. Gleichzeitig nimmt der Wettbewerb zu, was dazu führt, dass Produkte schneller vergleichbar werden und Kunden leichter abwandern. Um Kunden zu halten, müssen Anbieter ihr Geschäft gut verstehen und umfassende Betreuung bieten, damit Kunden den maximalen Nutzen aus ihren Produkten ziehen können. Hier kommt der Service ins Spiel.

Service ist nicht mehr nur auf die Fehlerbehebung beschränkt, sondern umfasst auch die kontinuierliche Betreuung. Das beinhaltet nicht nur die Optimierung der Maschine, sondern auch die Unterstützung bei betrieblichen Fragen und die Ableitung von Erkenntnissen aus den Daten, die die Maschine generiert. Dazu gehört auch die Schulung der Bediener, selbst wenn sie häufig wechseln, sowie die Bereitstellung von Wissen und Selbstbedienungsmöglichkeiten.

Und natürlich der Vertrieb, es spiegelt das auch häufig schon zurück, der Kunde will noch mehr Beratung. Schon in der Anschaffung der Produkte fordert er sehr viel Beratung ab. Teilweise sogenannte Greenfield-Projekte, wo man als Unternehmer, als Anbieter von Produkten gefragt ist, wie kann ich nicht nur das Produkt verkaufen, sondern wie kann ich den Kunden dabei begleiten, meinetwegen einen neuen Geschäftszweig mit diesem Produkt aufzubauen. Eine ganze Fabrikhalle neu zu planen, mit den Maschinen, wenn sie dann installiert werden, und dem ganzen Geschäftsprozess, der dazu gehört. Digitalisierung begleitet dabei, sodass der Kunde die maximale Betreuung bekommt. Und all das ist Service. Das heißt, viele reduzieren Service immer auf den reinen Störungsbeheber. Service beginnt viel früher als viele denken und umfasst auch Beratungsleistungen. Service ist letztlich Dienstleistung, sei es durch Beratung, Verkauf von Produkten und Anpassung, Pre-Sales und After-Sales-Betreuung oder Individualisierung. Selbst Customizing ist eine Form von Service und kann, wenn gut durchgeführt, profitabel sein.

Ein aktuelles Beispiel ist die IT-Branche. Während der COVID-19-Pandemie hat die Arbeit im Homeoffice an Bedeutung gewonnen. Und in dieser Pandemie haben alle gelernt, remote zu arbeiten. Und neue Produkte oder Produkte, die vorher schon da waren, haben Fahrt aufgenommen. Produkte wie Microsoft Teams wurden stark nachgefragt.

Und wenn wir jetzt die Systemhäuser mal als Beispiel nehmen und nicht nur über Maschinen und Anlagen zu sprechen, sondern ein klassischer Systemhausbetrieb, heißt ja, ich vermiete Server, ich vermiete Serverleistung und ich berate bei der bestmöglichen Anwendung. Bei Microsoft Teams verändert sich diese Welt, weil ein Kunde, jetzt ein Systemhauskunde, mietet auf einmal bei Microsoft. Der mietet gar nicht mehr beim Systemhaus. Jetzt muss das Systemhaus sein Geschäftsmodell überdenken und überlegen, was verkaufe ich jetzt eigentlich noch? Ich verkaufe gar nicht mehr meine Serverleistung zwingend, sondern ich verkaufe jetzt Beratung und Anpassung für Microsoft Teams oder Microsoft 365, wenn man es mal größer fasst, was ein recht komplexes Produkt geworden ist. Es ist kein Produkt von der Stange. Zwar kann sich jeder irgendwo registrieren, aber um alle Leistungen von diesem Paket zu nutzen, bedarf es Expertise.

Das heißt, diese Systemhäuser sind jetzt gefordert, viel mehr Expertise aufzubauen und diese auch als Beratung zu verkaufen. Und dann verkaufen die nachher nur noch Dienstleistung, also gar keinen Service mehr, in dem Sinne eines IT-Service, also Serverkapazität, sondern sie verkaufen Beratung und natürlich auch so was wie eine Hotline oder ein Managed Service. Das Geschäftsmodell verändert sich komplett. Und wir sehen auch die ersten Systemhäuser, die sagen, du hast ja jetzt auch so ein schönes kleines Gerät hier, dass du kaufst nicht mehr das Gerät, sondern du kaufst die Fähigkeit, also das, was du damit machst. Hardware als ein Service verkaufen die Systemhäuser. Oder Software as a Service.

Das heißt, es ist Mietgeschäft, ich kaufe gar nichts mehr. Ich nutze das Produkt und kaufe die Nutzung, aber ich kaufe nicht mehr das Produkt. Wir kennen das, ganz klassisch macht heute eigentlich schon jeder, ich kaufe ja keinen Drucker mehr, sondern ich kaufe Ausdrucke, inklusive Service. Also auch bei uns ist das so, der Drucker, der da steht, das ist bei vielen Unternehmen so, da gibt es einen Aufkleber drauf, wer macht diesen Wartungsservice, und das heißt meist nicht das Unternehmen selber, sondern irgendeiner, der sich auf Drucker spezialisiert. Der Dienstleister. Klassische Dienstleistung, ich kaufe nicht das Produkt, sondern ich kaufe die Leistung. Und das sehen wir übrigens auch im Maschinenanlagenbau, wo sich die Großen auch schon Gedanken darüber machen, dass sie eben nicht mehr die Maschine verkaufen, sondern die Nutzung. Pay per use heißt es dann.

Das heißt, der Kunde ist nicht mehr am Produkt interessiert, sondern an dem, was das Produkt leisten kann, und er zahlt für die Leistung. Und dann sind natürlich auch Servicekonzepte gefragt. Weil das zählt, im Prinzip kann ich das Produkt unterm Hintern wegziehen und anderes wieder hinstellen, aber ich muss das Produkt leistungsfähig halten, ich als Anbieter. Und da kommen neue Geschäftsmodelle tatsächlich sehr stark im Service an, weil sie sehen, Service bringt jetzt den Umsatz.

ANDREA SPIEGEL: Denkst du, dass diese Veränderungen hauptsächlich auf die Digitalisierung zurückzuführen sind oder sind andere Faktoren maßgeblich beteiligt? Früher schien es so, als ob Maschinen einfach verkauft wurden und vielleicht noch Wartungsdienste angeboten wurden, hauptsächlich reaktiver Service. Welche Faktoren spielen in diesem Wandel eine Rolle?

MARILLA BAX: Die Digitalisierung macht es leichter und nötig auch, sie fordert das ab. Aber die Kunden wollen, also wenn wir mal Digitalisierung kurz zur Seite parken, die Kunden wollen mehr Betreuung vom Anbieter. Und Betreuung bedeutet eben nicht nur Störungen beheben, sondern bedeutet eben auch, maximale Leistung aus den Produkten herausholen. Und sie wollen sich auch darauf konzentrieren, was ihr Hauptgeschäft ist. Ihr Hauptgeschäft ist nicht, Maschinen zu betreiben, sondern ihr Hauptgeschäft ist ein Geschäftsprozess, was ich mit den Maschinen erzeuge.

Die Produkterzeugung ist das, ja. Also dass ich damit was entwickle, was baue, was zusammensetze, was auch immer der Anlagensinn ist. Und sie wollen da maximal Kraft investieren in das, was ihr Geschäftsmodell ist und alles, was sie abspecken können an Leistung, abgeben können an den Lieferanten, das wollen sie abgeben. Wobei so pauschal lässt sich’s ja auch nicht sagen.

Man muss dann schon noch mal schauen. Wir raten dazu. Das ist auch etwas, was sich über viele Jahrzehnte schon etabliert hat, wie so eine Art Dreierles-Modell im Service-Geschäftsmodell zu arbeiten. Sich zu überlegen, welche Kundengruppen habe ich und wie verhalten die sich und unterscheiden sich auch in ihrem Nutzungsverhalten und in ihrer Preissensibilität. Es gibt Kunden, die sagen, für mich ist wichtig, dass ich möglichst günstig alles einkaufe, auch möglichst wenig Servicekosten habe. Nebenbei bemerkt, wenn man über Service spricht, spricht man heute auch von Service-Lifecycle-Kosten oder Produkt-Lifecycle. Das heißt, auch im Einkaufsprozess entscheidet nicht der Preis der Maschine, sondern was kostet mich diese Anlage, diese Maschine über den ganzen Lebenszyklus, also inklusive aller Servicekosten Folgekosten, die da entstehen. Preissensible Kunden sind also auch sehr verhandlungshart und wollen möglichst günstig einkaufen.

Kann sein, dass wir solche Kunden haben, dann müssen wir für die gezielt auch ein Serviceprodukt anbieten. Jetzt nehmen wir das andere Ende der Kette, den ich eben beschrieben habe. Der Kunde, der sagt, ich möchte möglichst viel abgeben, ich bin komfortbewusst, wenn ich so möchte. Da spielt der Preis natürlich auch eine Rolle.

ANDREA SPIEGEL: Aber eine andere.

MARILLA BAX: Eine andere, ja. Und dann gibt es dazwischen den, für mich ist mein Mittelfeld der technikbewusste Kunde, der sagt, natürlich gucke ich auf den Preis und ich will auch was abgeben, aber ich will auch was selber machen. Ich habe dazu fähige Leute und ich suche einen Anbieter, der meine Leute auch befähigt, regelmäßigen Wissenstransfer auch schafft, der mir auch Zugang gibt zu Wissen, damit ich selber was machen kann. Also wenn ich gute Instandhalter habe und ich habe ein fähiges Personal in der Instandhaltung, dann kann ich mit denen auch sehr viel im Service selber machen. Also der Kunde kann seinen Service, seine Wartung selber durchführen oder auch kleinere Probleme beheben, wenn ich ihm Zugang zu Wissen gebe.

Das kann ich mir bezahlen lassen. Der Preisoptimierer sagt, Hauptsache Schlagzahl, ich will gar nicht viel selber machen und außerdem habe ich schnellen Wechsel in meinen Instandhalter und die Bediener wechseln auch regelmäßig. Es muss möglichst einfach sein. Und der Komfortbewusste sagt, komm doch, du kennst dich eh am besten damit aus, ich zahle es auch. Heißt, ich muss meine Kundengruppen analysieren, das waren jetzt drei Beispiele, die ich beschrieben habe, die wir einfach häufig sehen, dieses Dreierlis. Kann auch sein, dass Sie vier brauchen oder nur zwei, je nach Unternehmen und Markt muss ich das Geschäftsmodell ändern. Und Kundenorientierung und Serviceorientierung heißt, ich entwickle tatsächlich ein Dienstleistungsprodukt, was sich an Kundennutzen orientiert. Und wenn ich Geschäftsmodelle hier entwickle, heißt das auch für die Dienstleistung, Produktmanagement zu betreiben.

Das heißt, mein Tipp auch an alle, die sich damit beschäftigen gerade, schauen Sie, wie sieht Ihr Produktmanagementprozess aus für ein Dienstleistungsprodukt. Das ist ein wichtiger Blick, da auch strukturiert reinzugehen, sich zu überlegen, wie kann die Dienstleistung aussehen. Ich war kürzlich bei einem Kunden, der hat mir seinen Premium-Service hingehalten und hat gesagt, das ist unser Premium-Service, aber der verkauft sich gar nicht. Die Kunden wollen den nicht. Dann habe ich den angeschaut und gesagt, ja, ich sehe auch überhaupt nicht, was dieser Premium-Service wirklich Premium ist.

Was ist der Premium-Teil? Da steht drauf, kostenlose Hotline. Ich sage, was kostet sie denn, wenn ich nicht den Premium-Service habe? Na ja, die Kunden können schon anrufen. Und sage ich, dann ist es kostenlos? Ja, das ist kostenlos. Und was war jetzt nochmal der Vorteil vom Premium-Service? Na ja, sie werden dann bevorzugt behandelt, sie werden schneller behandelt. Ich sage, was heißt denn schneller? Ja, sie haben kürzere Reaktionszeiten. Was heißt denn kürzer? Na ja, also, wenn wir fünf Anfragen haben, dann nehmen wir die zuerst. Sie sagen, wie schnell ist das jetzt? Hat das irgendwas, ich muss es greifen können. Ja, so genau haben wir das noch nicht festgelegt. Aber Premium heißt es schon mal.

ANDREA SPIEGEL: Und hat er selber gemerkt, dass es vielleicht ein bisschen …

MARILLA BAX: Hat er selber gemerkt, dass da noch ein bisschen Luft ist. Und es ist wichtig, dass man Dienstleistungen, wenn man sie verkaufen will, auch als Produkt versteht und damit verkaufsfähigen Eigenschaften versieht, dann kann übrigens auch der Vertrieb dieses Produkt verkaufen. Weil viele sagen, unser Vertrieb verkauft den Service nicht. Ja, weil es kein verkaufsfähiges Produkt ist. Der Vertrieb ist nicht per se gegen Service. Aber er sagt, das ist ein Produkt, ich kann es nicht greifen, ich kann nur sagen, es ist toll, aber gib mir ein Produkt, was verkaufsfähig ist. Heißt, es hat einen Produktnamen vielleicht sogar. Es hat Merkmale, es hat Eigenschaften, es hat Optionen. Und dann kann ich damit auch arbeiten und verhandeln. Solange das nicht passiert, wird der Vertrieb immer sagen, kann ich nicht verkaufen.

ANDREA SPIEGEL: Kann ich nichts mehr anfangen.

ANDREA SPIEGEL: Wir haben bereits darüber gesprochen, dass viele Unternehmen möglicherweise ein Geschäftsmodell haben, das hauptsächlich auf ihr Produkt ausgerichtet ist. Nun kommt jedoch durch verschiedene externe und interne Faktoren das Thema Service als Geschäftsmodell ins Spiel. Wie sollte man also mit dem bestehenden Geschäftsmodell im Verhältnis zu diesem neuen Ansatz umgehen? Existieren sie nebeneinander? Schließen sie einander aus? Wie funktioniert diese Koexistenz und wie geht man damit um?

MARILLA BAX: Das ist eine herausfordernde Frage, aber eine sehr wichtige. Wir können nicht einfach von heute auf morgen unser Geschäft schließen und am nächsten Tag mit neuen Dienstleistungen starten. Wir müssen sicherstellen, dass wir die bestehenden Leistungen sanft auslaufen lassen, anstatt unsere Kunden vor vollendete Tatsachen zu stellen und zu sagen: “Bisher war es so, aber ab morgen ändert sich alles, und Sie müssen sich damit zurechtfinden.” Wir müssen unsere Kunden behutsam daran gewöhnen.

Hier komme ich wieder auf das zurück, was ich zuvor erwähnt habe. Wir müssen uns mit dem Kunden und seinem Nutzen auseinandersetzen. Wenn wir ein neues Produkt entwickeln, sollte es idealerweise besser sein als das, was wir zuvor angeboten haben, oder zumindest anders. Im Idealfall bietet das neue Produkt einen Mehrwert, sodass der Kunde bereit ist, das alte Produkt loszulassen, wenn er erkennt, dass das neue für ihn vorteilhafter ist. Wir müssen diesen Mehrwert klar herausarbeiten, damit der Kunde versteht, dass das alte Produkt zwar akzeptabel ist, aber das neue besser ist. Wir müssen dies in einer Sprache tun, die der Kunde versteht.

In einer anderen Podcastfolge haben wir bereits über das Thema Erreichbarkeit gesprochen, bei dem oft auch das Wort “Reaktionszeit” auftaucht. Kunden verstehen oft unter “Reaktionszeit” die Zeit bis zur Lösung eines Problems. Doch in den meisten Unternehmen der Industrie ist die Reaktionszeit nicht gleichbedeutend mit der Lösungszeit. Es gibt keine einheitliche Definition von Reaktionszeit, die für alle gilt.

Reaktionszeit kann in verschiedenen Unternehmen unterschiedlich definiert sein. In vielen Unternehmen bedeutet Reaktionszeit, wie schnell man auf Kundenanfragen am Telefon oder per E-Mail reagiert und dabei eine qualifizierte Aussage darüber trifft, was das Problem ist und wie lange die Lösung voraussichtlich dauern wird. Dies ist jedoch oft nur eine Annahme und keine klare Definition.

ANDREA SPIEGEL: Was ist der genaue Unterschied?

MARILLA BAX: Genau, was ist der Unterschied? Reaktionszeit ist ein nicht klar definierter Begriff, den man nicht einfach im Duden nachschlagen kann. Jedes Unternehmen hat seine eigene Interpretation von Reaktionszeit. In vielen Unternehmen bedeutet Reaktionszeit, wie schnell man in der Lage ist, auf Kundenanfragen am Telefon oder per E-Mail zu reagieren und dabei eine qualifizierte Antwort auf das Problem zu geben. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Lösung sofort verfügbar ist. Reaktion bedeutet also, wie schnell und qualifiziert auf eine Anfrage reagiert wird.

Ein Beispiel: Ein Unternehmen sagt, es reagiert schnell, indem es automatisch ein Ticket erstellt und dem Kunden eine E-Mail mit einer Ticketnummer sendet, sobald dieser eine Anfrage per E-Mail sendet. Der Kunde erhält also eine Antwort, aber keine Lösung für sein Problem.

ANDREA SPIEGEL: Aber es passiert noch nichts.

MARILLA BAX: Genau, es passiert noch nichts, und der Kunde erwartet mittlerweile eine qualifizierte Antwort. Das bedeutet, jemand muss sich mit dem Anliegen befassen und eine Aussage darüber treffen können, wie schnell das Problem gelöst werden kann oder ob ein Techniker vor Ort erforderlich ist. Die Definition von Reaktionszeit kann also von Unternehmen zu Unternehmen variieren.

Es ist wichtig, die Erwartungen des Kunden in Bezug auf die Reaktionszeit zu klären. Ein Beispiel ist die Reaktionszeit für Techniker vor Ort. Wie schnell können wir sicherstellen, dass ein Techniker vor Ort ist, wenn der Kunde uns kontaktiert? In einigen Fällen könnte dies innerhalb von 24 Stunden sein, während es in anderen Fällen schneller sein muss.

Es gibt jedoch auch juristische Aspekte zu berücksichtigen, wie die Frage, ob die 24-Stunden-Reaktionszeit auch außerhalb der Bürozeiten gilt. Wenn Sie es genau nehmen, könnte die Reaktionszeit erst nach zwei Tagen verstrichen sein. Aber das entspricht nicht der allgemeinen Praxis.

ANDREA SPIEGEL: Das wäre wahrscheinlich nicht das, was Kunden erwarten würden, wenn sie von einer 24-Stunden-Reaktionszeit hören.

MARILLA BAX: Genau. Also wenn ich Dinge messbar machen will und sage, okay, unsere Reaktionszeit ist 24 Stunden, muss ich auch dazu sagen, was heißt für uns Reaktionszeit und damit auch für den Kunden. Stichwort Erwartungen klären. Heißt, wenn ich sage, 24 Stunden vor Ort, heißt, Techniker ist morgen vor Ort, wenn ihr heute bis 17 Uhr euren Fall bei uns meldet. Dafür stehen wir gerade, dass der bis spätestens morgen 17 Uhr da ist. Das stellt natürlich recht hohe Anforderungen an so eine Technikermannschaft. Ich muss wissen, wo bin ich denn in der Lage, in welchem Umkreis das zu leisten? Wie weit sind meine Reisewege?

ANDREA SPIEGEL: Wie viele Einträge habe ich vielleicht schon für den nächsten Tag vorliegen?

MARILLA BAX: Ja, weil wenn ich das irgendwo reinschreibe, dann muss ich das auch irgendwo leisten.

ANDREA SPIEGEL: Habe ich überhaupt alle Techniker da, die diesen Fall lösen können.

Also ist ja auch nochmal ein Unterschied.

MARILLA BAX: Haben alle Techniker die Fähigkeit, haben die das Wissen dazu, haben die die Werkzeuge, haben die die Zeit, sind die verfügbar, habe ich ein Netz dafür? Wenn meine Kunden alle im Umkreis von 50 Kilometer sind und ich habe hier 30 Techniker sitzen, ja, dann kann ich das vermutlich leisten. Habe ich 30 Techniker und der Umkreis ist 5000 Kilometer, weil ich irgendwie europaweit aktiv bin, da kann es schon eng werden. Wir haben einen Kunden, der sagt, unsere Kunden sind weltweit, allerdings sind die immer unterwegs, weil meine Kunden sind Schiffe. So, jetzt bekommst du einen Techniker, mach schnell aufs Schiff. Entweder, wenn das Schiff im Hafen ist, oder ich muss mit dem Hubschrauber hin.

Einfliegen, es ist ja tatsächlich so. Und dieser Kunde, das ist eine IT, die IT-Abteilung tatsächlich, die natürlich die IT auf einem Schiff versorgt. Und da kann der IT-Techniker nicht mal eben hinfliegen. Er müsste es eigentlich. Da kann ich aber tatsächlich auch nicht versprechen, innerhalb von 24 Stunden sind wir da. Ich kann da nur etwas versprechen, was ich tatsächlich beeinflussen kann. Das heißt, ich kann sagen, wenn das Schiff im Hafen liegt, kann ich auch da sein. Da kann ich ihn hinbringen, den Techniker. Da kann ich auch einigermaßen kalkulieren, wie schnell kommt er hin. Gut, unter Pandemiezeiten vielleicht nicht ganz so.

ANDREA SPIEGEL: Wollte gerade sagen, wenn dann so eine Pandemie von der Seite kommt, dann kann es auch mal schwierig werden.

MARILLA BAX: Dann ist die Frage, ist das Schiff remotefähig?

ANDREA SPIEGEL: Wollte gerade sagen, dann wäre vielleicht Remote Support eine gute Lösung.

MARILLA BAX: Genau, auch das kann ich ja definieren. Kann ich remote irgendetwas tun? In welchem Zeitfenster? Da kommen Digitalisierungen natürlich zu Pass. Je mehr von den Systemen Online-Zugang haben, desto mehr kann ich auch online ermöglichen.

Das heißt, es gilt ja zu vermeiden, dass ein Techniker raus muss. Jetzt kommen wir zu den Produkteigenschaften. Ich muss beschreiben, was bin ich in der Lage zu leisten und welchen Mehrwert hat das für den Kunden. Wenn der Kunde sagt, 24 Stunden ist toll, aber mir hilft das nur, wenn es in 5 Stunden geht, wenn wir Medizintechnik nehmen.

ANDREA SPIEGEL: Dann muss Scotty ran.

MARILLA BAX: Ja, dann muss ich natürlich die Frage stellen, wie groß muss mein Technikernetz sein? Wenn ich jetzt in der Medizintechnik bin, wo es um Leben und Tod geht, das heißt, ein Operateur steht da und operiert im offenen Herzen, das ist mal übertrieben gesagt, und diese Anlage geht kaputt. Davon haben die Krankenhäuser jetzt nicht 10 Stück stehen, sondern ein oder vielleicht auch zwei.

ANDREA SPIEGEL: Und kann auch nicht noch 2 Stunden rumliegen.

MARILLA BAX: Ja, auch das. Natürlich haben die dann Notfallsysteme, die können sich schon irgendwie 2 Stunden behelfen, aber sie können nicht 3 Tage auf den Techniker warten. Und wenn man das jetzt an solchen lebensbedrohlichen Anlagen sieht, dann hat mein Kunde ein ganz anderes Verständnis von Reaktionszeit, als wenn ich jetzt eine Anlage betreue, die Schräubchen für Brillen herstellt.

Dann geht natürlich auch Geld durch. Aber die, die Schräubchen für Brillen herstellen, wir beide tragen Brillen, die haben wahrscheinlich in dieser Produktionskette noch 3 gleichartige Maschinen. Da fällt dann eine aus, ist Verlust, klar, tut weh. Aber die können im Zweifel auch mal 2 Tage warten. Also im Vergleich jetzt einfach nur, wenn es um Leben und Tod geht oder nur um Geld. Nur um Geld. Da muss ich gucken, was ist der Schmerz meines Kunden, was ist er bereit dafür auszugeben? Stichwort Geld.

Wenn ich also ausrechnen kann, was kostet ihn eine Stunde Stillstand der Maschine, dann kann ich das auch als Maßstab nehmen, was darf denn ein Service kosten in einer gewissen Geschwindigkeit? Nun muss ich das wissen, also muss ich ausrechnen können, dann kriege ich da eine andere Wertigkeit in einer Dienstleistung. Wenn ich dem Kunden sage, wenn du nur bereit bist für eine Reaktionszeit von, sagen wir, 96 Stunden Geld auszugeben, aber deine Maschine, wenn die 3, 4, 5 Tage stillsteht und deine Produktion läuft nicht, was kostet dich das, dieser Ausfall?

ANDREA SPIEGEL: Ist es dann nicht doch lohnenswert?

MARILLA BAX: Lohnt es sich dann nicht doch mehr Geld für den Service auszugeben? Dann sind die meist auch im Verhandlungsbereich. Am Ende wollen ja alle verhandeln. Das heißt auch da, ich sollte mir ein bisschen Verhandlungsspielraum einarbeiten. Jetzt sind wir wieder beim Vertrieb. Der kann verkaufen, aber er braucht Verhandlungsspielraum.

ANDREA SPIEGEL: Das haben wir, glaube ich, auch in der ersten Folge schon mal besprochen, was man den Leuten alles mitgeben muss, also seiner Mannschaft quasi, um da eine gute Grundlage zu schaffen.

MARILLA BAX: Alle brauchen Verhandlungsspielraum. Ein Vertrieb muss wissen, was kann ich an Nachlass geben, wo kann ich auch Zugeständnisse machen. Und auch da Schnittstelle, Vertrieb, Service ist ja auch bei Geschäftsmodellen so ein Punkt. Der Vertrieb sagt, das geht nicht, das müssen wir haben, oder auf jeden Fall, und schneller und schöner. Und der Service sagt, was sollen wir noch alles machen? Und dazwischen ist noch irgendwo die Projektierung, die da sagt, geht’s noch? Und die Konstruktion sagt, um Gottes willen.

Die muss ja alle unter einen Hut bringen. Und am Ende muss es auch servicefähig sein, das Gerät. Stichwort Konstruktion, fällt mir aber grad so ein. Wenn das Produkt nicht servicefähig ist, also so verbaut ist alles, dass der Techniker, wenn er dran geht, sagt, um Gottes willen, jetzt muss ich wieder eine Stunde erstmal nur damit mich beschäftigen, alles abzubauen, damit ich dahin komme, wo ich eigentlich hin muss. Das ist auch blöd.

Wenn die nicht remotefähig sind, oder erst nachträglich remotefähig gemacht werden müssen durch irgendwelche Anbauten, ist auch schwierig. Kürzlich habe ich einen Techniker begleitet, beinahe in Betriebnahme auch, der musste vor Ort noch den Stecker wechseln, weil dann nicht klar war, ist das Drehstrom oder Wechselstrom, oder was haben wir eigentlich für einen Stecker? Und das musste er aufwendig umbauen. Das war zum Glück Elektriker und hatte zufällig auch das Zubehör dabei. Praktisch. Aber jetzt kann man fragen, was ist der Fehler?

Der Fehler ist entweder von der Konstruktion, dass die das nicht gleich mit Stecker vorsehen, ob es denn geht, weiß ich gar nicht. Aber ich würde noch einen Schritt weiter gehen und sagen, der Vertrieb hat da nicht aufgepasst, oder derjenige, der die Montagesituation vorher klären muss. Da brauchen wir Stecklisten. Und auch das zählt ja in den Service mit rein. Wie viel Sicherheit gebe ich da in so einen Prozess, damit mein Geschäftsmodell auch wirtschaftlich bleibt?

Weil wenn ich so ungeplante Aktivitäten vor Ort habe, ich muss mal eben noch irgendwas umbauen. Kostet wieder Zeit und Geld. Das Teil muss dabei sein. Das Teil kostet Zeit und nimmt mir Zeit für andere Dinge. Das ist schade. Und wenn der Techniker dann nicht mal weiß, was das Teil kostet, kann er den Kunden auch gar nicht sagen, kostet jetzt übrigens 27,80 Euro extra.

ANDREA SPIEGEL: Könntest du bitte noch einmal zusammenfassen, was mein Kunde eigentlich davon hat, wenn ich ein neues Geschäftsmodell entwickle? Was ist der tatsächliche Nutzen für den Kunden, für den es gedacht ist? Du hast bereits von Premium gesprochen, aber könntest du das näher erläutern?

MARILLA BAX: Ja, im Idealfall bedeutet Premium einen störungsfreien Betrieb. Das heißt, seine Maschine oder Anlage läuft zuverlässig, es gibt weniger Ausfälle, und wenn doch Ausfälle auftreten, sind sie geplant. Das ist ein entscheidender Aspekt. Es bedeutet weniger Störungen und weniger unvorhergesehene Probleme. Dadurch kann der Kunde mehr Gewinn aus seinem Equipment ziehen, unabhängig von der jeweiligen Situation. Als Serviceanbieter kennen wir die Maschine, ihre Nutzung und können im besten Fall beratend tätig werden. Wir können ihm zeigen, wie er noch mehr aus seinem Produkt herausholen und effizienter arbeiten kann. Letztendlich kann er seine Geschäftsprozesse optimieren und dadurch mehr Gewinn erzielen.

ANDREA SPIEGEL: Das ist schließlich das Ziel für uns alle.

MARILLA BAX: Absolut, am Ende geht es darum, Geld zu verdienen. Genau das ist unser Ziel.

ANDREA SPIEGEL: Was würdest du nun empfehlen oder wie würdest du vorgehen, wenn jemand erkennt, dass es in seiner Organisation Potenzial für ein neues Geschäftsmodell gibt? Wie geht man an die Sache heran? Und wen sollte man in diesen Prozess einbeziehen? Gibt es ein Beispiel aus deiner Erfahrung, bei dem du an der Implementierung eines neuen Geschäftsmodells beteiligt warst? Ich stelle mir vor, dass es nicht einfach ist, einfach zu sagen: “Wir ändern alles ab morgen.”

MARILLA BAX: Eine wichtige Frage ist zunächst einmal: Wer stellt überhaupt die Frage, ob ein neues Geschäftsmodell benötigt wird? Oftmals sind die Service-Mitarbeiter sehr engagiert und leidenschaftlich, aber sie finden nicht immer Gehör in der gesamten Organisation. Aktuell erleben wir jedoch, dass der Vertrieb auf dem Markt den Bedarf erkennt. Kunden fragen vermehrt nach den angebotenen Dienstleistungen und Beratungsleistungen sowie nach Unterstützung bei der Optimierung ihrer Geschäftsprozesse. Der Impuls kommt also von außen, und es ist nicht mehr notwendig zu erklären, warum Veränderungen notwendig sind, da der Markt sie bereits fordert. Dies ist in der aktuellen Zeit besonders ausgeprägt, da das Thema Digitalisierung und Industrie 4.0 noch nicht überall umgesetzt ist, insbesondere im Mittelstand.

Der Markt erfordert diese Veränderungen, und es gibt keine andere Option. Es gibt jedoch immer noch Kunden, die trotz ihres Erfolgs am bestehenden Geschäftsmodell festhalten. Sie sehen Service nicht als Gewinnquelle, sondern als Unterstützung für den Produktverkauf. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Kunden mit ihren Maschinen zufrieden sind und weitere Maschinen kaufen. Für sie spielt es keine Rolle, ob der Service profitabel ist; es geht darum, den Kunden dazu zu bringen, weitere Maschinen zu kaufen. Dies kann ein erfolgreiches Geschäftsmodell sein. Diese Kunden investieren möglicherweise sogar Geld in den Service, ohne darauf zu achten, ob dieser profitabel ist. Ihr Hauptziel ist es, das Produkt zu fördern, und sie verdienen derzeit Geld mit den Maschinenverkäufen.

Die Frage besteht jedoch darin, wie lange dieses Modell aufrechterhalten werden kann. Dies ist eine wiederkehrende Diskussion, bei der ich mit Kunden in den Dialog trete. Der Kunde argumentiert, solange seine Maschinen führend auf dem Markt sind und er in dem, was er tut, an erster Stelle steht, hat er die Möglichkeit, nur mit dem Produkt auf dem Markt zu bestehen. Dennoch benötigt er den Service, um sicherzustellen, dass sein Produkt erfolgreich ist, denn nur wenn das Produkt einwandfrei funktioniert, ist der Kunde zufrieden. Hier kommt der Service wieder ins Spiel, auch wenn es sich um einen überwiegend reaktiven Service mit einigen präventiven Maßnahmen handelt.

ANDREA SPIEGEL: Wie würdest du denn sagen, gibt es so etwas wie ein ideales Geschäftsmodell im Bereich Service? Ist es überhaupt möglich, das zu definieren? Oder ist es so spezifisch, dass es keine allgemeinen Regeln gibt?

MARILLA BAX: Tatsächlich denke ich, dass es eine Art “Dreierregel” gibt – alle guten Dinge sind drei, wie man so sagt. Und das erinnert mich daran, dass ich ein Fan von Werder Bremen bin. In Bremen sagt man…

ANDREA SPIEGEL: Das darf man hier im Schwabenland eigentlich nicht sagen.

MARILLA BAX: Doch, Werder ist hier geduldet. Werder ist immer geduldet. Und wie man so sagt: “Dreimal ist Bremer Recht.” Also, dreimal kommt irgendwo her.

ANDREA SPIEGEL: Ich lasse das jetzt einfach mal so stehen.

MARILLA BAX: Also, dreimal ist Bremer Recht, dreimal ist auch Recht bei einem Geschäftsmodell. Jetzt erinnere ich mich nicht an deine Frage. Das ist ja auch schön, oder?

ANDREA SPIEGEL: Die Frage war, wie so eine goldene Regel für ein Service-Geschäftsmodell aussehen könnte.

MARILLA BAX: Jetzt bin ich wieder im Bilde. Also, ich würde jedem empfehlen, in drei Kategorien von Serviceleistungen zu denken. Erstens, das Kerngeschäft des Service, aus dem wir alle kommen, das sich auf Störungen konzentriert. Das ist mein klassisches Geschäft, das auch weiterhin bestehen bleibt, weil immer noch Dinge kaputtgehen. Das sind die reaktiven Services.

Neben diesem rein reaktiven Service gibt es den präventiven Service, der darauf abzielt, Störungen zu vermeiden und sicherzustellen, dass die Maschinen länger und effizienter laufen können. Und schließlich gibt es additive Services als dritte Kategorie, die unabhängig von Prävention und Störung sind. Diese Kategorie kann beispielsweise Geschäftsprozessberatung, Analysen oder Schulungen für Bediener oder Einrichter umfassen, je nachdem, was das Geschäftsmodell erfordert. Wenn man in diesen drei Kategorien denkt – was kann ich reaktiv anbieten, um Störungen zu beheben; was kann ich präventiv anbieten, um Störungen zu vermeiden; und was kann ich additiv an Beratung und Zusatzleistungen bieten, um dem Kunden maximalen Nutzen zu bieten und die Lebensdauer des Produkts zu verlängern – hat man eine gute Ausgangsbasis für ein erfolgreiches Service-Geschäftsmodell.

ANDREA SPIEGEL: Wie kann ich nun, wenn ich all diese Schritte durchgeführt habe und der Prozess reibungslos zu funktionieren scheint, sicherstellen, dass alles messbar bleibt? Wie kann ich sicherstellen, dass ich die Ergebnisse belegen kann, besonders im Hinblick auf Geschäftszahlen und die Wirtschaftlichkeit, abgesehen von deinem einen Kunden, bei dem die Wirtschaftlichkeit keine Rolle spielt? Wie kann ich das nach oben hin vertreten und messbar machen, dass die Umstellung erfolgreich war?

MARILLA BAX: Der Vorteil besteht darin, dass je mehr meiner Leistungen nicht reaktiv sind, desto mehr planbare Leistungen habe ich. Das bedeutet, ich kann meine Mitarbeiter viel effizienter einsetzen. Ähnlich wie in der Produktion, wo es eine Produktionsplanung gibt, sollte es auch eine Serviceplanung geben.

ANDREA SPIEGEL: Genau, ich mache also eine Serviceplanung im Idealfall.

MARILLA BAX: Genau, und mein Forecast wird dadurch berechenbarer. Denn alles, was nicht planbar ist, bedeutet zunächst höhere Kosten aus interner Sicht. Ich muss Personal vorhalten, um auf unerwartete Situationen vorbereitet zu sein. Geplante Aktivitäten hingegen ermöglichen mir, Umsatz zu planen.

Jetzt, wenn wir uns den rein reaktiven Service anschauen, ist das gewissermaßen wie Wetten. Ich wette darauf, dass das System höchstens dreimal im Jahr ausfällt, und plane entsprechend den Einsatz eines Technikers. Diese Planung kann aufgehen, aber sie kann auch schiefgehen. Je besser ich diese Planung gestalte, unter Berücksichtigung von Kennzahlen und der Analyse vergangener Jahre, desto genauer kann ich vorhersagen, wie viele der 100 installierten Geräte voraussichtlich ausfallen und einen Serviceeinsatz erfordern. Hierbei ist es entscheidend, dass ich auf historische Daten zurückgreife und diese für meine Planung aufbereite. Zum Beispiel ist es wichtig zu wissen, wie viele Systeme sich im Feld befinden und wie deren Ausfalltrends sind. Auch welche Arten von Ausfällen auftreten, spielt eine Rolle. Dabei gibt es planbare Ausfälle, wie die Wartung, die ich im Voraus planen kann. Wenn ein Kunde jedoch die Wartung nicht in Anspruch nimmt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Gerät bald ausfällt. In solchen Fällen sollte mir das auffallen. Es ist also wichtig, die installierte Basis genau zu kennen und die Zahlen entsprechend zu verfeinern.

ANDREA SPIEGEL: Und natürlich Daten sammeln, akkurat aufbereiten und aufbewahren.

MARILLA BAX: Richtig, das ist der erste Schritt. Bei euren Systemen besteht die Möglichkeit, aus der Servicehistorie, der Gerätehistorie und der Kundenhistorie Daten abzuleiten, die eine Prognose ermöglichen.

ANDREA SPIEGEL: Und daraus lernen.

MARILLA BAX: Genau, und dabei lerne ich nicht nur, wie ich reaktiven Service optimieren kann, sondern auch, wie ich präventive Maßnahmen ergreifen kann. Wenn ich beispielsweise feststelle, dass Kunden weniger Teile wie Wartungskits, Schmiermittel oder Verschleißteile kaufen, muss ich darauf reagieren. Das kann aufgrund von sinkendem Umsatz oder vergessenen Bestellungen geschehen. Ich kann Kunden kontaktieren und nachfragen, warum sie nicht mehr bei uns kaufen. Vielleicht haben sie es vergessen, oder sie kaufen woanders ein, weil es günstiger ist. In diesem Fall kann ich Gespräche führen, um die Qualität der Produkte und den Einfluss auf die Lebensdauer der Maschinen zu klären. Ich habe alle erforderlichen Informationen zur Hand, um in den Dialog zu treten.

ANDREA SPIEGEL: Das bietet sozusagen viele Handlungsoptionen.

MARILLA BAX: Ganz genau, zahlreiche Handlungsmöglichkeiten. Zudem kann ich alle diese Informationen in Kennzahlen aufbereiten. Auch das Thema Up- und Cross-Selling von Teilen ist wichtig. Wenn ein Kunde Teil A kauft, benötigt er vielleicht auch Teil B, wie beispielsweise ein Wartungskit. Das ist ein entscheidender Aspekt, den ich berücksichtigen kann. Habt ihr überhaupt ein Wartungskit oder Wartungsset im Angebot? Oder welche Teile haben eine hohe Ausfallrate?

ANDREA SPIEGEL: Es wäre sinnvoll, so etwas anzubieten, oder?

MARILLA BAX: Ja, das wäre definitiv sinnvoll. Dabei muss ich jedoch meine Zahlen genau analysieren. Welche Teile sind besonders gefragt und wie entwickeln sie sich? Gibt es Produkte, die sich schlecht verkaufen und eventuell aus dem Sortiment genommen werden sollten? Auch dies sind Informationen, die ich benötige, um meine Serviceabläufe wirtschaftlicher zu gestalten, denn Stillstand im Lager verursacht Kosten.

ANDREA SPIEGEL: Was würdest du jemandem raten, der trotz allem, was er bisher gehört hat, immer noch zweifelt, ob es sich für sein Unternehmen wirklich lohnt, Service als Geschäftsmodell zu etablieren? Ist das wirklich eine sinnvolle Option?

MARILLA BAX: Nun, in diesem Fall sollte er sich auf seine Kunden und den Markt konzentrieren und aktiv Informationen einholen. Es ist wichtig, erneut mit dem Vertrieb in Kontakt zu treten und zu fragen, welche Signale sie aus dem Markt empfangen. Der Dialog mit dem Vertrieb ist stets von großer Bedeutung. Allerdings sollte man auch berücksichtigen, ob der Vertrieb hauptsächlich auf den Verkauf von Neumaschinen ausgerichtet ist oder ob er auch Bestandsmaschinen und Bestandskunden betreut. Die Wahrnehmung des Marktes kann je nach Ausrichtung des Vertriebs unterschiedlich sein.

Beide Aspekte sind wichtig, und es gibt oft eine Lücke bei der Betreuung von Bestandskunden, die nicht immer angemessen besetzt ist. Manchmal liegt diese Aufgabe tatsächlich beim Service.

Letztendlich muss die Geschäftsführung entscheiden, wie das Unternehmen zukünftig Geld verdienen will. Es ist entscheidend zu prüfen, welche Leistungen profitabel sind. Wird es in Zukunft noch ausreichend Marge durch das Produkt geben, oder benötigen wir zusätzlich Margen aus dem Servicebereich? Dabei darf man nicht vergessen, dass Service ein People-Business ist, und Techniker nicht einfach wie Lagerbestände behandelt werden können. Wir sollten darüber sprechen, wie wir effizient Techniker einsetzen können, und auch darüber, wie wir Fachkräfte für den Servicebereich gewinnen und binden können. Wenn wir einen Techniker gefunden und ausgebildet haben, was oft zeitaufwändig und kostspielig ist, sollten wir sicherstellen, dass wir diese Ressource bestmöglich nutzen und sie für unser Unternehmen erhalten. Allein dieser Aspekt sollte ausreichen, um die Bedeutung des Servicegeschäfts zu erkennen: Was können wir mit dieser Ressource erreichen, und wie stellen wir sicher, dass sie bei uns bleibt?

ANDREA SPIEGEL: Zum Abschluss, könntest du uns noch deine drei wichtigsten Tipps für die erfolgreiche Umsetzung eines serviceorientierten Geschäftsmodells geben, wenn jemand dies neu implementieren möchte? Welche entscheidenden Aspekte sollten unbedingt beachtet werden?

MARILLA BAX: Natürlich, gerne. Mein erster Tipp wäre, das Vorhaben strategisch zu verankern, idealerweise auf Vorstandsebene. Es ist wichtig sicherzustellen, dass die Geschäftsführung das Servicegeschäft aktiv unterstützt und die erforderlichen Ressourcen, sowohl Zeit als auch Geld, zur Verfügung stellt.

Der zweite Tipp wäre, den Vertrieb mit einzubeziehen und deutlich zu machen, dass ein effizienter Service auch den Produktverkauf unterstützt. Dabei ist es hilfreich, ein klares Bild vom Markt und den Bedenken und Fragen des Vertriebs zu erhalten.

Und schließlich mein dritter Tipp wäre, die Mitarbeiter aktiv einzubeziehen und ihnen zu verdeutlichen, dass die Implementierung eines serviceorientierten Geschäftsmodells dazu dient, ihre Arbeitsplätze zu sichern und Potenziale für zusätzliche Einnahmen zu erschließen.

ANDREA SPIEGEL: Das war eine ausgezeichnete Zusammenfassung. Die Zeit verging wie im Flug, und wir sind bereits am Ende der Folge angelangt. Es war wieder einmal äußerst spannend. Dieses Thema bietet sicherlich noch viel Gesprächsstoff, und wir könnten wahrscheinlich noch stundenlang darüber sprechen.

Wenn ihr Fragen habt, könnt ihr sie gerne in den Kommentaren hinterlassen. Wir leiten sie gerne an Marilla weiter. Ihr könnt uns auch Direktnachrichten senden oder eine E-Mail schreiben, je nachdem, welcher Kommunikationskanal euch am liebsten ist. Wenn euch die Folge gefallen hat, gebt uns gerne einen Daumen nach oben oder hinterlasst eine Bewertung auf iTunes. Ihr könnt uns auch Themenvorschläge für zukünftige Folgen mitteilen, sei es in den Kommentaren oder auf andere Weise. Nochmals herzlichen Dank, Marilla. Und bis zum nächsten Mal. Machts gut.

Welche Idee steckt hinter der Multikommissionierung in der Lagerlogistik?

„Die Idee bei der Multikommissionierung ist auch da, eben solche Leerfahrten, Leerwege, egal ob jemand läuft oder eben fährt, zu vermeiden.“

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