#23 Produktion 4.0 – Fabrik der Zukunft mit Pascal Löchner

Podcast Industrie 4.0 | Der Expertentalk für den Mittelstand

Die Smart Factory oder digitale Produktion ist das Thema in Folge #23 unserer Videoshow. Andrea Spiegel spricht mit Pascal Löchner, Geschäftsführer und Head of Sales der L-mobile, über die neue Komplexität von Geschäftsprozessen in der Fertigung und wie Digitalisierung hier Abhilfe schaffen kann.

Wir klären Fragen wie:

Wie digitalisiere ich meine Fertigung? Welche Herausforderungen birgt Industrie 4.0? Welchen Mehrwert bietet eine Smart Factory? Welche neuen Geschäftsmodelle entstehen durch Digitalisierung? Welche Technologien kommen in einer digitalen Fabrik zum Einsatz? Welche Rolle spielen Automatisierung und Predictive Maintenance?

All diese Fragen besprechen wir anhand anschaulicher Praxisbeispiele. Außerdem gibt Pascal einen Einblick in das Potential modularer Arbeitsplätze und weiterer Zukunftstechnologien.

Das Transkript zur Podcast-Folge: Fabrik der Zukunft

ANDREA SPIEGEL: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge Industrie 4.0, der Experten-Talk für den Mittelstand. Heute werfen wir gemeinsam einen genaueren Blick auf die Smart Factory oder wie wir es heute nennen, Produktion 4.0. Ich denke, die meisten von euch haben bereits davon gehört, aber noch nicht alle Unternehmen haben diese Smart Factory umfassend implementiert. In dieser Folge werde ich gemeinsam mit meinem heutigen Gesprächspartner, Pascal Löchner, Head of Sales und Geschäftsführer bei L-mobile, tiefer in das Thema eintauchen. Hallo Pascal, schön, dass du heute hier bist.

PASCAL LÖCHNER: Hallo Andrea.

ANDREA SPIEGEL: Wie immer an der Stelle nochmal der Hinweis, auch die Folge gibt es wieder als Podcast bei Spotify, iTunes und Co zu hören, also hör doch gerne da einfach mal rein. Wie immer möchte ich dich bitten, dich kurz vorzustellen und uns zu erzählen, wer du bist und welche Rolle du bei L-mobile spielst.

PASCAL LÖCHNER: Mein Name ist Pascal Löchner, und ich arbeite seit elf Jahren bei L-mobile. In dieser Zeit habe ich mich intensiv mit der Digitalisierung von Geschäftsprozessen in verschiedenen Branchen beschäftigt. Damals war der Begriff Industrie 4.0 noch nicht so geläufig. Bei L-mobile bin ich hauptsächlich im Vertrieb und in der Geschäftsführung tätig.

ANDREA SPIEGEL: Das klingt nach einer spannenden Aufgabe.

PASCAL LÖCHNER: Ja, das ist es auf jeden Fall.

ANDREA SPIEGEL: Würdest du sagen, dass eine digitalisierte Produktion die Patentlösung ist, um mit den steigenden Prozesskomplexitäten, kürzeren Produktzyklen und ähnlichen Herausforderungen umzugehen? Ist die digitalisierte Produktion die ultimative Lösung dafür?

PASCAL LÖCHNER: Ich würde das eher mit “Jein” beantworten. Die steigende Komplexität, der wir heute gegenüberstehen, hat verschiedene Ursachen. Schauen wir zunächst auf den Markt unserer Kunden. Hier sehen wir eine deutlich höhere Produktvielfalt und kürzere Lieferzyklen. Das bedeutet, dass wir unsere Logistikketten und Fertigungsprozesse anders gestalten müssen als früher. Früher konnte man beispielsweise im Jahr eine Million Teile herstellen, die auf zwölf Monate verteilt wurden. Heute müssen wir flexibler sein, da Kunden individuelle Anpassungen wünschen. Selbst wenn es sich nicht um Massenprodukte handelt, möchten sie spezifische Änderungen, sei es die Farbe, Stecker oder andere Anpassungen. Das erhöht die Planungskomplexität und die Anforderungen an die Logistik erheblich.

Damit geht natürlich dann die Planungskomplexität hoch. Man hat sich jetzt in den letzten Jahren viel Mühe gegeben die Logistik deutlich zu professionalisieren, Lieferketten aufzubauen, Just in Time zu liefern. Die Automobil-Industrie hat es quasi vorgemacht, man liefert Just in Sequence das richtige Teil für das richtige Auto zum richtigen Zeitpunkt ans Band. Ganz so ist es im mittelständischen Industrieumfeld noch nicht ganz aber man versucht natürlich schon dann Lagerbestände runterzufahren, muss dann aber deutlich schneller reagieren was Bestellungen, Vereinnahmen angeben, braucht eine bessere Kontrolle über seine Bestände, um dann auch wirklich in Time mit dem versprochenen Kundentermin was produzieren und dann auch liefern zu können. Also die Unternehmen machen das heute alle, die kriegen das irgendwie auch hin, das was wir an Treffen ist sag ich mal immer das weit verbreitetste Produktionsplanungstool ist Excel, das wird eigentlich viel zu billig verkauft von Microsoft, das ist das was wir wirklich sehr häufig treffen und das trifft halt irgendwann mal an die Kapazitätsgrenze oder man muss es mit ganz viel Manpower, danach kompensieren. Du fragst dich ja was ist jetzt die Patentlösung dafür. Deswegen sag ich, ja die gibt es gar nicht. Also man muss sicherlich mit IT-Systemen arbeiten und wenn es Excel ist, das einem nachher dabei hilft und irgendwann merken halt die Unternehmen, jetzt wird es halt kapazitiv schwierig oder manche Lösung kann ich damit gar nicht fahren, da guckt man sich dann natürlich nach IT Systemen um. Die können jetzt unterschiedlichster Couleur sein, das können Backend Systeme sein, wie das ERP System, das kann eine Hardware Peripherie sein, die besser gesteuert ist, wie Stapler oder Maschinen, wo man dann wirklich Zeiten einspart, um Informationen zu transportieren. Das können digitale Lösungen sein, im Sinne von Tablets oder sagen wir mal, ja digitalen Geräten um Informationen an die Mitarbeiter hinzubringen, und natürlich auch operative Lösungen um Informationen besser beieinander zu halten. Also ich habe das nicht mehr total verflattert in zehn File Systemen, bisschen was im ERP, bisschen was im QS-Programm drin, sondern versucht es auch so ein bisschen zu sagen, wir zentralisieren, besser zu steuern, dass diese ganzen Aufbereitungszeiten schneller und zuverlässiger gehen. In der Richtung sucht man dann natürlich schon nach IT-Lösungen, die dann nachher auch sicherlich helfen.

ANDREA SPIEGEL: Wir werden uns diese Beispiele später anhören. Das Thema Personal werden wir auf jeden Fall noch vertiefen, da es eine wichtige Rolle spielt.

ANDREA SPIEGEL: Aber mich würde jetzt erstmal interessieren, wie sieht denn für dich, oder generell heutzutage die absolute Traumfabrik aus? Wenn man jetzt an eine Smart Factory denkt, wie sieht die aus, also wenn du jetzt mal voll durchstarten kannst, Budget spielt keine Rolle, sondern einfach mal, grüne Wiese, was geht und wie muss man sich das vorstellen?

PASCAL LÖCHNER: Ja, ich weiß gar nicht, ob das so das passende Beispiel ist, weil grüne Wiese trifft man ja im seltensten Falle an. Ich versuche es trotzdem mal ein bisschen zu formulieren. In den meisten Fällen haben wir ja eine gewachsene Firma, Bestandsgebäude, da haben sich Dinge etabliert. Das wird jetzt ein bisschen abstrakt. Also, wenn ich mir das wünschen dürfte, dann setzt sich das aus ganz vielen Einzelkomponenten zusammen, die auch ein bisschen was mit Digitalisierung zu tun haben, nicht immer, eher so ein bisschen aus dem Lean-Gedanken heraus. Fangen wir mal mit dem Optischen an: große Halle, weite Flächen, übersichtlich, hell, schöner Boden drin. Das ist das, was man in einer modernen Fabrik dann meistens sieht. Gute Beleuchtung. Dann gucken wir an die Arbeitsplätze, beziehungsweise schauen wir erstmal auf die Prozesse. Meistens sind die Prozesse durchdacht, das heißt links der Eingang, rechts der Ausgang, dazwischen wird etwas getan. An der Seite haben wir vielleicht noch die Lager, wo Material bereitgestellt wird. Ein gutes Abwägen zwischen Hauptlager und Kanban-Lager an den einzelnen Arbeitsplätzen, um den Materialflussprozess möglichst optimal zu gestalten.

Genau, dann ergonomische Arbeitsplätze, die sicherlich etwas ganz Tolles sind. Zur Ergonomie gehört dann sicherlich auch ein Stück weit das Thema digitale Arbeitsplätze. Das heißt, ich habe an jedem Arbeitsplatz auch ein digitales Terminal, wo ich auf alle relevanten Produktionsinformationen zugreifen und diese dann auch zurückmelden kann. Komplettes WLAN-Netzwerk in der Halle, vielleicht ein bisschen Ortungstechnologie noch dazu, also dann kommen wir schon ein bisschen an das Thema Tracking, mal völlig egal, welche Ortungstechnologie man nachher nimmt. Vieles bewegt sich von selbst, Staplerfahrer gibt es eigentlich fast keine mehr. Entweder Fördertechnik oder fahrerlose Transportsysteme, die dann auch durch Software und Materialflussrechner im Hintergrund gesteuert werden. Digitalisierte Produktion, alle Maschinen sind miteinander vernetzt, ganz, ganz wichtig. Das heißt, um das mal ganz praktisch zu beschreiben: Jede Maschine hat einen Netzwerkanschluss, ich kann dort auf Signale und Sensorik zugreifen. Ich habe eine fast schon erschreckende Anzahl an Sensorik irgendwo in dieser Werkshalle verbaut und eine Produktionssteuerung, die, sagen wir mal, zur Hälfte maschinell gesteuert wird. Also die ganze Materialflussgeschichte wird weitestgehend autonom von dem System selbst gesteuert. Der andere Teil, wie Prioritäten und Einplanung, da sind schon noch Menschen dran, die das machen.

Und dann ganz klar, die Männer und Frauen an den Arbeitsplätzen, egal ob das eine Maschine oder ein Montagearbeitsplatz ist, sind natürlich mittendrin und werden unterstützt von, ach, die Wissenschaftler nennen das immer so cyberphysische Systeme. Das heißt, irgendwelche Handlingapparate von der Software, die sie dann haben, von Hebehilfen, sodass das wirklich alles möglichst ergonomisch ist. In den Werbebildern sieht man es ja immer so schön, wenn die Menschen strahlend in ihrer Fabrikhalle arbeiten und mit voller Freude schrauben, alle haben gute Laune. Das wäre, sage ich mal, der Optimalfall. Und jetzt merkt man schon ein bisschen an der Beschreibung, das ist schon ein relativ hoch gesetztes Ziel. In vielen Firmen muss man sich das über viele, viele Jahre mit einem ganz klaren Digitalisierungs- und Lean-Gedanken erarbeiten.

Oh, eine Sache habe ich noch vergessen: Kennzahlen, ganz wichtig. Transparenz für die Mitarbeiter. Früher war es eher so, Akkordzahlen, die Schicht musste das erreichen, jeder wusste, wann er was gemacht hat, und dann war gut. Aber das war schon sehr auf den einzelnen Arbeitsplatz komprimiert. Mittlerweile geht man her und hat Übersichtsbildschirme mit den aktuellen KPIs: Was ist noch zu tun, wo wird es kritisch, wo muss man Kollegen helfen, wo kann man aushelfen, wo kann man noch mal ein bisschen was schiften, um das gesamtunternehmerische Ziel dann nachher zu erreichen.

ANDREA SPIEGEL: Du hast es gerade schon angesprochen, dass das jetzt eher so das Greenfield-Thema ist, so eine Traumfabrik aufzubauen. Ist das dann jetzt etwas, was ich im Brownfield, sprich in einer bestehenden Fabrik, nie erreichen werde, oder ist das etwas, wo man zumindest viel tun kann? Was sagst du da jemandem, der kommt und sagt: “Ja, ich habe aber eine Halle und ich kann jetzt gerade auch keine neue bauen, aber ich hätte gerne …”?

PASCAL LÖCHNER: Brownfield ist immer ein spannendes Thema. Ich glaube, das Allerwichtigste ist, am Anfang – das hatte ich auch schon bei der Logistik 4.0 erwähnt – die große Vision am Schluss zu haben. Das ist sicherlich wichtig. Also, irgendjemand muss es im Unternehmen geben, der, sage ich mal, ein Gesamtszenario im Kopf hat. Dieses Bild soll im besten Fall dann auch durch die Geschäftsführung getragen werden, weil es sonst nachher relativ wenig Sinn macht oder sehr mühsam wird. Ein schlauer Mann hat mal gesagt, die Leute scheitern nicht an ihren Zielen, weil sie zu hochgesteckt sind, sondern weil sie die Zeiträume zum Erreichen dieser Ziele viel zu eng setzen. Gerade bei bestehenden Firmen, bestehenden Strukturen und auch mit einem bestehenden monetären Gefüge im Mittelstand geht nicht alles immer in einem Jahr. Man muss das so ein bisschen auf der Zeitachse zurecht sortieren, seine Prioritäten setzen und dann die Baustellen angreifen, wo es momentan entweder am stärksten schmerzt oder wo das größte Potenzial für Nutzen zu erreichen ist. Mit diesen Themen sollte man beginnen.

Man hat dann seine 58 anderen Themen schon auf seiner Wunsch- und To-Do-Liste. Da sind vielleicht auch manchmal Themen dabei, die monetär nicht eins zu eins zu berechnen sind. Wir haben auch große Projekte, die irgendwo im Bereich von einer halben Million Euro liegen, schon mit starker Digitalisierung. Das Unternehmen weiß zwar, dass man einen Nutzen herrechnen kann, aber so ganz eindeutig ist das mit dem Nutzen nicht. Am Schluss ist es dann schon auch eine Frage des Wollens. Das ist bei investorengeführten Unternehmen schwieriger zu verargumentieren. Da ist dann eher der Blick in die Zukunft wichtig: Das ist der richtige Weg. Das ist irgendwie wie beim Telefon. Früher hat man ein Telegramm geschickt oder mit der Post einen Brief, heute würde niemand mehr daran denken. Hätten wir das den Leuten damals erzählt, hätten sie es auch nicht geglaubt.

ANDREA SPIEGEL: Heute telefonieren ja auch viele Leute schon gar nicht mehr gerne, sondern schicken lieber eine Nachricht.

PASCAL LÖCHNER: Genau, oder das ganze Thema Chatten, kollaboratives Arbeiten. Das sind Dinge, die heute schon fast normal sind. So ist das dann in der Produktion mit der Digitalisierung. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Auch weil das unser Business ist. Ich sehe das bei unseren Kunden immer wieder, das ist ganz klar der Trend, wohin es geht. Interessanterweise, wenn die Leute auch mal mit einem fragwürdigen Nutzen so eine Lösung eingeführt haben und man sie nachher fragt, dann wollen sie das auf gar keinen Fall mehr wegnehmen. Das geht nicht mehr, weil ganz viele Effekte auch für das Unternehmen sich erst nachher einstellen. Das können wir bei L-mobile oftmals gar nicht vorher wissen. Klar hat man immer so eine Ahnung und verargumentiert das dann nachher auch, aber oftmals merkt man erst im praktischen Doing, was die eigentlichen Benefits sind.

Ich vergleiche es immer mit dem Bau einer neuen Küche. Man muss ganz viel vorausdenken. Wo möchte ich meine Töpfe, Teller, Tassen haben?

ANDREA SPIEGEL: Und wo sollen die Elektrogeräte hin?

PASCAL LÖCHNER: Genau, wo sollen die Elektrogeräte hin? Wo steht der Sprudler und der Thermomix? Wie mache ich das mit dem Waschbecken und der Dunstabzugshaube? Mache ich sie nach oben oder nach unten? Und Smart Home, kann ich meinen Backofen mit der App steuern? Das sind ganz komplexe Fragen. Jeder, der schon mal eine neue Küche geplant hat, weiß, wie sich das anfühlt und ob die Entscheidungen richtig waren. Ob ich mir jetzt einen No-Name-Backofen für 700 Euro hole oder den tollen Bosch Smart Home Backofen für 2500 Euro mit Pyrolyse und sonst was, kann ich letzten Endes erst nach einem Jahr in der Küche beantworten. Ich hoffe, dass der Vergleich nicht zu abstrus ist, aber ich glaube, das kommt dem Gefühl nachher schon relativ nah.

ANDREA SPIEGEL: Man kann es, glaube ich, ganz gut nachvollziehen. Man muss die Dinge auch mal ausprobieren und erleben. Man kann nicht immer alles im Voraus planen, sagen wir es mal so.

ANDREA SPIEGEL: Gut, wir haben jetzt gehört, wo es hingehen kann und wo es hingehen darf, sage ich jetzt mal. Wieso haben dann nicht alle Mittelständler das schon gemacht? Man hört ja heraus, es macht irgendwie Spaß, es ist glaube ich auch sinnvoll und trotzdem hängt es immer wieder an diversen Dingen bei den Unternehmen. Warum haben es nicht alle schon gemacht?

PASCAL LÖCHNER: Eigentlich liegt es genau an den drei Themen, die ich schon genannt habe: Vision, Investment und die Zeitachse. Das sind die drei Themen, bei denen ich auch immer wieder merke, dass es da am meisten knackt.

Eigentlich hängt es auch immer mit der Vision zusammen. Wenn kein richtiger Treiber auf Unternehmensführungsebene dahinter ist, bleibt es immer stecken. Die meisten Digitalisierungsprojekte – ich möchte nicht sagen, dass Digitalisierung per se teuer ist, das wäre faktisch nicht richtig, wir haben auch ganz schlanke, kleine Digitalisierungslösungen – aber irgendwo muss man nachher investieren. Wenn die Vision nicht da ist, wird das Investment immer schwierig. Das Investment selbst hängt dann immer ein bisschen von der Finanzierung und der Nutzenargumentation ab. Der Nutzen muss ja auch jedes Unternehmen für sich selbst bewerten. Das fällt vielen Unternehmen ganz, ganz schwer, vor allem dann, wenn die Vision noch sehr vage ist und keine klare Vision dahintersteht. Wenn viel über Nutzen argumentiert werden muss, fällt es oft schwer, den Nutzen so klar darzustellen. Jeder hat ein Bild im Kopf, aber das richtig auf eine Zahl zu bringen, ist ganz schwierig.

Und oft passiert es, dass sich die Zeitachse zieht. Wenn man solche Projekte beginnt, hat man vor allem in größeren Firmen ganz viele Player am Tisch. Dann hat jeder seine Vorstellung davon: unterschiedliche Abteilungen, IT, Produktionsplanung, Geschäftsführung, vielleicht kommt noch HR oder der Betriebsrat dazu. Das streckt sich dann immer auf der Zeitachse und wird relativ zäh und manchmal auch frustrierend, weil oft wenig Erfahrung mit solchen Digitalisierungsprojekten insbesondere im Bereich der Produktion vorhanden ist. Manche Projekte bleiben schon stecken, bevor sie richtig losgegangen sind.

Die Frage nach den Gründen ist wichtig, aber noch wichtiger ist, wie man es tatsächlich besser hinbekommt. Ich sage immer noch: Vision, die muss da sein, sonst wird es schwierig. Dann die gewisse Beharrlichkeit zu haben und an diesem Kurs festzuhalten. Viele schauen immer nach Amerika zu den großen Unternehmen. Da wird digitalisiert, innerhalb von einer Nacht gibt es nagelneue Unternehmen aus dem Boden gestampft, Fintech-Unternehmen, Biotech-Firmen, die in kürzester Zeit bemerkenswerte Ergebnisse erzielen.

Wenn man das als Maßstab nimmt, verzweifelt man ein Stückchen. Ich sage dann eher: Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir möchten natürlich auch immer schnelle Erfolge mit unseren Kunden zusammen haben, aber dann eher kontinuierlich. Die Kunden, mit denen wir die besten Erfahrungen gemacht haben, sind die, die kontinuierlich drangeblieben sind, kontinuierlich die Einzelprojekte gemacht haben, das große Ganze im Blick behalten haben und sich dann Stück für Stück dorthin gearbeitet haben.

ANDREA SPIEGEL: Das ist, glaube ich, ein guter Punkt, dass du sagst, man muss nicht alles auf einmal machen. Das ist vielleicht auch ein entscheidender Hinweis an die Zuhörerinnen und Zuhörer: Man kann auch Stück für Stück digitalisieren. Das hat man, glaube ich, auch schon in früheren Folgen gehört, aber ich sage es nochmal.

PASCAL LÖCHNER: Unbedingt, es sei denn, es hat wirklich jemand zu viel Geld im Keller liegen und eine riesengroße Vision. Dann könnte man sagen: Alles klar, packt mal die Kohle auf den Tisch und los geht’s. Wobei unsere Kunden das dann immer noch verarbeiten können müssen. Ich habe ja nur die Menschen im Unternehmen, und klar, ich kann noch eine externe Beratung hinzuziehen. Diese Berater sind meiner Erfahrung nach aber nicht immer besonders nachhaltig. Der Berater kommt natürlich, berät, macht dann auch einen guten Job, aber er geht halt irgendwann wieder. Allein schon aus Kostengründen geht der externe Berater irgendwann, und dann ist die Frage, wie gut das alles gelaufen ist und wie gut ich die Mannschaft mitgenommen habe. Die müssen das nachher ja selbst durchtragen.

Von daher ist dieses Stückchenweise-Digitalisieren und Lernen wichtig. Wir haben auch Strukturen bei unseren Kunden, wo jahrzehntelang gediente Mitarbeiter im Unternehmen sind, die von Digitalisierung noch nicht viel gehört haben. Diese Mitarbeiter stehen vielleicht fünf bis zehn Jahre vor der Rente und fragen sich: Warum jetzt noch?

ANDREA SPIEGEL: Das hat ja bisher gut funktioniert.

PASCAL LÖCHNER: Genau. Da dann immer Stückchenweise auch in Einzelbereichen innovative Fortschritte zu machen und Präzedenzbeispiele im Unternehmen selbst zu schaffen, ist sicherlich der vielversprechendere Weg. Steter Tropfen höhlt den Stein, sagt man. Man darf nur nicht Gefahr laufen, dass man zu viele Einzel-, wie sagt man im Schwäbischen, “Fuzzelbaustellen” hat, also kleinteilige Einzellösungen, die nachher nicht viel miteinander zu tun haben. Da muss man dann schon ein bisschen drauf achten. Um das sukzessive zu machen, halte ich insbesondere für unsere mittelständische Struktur in Deutschland für besonders erfolgsträchtig.

ANDREA SPIEGEL: Kannst du da vielleicht aus deiner Praxis, du hast ja auch schon viel erlebt, viele Projekte mitgemacht, gerade jetzt in Bezug auf das Thema Produktion und Digitalisierung, ein Beispiel nennen? Eine Firma, die da – du musst die Firma nicht nennen – aber die ganzen Prozesse. Wie sind die das angegangen, wie haben die das dann überwunden? Gab es vielleicht Rückschläge? Wie muss man sich das in so einem echten Projekt vorstellen? Also, was kommt da alles auf einen zu?

PASCAL LÖCHNER: Ja, ich fange mal an und versuche ein paar praktische Beispiele zu nennen. Die sind jetzt vielleicht nicht ganz Mainstream, aber geben ein gutes Bild dafür, wie sich Firmen, sag ich mal, so vorangetastet haben. Wir haben ein Unternehmen, das macht Rolltore, also so Schnellauftore, wie man sie bei Aldi oder Lidl sieht.

ANDREA SPIEGEL: Da, wo die Waren rauskommen.

PASCAL LÖCHNER: Genau, da wo die Waren rauskommen. Das sind keine richtigen Tore, sondern eher Stoff- oder Planenvorhänge, die in einer Sekunde oben sind. Mit diesem Unternehmen arbeiten wir schon seit über zehn Jahren zusammen, und sie haben kontinuierlich in ihre Prozesse und Digitalisierung investiert. So ein Tor läuft da heute schon fast vollautomatisch durch, also vom Zuschneiden des Behangs mit den genauen Maßen bis hin zu den Seitenprofilen. Das geht alles mit digitalen Arbeitsplätzen, die Rückmeldungen passieren vollautomatisch mit Maschinendatenerfassung. Es gibt vollautomatische Lagersysteme, und wenn so ein Tor fertig ist, kommt kein Staplerfahrer mehr, sondern es geht über ein Förderband direkt ins Lager. Das sind ganz viele Einzelkomponenten, bis hin zur Verpackungsstretchmaschine, die wir eingebunden haben.

Wenn man sich das heute anschaut und mit dem Kunden als Referenz spricht, dann hört man oft: “Easy, genau so hätte ich’s gern.” Aber das ist ja so viel, das ist ja Wahnsinn. Diese Firma arbeitet aber schon seit zehn Jahren an diesem Prozess, um dort hinzukommen, wo sie heute stehen. Das darf man nicht vergessen. Leute, die heute erfolgreich sind, alle gucken ja immer hin und sagen: “Wow, die haben es geschafft.” Aber der Weg bis dorthin, ich vergleiche es immer mit den Red Bull-Sportlern. Von denen sieht man immer die Hochglanz-Videos, alles verrückte Kerle, was die da machen. Aber wie oft sie auf die Nase gefallen sind, das zeigt normalerweise keiner. Und auch dieses Unternehmen hat in diesen zehn Jahren viel Lehrgeld bezahlt und viele Erfahrungen gesammelt. Manche Dinge waren nicht so gut, die wir dann gemacht haben, aber das führt im Endeffekt zu so einem Ergebnis. Das wäre ein Beispiel.

In der Fertigung haben wir Unternehmen, die Maschinendatenerfassung machen, was ein ganz tolles Thema ist. Viele Kunden starten mit einer Maschine, einem Pilotprojekt, einer Abteilung. Maschinendatenerfassung gibt es schon relativ lange, ist aber heute immer noch nicht allzu weit verbreitet. Man muss nicht gleich die ganze MES-Lösung nehmen, sondern man fängt mit einem Bereich an, der vielleicht besonders offen für Innovationen ist. Man bindet mal zwei Maschinen an, fährt die ersten Auswertungen durch, und dann merkt man: “Wow, das fühlt sich richtig gut an.” Man kann das inhaltlich noch ausbauen, zum Beispiel die CNC-Programmverwaltung dazunehmen, die Rückmeldungen mit dem ERP-System automatisieren oder den Warenfluss zur Maschine vollautomatisch steuern. Man kann das in einem kleinen Pilotbereich ausbauen oder über das ganze Unternehmen ausrollen. Wenn man es sportlich mag, kann man beides parallel tun.

Ein weiteres Beispiel sind neue Technologien. Ein Unternehmen, das Kunststoffteile fertigt, hat E-Labels mit Ortungstechnik eingeführt. Das war ein verhältnismäßig kleines Projekt, auch wenn der Hardware-Investor relativ groß war. Diese Technologie kann jetzt sukzessive für andere Dinge genutzt werden.

Und vielleicht noch ein viertes Beispiel: Betriebsdatenerfassung, ohne Maschinendatenerfassung, ist auch ein Punkt, der relativ einfach geht, insbesondere mit den ERP-Systemen, wo wir heute standardisierte Schnittstellen haben. Man kann relativ einfach eine BDE in Pilotbereichen einführen.

ANDREA SPIEGEL: Ich glaube, das haben wir jetzt auch schon öfter in den Folgen aufgegriffen. Im Prinzip geht es immer darum, erstmal die Prozesse zu analysieren, die man selber hat, und dann zu schauen, an welchen Stellen man den größten Mehrwert erzielen kann. Wo gibt es die größten Schwierigkeiten, und wo kann Digitalisierung den größten Mehrwert bringen?

ANDREA SPIEGEL: Und das wäre jetzt auch schon das nächste Thema: Welchen konkreten Mehrwert bringt mir eine digitalisierte Produktion?

PASCAL LÖCHNER: Das würde ich in mehrere Facetten unterteilen, weil die Nutzen sich wirklich in unterschiedliche Bereiche aufgliedern.

ANDREA SPIEGEL: Gerne auch mit Beispielen.

PASCAL LÖCHNER: Klar, ich gebe mir immer Mühe, Beispiele mitzubringen, damit das für die Leute etwas plastischer wird. Ich fange mal mit dem Thema Informationsaufbereitung und -verteilung an. Das ist ein ganz großer Punkt. Wenn ich mir heute anschaue, wie Informationen im Unternehmen aufbereitet werden, liegen diese in verschiedenen Systemen, sei es in Filesystemen, ERP-Systemen oder QS-Systemen. Diese Informationen müssen für einen Fertigungsauftrag zusammengeführt, ausgedruckt, verteilt und an die richtigen Stellen weitergegeben werden. Im Notfall müssen sie korrigiert und Bestände gesperrt werden, weil QS-seitig etwas nicht passt. Dadurch entsteht ein relativ großer Overhead.

Das Witzige ist, dass dieser Overhead bei vielen Firmen gar nicht als solcher wahrgenommen wird, solange niemand strategisch darauf schaut. Das gehört einfach zum Tagesgeschäft dazu. Wenn wir uns das anschauen, müssen wir natürlich aufpassen, weil wir viel Kompetenz von dem, was die Leute heute manuell machen, übernehmen. Diese Prozesse und Arbeitsschritte wiederholen sich oft und lassen sich automatisieren. Dadurch ergeben sich monetäre Einsparungen, besonders im Personalbereich. Es geht darum, dass weniger Kapazität benötigt wird, um Informationen aufzubereiten und bereitzustellen, was keine wertschöpfende Tätigkeit ist. Aus reiner Effizienzsicht ist das super, denn das geht voll aufs Personal.

Ein weiterer Nutzen ist selbstverständlich die Zeitersparnis. Das trifft nicht auf alle zu, weil manche Firmen mit viel Manpower diese Aufgaben in kurzer Zeit erledigen können. Aber für diejenigen, die an der Stelle zu lange brauchen, bietet sich ein erheblicher Zeitgewinn. Kürzere Durchlaufzeiten bedeuten, dass man schneller beim Kunden ist, was ein Wettbewerbsvorteil sein kann. Den monetären Wert eines Wettbewerbsvorteils muss man individuell pro Unternehmen bewerten.

Ein weiterer Vorteil ist die Qualität. Wenn die Informationen in der richtigen Qualität an den richtigen Platz gelangen, werden weniger Fehler gemacht und es wird Zeit gespart. Bessere Fertigungsergebnisse und eine höhere Qualität beim Kunden sind ebenfalls Einsparpotenziale. Natürlich können auch die gesamten Prozesskosten sinken, weil straffere Prozesse weniger manuelles Nachfragen und Telefonieren erfordern.

Ein weiterer spannender Punkt ist der Rückfluss der Informationen aus der Fertigung an die Konstruktion. Durch Kollaborationstools kann man direkt aus dem Fertigungsauftrag Rückmeldungen an die Konstruktion geben, wie ein Teil besser gemacht werden kann. Wenn wir von Fertigung sprechen, ist die Schnittstelle zur Logistik auch wichtig. Straffere Prozesse bedeuten schnellere Abläufe, was wieder Zeit spart.

Dann gibt es noch das weite Feld des IoT. Zum Beispiel kann ich meine Maschinen und Anlagen beim Kunden überwachen, um Rückschlüsse auf Fertigungsverfahren zu ziehen. Wenn es bei Kundenreklamationen häufig zu Problemen mit bestimmten Teilen kommt, kann ich durch diese Daten Rückschlüsse ziehen und meine Konstruktion und Fertigungstechnologien anpassen.

Vorbeugende Instandhaltung ist ebenfalls ein Punkt. Durch die Daten habe ich einen besseren Überblick über den Zustand der Maschinen und kann Wartungen und Instandhaltungen proaktiv planen. Dadurch wird die Produktion nicht unerwartet unterbrochen.

Das sind jetzt einige Beispiele, die mir spontan einfallen. Es gibt noch viele weitere, die man immer im Kontext mit dem Kunden betrachten muss.

ANDREA SPIEGEL: Es ging ja auch darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, was alles verbessert werden kann.

ANDREA SPIEGEL: Welche Rolle spielt denn, wir haben es jetzt schon öfter angesprochen, das Thema Personal? Also ich glaube, viele haben immer Angst, dass man so komplett wegrationalisiert wird. Klar, es wird Einsparungen durch die Automatisierung geben, aber man sagt ja auch oft, es kommen wieder neue Arbeitsplätze dazu, es entstehen andere Arbeitsplätze, andere Skills oder andere Fähigkeiten werden benötigt. Wie ist da deine Einschätzung? Du hast ja vielleicht auch im Kundenprojekt erlebt, dass jemand gesagt hat, “Ich bin hier der Sprecher von Mitarbeitern und wir sind dagegen.” Oder was hast du da erlebt? Ist da tendenziell ein offenes Mindset vorhanden?

PASCAL LÖCHNER: Ja, Betriebsrat ist das Stichwort. Die sind natürlich immer sehr vorsichtig, wenn es um solche Optimierungen geht. Und es stellt sich oft die Frage, was mit den Mitarbeitern passiert. Die Digitalisierung hat schon, ich möchte nicht sagen, das Ziel, Mitarbeiter zu reduzieren. Das Ziel ist eher, dass Geschäftsmodelle, die heute funktionieren, anders funktionieren. Ein gutes Beispiel dafür ist der Einzelhandel.

Mir blutet selbst ein bisschen das Herz, wenn ich durch die Innenstadt laufe und sehe, wie kleine Läden immer stärker schließen. Andererseits, wer bestellt nicht gern online? Es geht schneller, man kann abends auf dem Sofa einkaufen. Die Pandemie hat diesen Trend verstärkt. In der Fertigung ist der persönliche Kontakt zur Informationsweitergabe noch relativ hoch. Man muss Papier hin und her bringen und soziale Interaktionen haben, um Fragen zu klären. Das fällt jetzt durch die Pandemie und die daraus resultierenden Maßnahmen stärker ins Gewicht.

Die Frage ist, was passiert mit den Leuten? Klar, die nicht wertschöpfenden Tätigkeiten möchte man reduzieren. Es werden auch neue Arbeitsplätze entstehen, sicher. Diese sind aber eher im Bereich der Höherqualifizierung. Die Systeme, die ich aufbaue, müssen gemanagt werden. Eine mittelständische Firma hat heute nicht nur einen ITler, der nach Druckern und Kopierern schaut, sondern vielleicht zwei, die sich um die Infrastruktur kümmern. Und dann gibt es zwei, die sich um Prozesse, IT-Systeme, Integration und Schnittstellen kümmern. Dort werden vermehrt Jobs entstehen. Bei Maschinenanlagen und Steuerungen der Automatisierungstechnik werden die eigentlichen Arbeitsplätze entstehen und nicht mehr beim Teile-Zusammenstecken oder Paletten von A nach B fahren.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt gehört zu dem Thema neue Arbeitsplätze oft auch das Thema neue Geschäftsmodelle. Es entstehen nicht nur andere Möglichkeiten der Arbeit oder andere Dinge, die getan werden müssen, sondern manchmal auch komplett neue Geschäftsfelder, an die man vor zwei, drei Jahren noch gar nicht gedacht hat. Wie erkenne ich so etwas für mich und mein Unternehmen? Wenn ich digitalisiere, denken die meisten wahrscheinlich erst einmal daran, ihren Prozess zu verbessern, schneller zu werden oder Kosten zu sparen. Aber man denkt nicht unbedingt gleich an neue Geschäftsmodelle. Ist das etwas, was man tun sollte?

PASCAL LÖCHNER: Ja, da habe ich einen ganz eindeutigen Rat. Im Einzelhandel hat das ja auch funktioniert. Jeff Bezos und Steve Jobs sind Beispiele für Menschen, die etwas erfunden haben, das es vorher noch nicht gab. Sie mussten sich überlegen, was die Welt besser machen könnte. Man muss das nicht immer in einem riesigen Rahmen sehen oder visionär denken. Aber es ist sinnvoll, Kunden zuzuhören. Kunden geben ständig Feedback, sei es in Form von Reklamationen oder hohem Auftragseingang. Das sind Signale von Kunden. Es ist wichtig, diese zu deuten und zu überlegen, was Kunden in Zukunft brauchen könnten. Was macht mein Wettbewerb und wie kann ich mich davon differenzieren?

Dort fängt die Diskussion an. Wenn ich das Ziel erkannt habe, kann ich überlegen, wie ich es erreichen kann. Ein Beispiel, das mir erst vor zwei Jahren begegnet ist, sind Lackierpistolen im Kfz-Bereich. Eigentlich ein simples Produkt: Druckluft rein, Farbtopf oben, Düse vorne. Da steckt Know-how drin, klar, aber grundsätzlich kann ich tausend gleiche Stück montieren. Der Hersteller, mit dem ich zu tun hatte, hat sich überlegt, den Kunden eine Individualisierung der Pistole anzubieten. Sie können die Pistole konfigurieren, den Sprühknopf in einer anderen Farbe gestalten oder ein eigenes Graffiti darauf anbringen. Vorher montierten sie tausend gleiche Stück, jetzt montieren sie tausend unterschiedliche.

So haben sie ein neues Geschäftsmodell entwickelt, um sich gegen Fernost-Billigware zu behaupten. Diese sind zwar extrem günstig, aber vielleicht nicht in der gleichen Qualität. Dennoch sind sie für den Markt ausreichend. Die Differenzierung erfolgt durch die Individualisierung. So fängt das Denken in neuen Geschäftsmodellen an. Man überlegt, wie man das Ziel erreichen kann und sucht dann nach Lösungen in der Produktion und Montage.

ANDREA SPIEGEL: Wir waren jetzt vorhin schon in der Produktion 4.0 unterwegs. Du hast auch schon Technologien wie E-Label und Ortungstechnologien angesprochen. Was kann ich denn eigentlich noch alles an Technologie in der Smart Factory antreffen? Welche Möglichkeiten gibt es da? Du musst ja nicht alles aufzählen, aber vielleicht deine Top Five?

PASCAL LÖCHNER: Meine Top Five? Ich glaube, meine Top One ist eigentlich etwas ganz Banales, das aber immer noch nicht selbstverständlich ist, obwohl es schon deutlich besser wird: WLAN und Netzwerk. Ohne WLAN und Netzwerk geht es nicht. Ich brauche heute an jedem Arbeitsplatz, an jeder Maschine ein verfügbares Netzwerk, im besten Fall WLAN in der ganzen Halle. Ohne das steht und fällt eine komplette Digitalisierung. Deshalb gehört es auf jeden Fall zu meinen Top Five. Das muss auch professionell gemacht sein. Eine Frage, die ich oft von Unternehmern und IT-Leitern höre, ist: “Was ist, wenn mein WLAN ausfällt?” Dann sage ich: “Was soll dann sein? Dann geht nichts mehr.” Das ist schlichtweg so. Es ist ähnlich wie beim ERP-System: Was machen Sie ohne ERP? Dann haben Sie noch zehn gedruckte Belege. So kann man noch arbeiten, aber das war es dann auch. Die ehrliche, nüchterne Antwort ist, dass man IT-Systeme schaffen muss, die redundant ausgelegt sind und die nötigen Sicherheitsmechanismen haben. Dann funktioniert das auch gut. Alle unsere Kunden arbeiten so digital, dass das gehen muss.

Was gehört noch zu den Top Five? Meine Lieblingstechnologie ist sicherlich Ortung. Da bin ich gespannt. Seit drei Jahren sind wir da hinterher, Ortungsprojekte zu machen. Es sind leider noch nicht so viele, wie wir uns gewünscht hatten. Das hängt ein bisschen mit dieser Nutzendiskussion zusammen. Alle finden es total toll, aber der Nutzen ist noch nicht jedem klar. Ich habe da ein Déjà-vu. Vor zehn Jahren hatten wir das nämlich bei mobilen Lageranwendungen. Da war es ähnlich: Die Großen haben es gemacht, aber in der Mittelstadt hieß es oft: “Mobiles Lager? Was brauche ich? Ein Scanner? Ich habe doch Papier, kann ich abhaken. Geht doch wunderbar.” Heute stellt sich diese Frage niemand mehr. Und ich glaube, mit der Ortung wird es ähnlich sein. E-Labels sind auch ein persönliches Highlight von mir.

ANDREA SPIEGEL: Also elektronische Etiketten?

PASCAL LÖCHNER: Ja, genau, in allen Größenordnungen, von ganz klein bis fast schon DIN A4-Größe. Da glaube ich, dass das richtig Potenzial hat. Warum? Weil ich Informationen in Echtzeit dahin transferieren kann, wo ich bisher Papier verwendet habe. Es geht nicht nur darum, Papier zu vermeiden. Papier ist wahrscheinlich am Ende günstiger als elektronische Etiketten.

ANDREA SPIEGEL: Aber besser für die Umwelt.

PASCAL LÖCHNER: Ja, aber die Prozesskosten, um Informationen bereitzustellen, zu verteilen und im Notfall zu korrigieren, sind extrem hoch. Und ich glaube, da liegt der eigentliche Nutzen. Und ich finde die Technologie einfach cool. Supermärkte haben aus gutem Grund noch nicht alle ihre Schilder auf E-Labels umgestellt.

ANDREA SPIEGEL: Stundenlang waren Menschen damit beschäftigt, die Preisschilder zu ändern. Diese Dinger kennt man ja noch.

PASCAL LÖCHNER: Ja, genau. Früher gab es diese Etikettiermaschinen. Vielleicht erinnerst du dich daran: Man stellte den Preis auf dem Gerät ein und dann “tatak, tatak, tatak” auf jedes Produkt. Das war noch vor der Zeit der Barcodes. Wenn man sieht, was sich da im Retail-Bereich getan hat, merkt man, dass die oft weiter vorne sind. E-Labels sind großartig. Also, wir haben WLAN, Ortung und E-Labels. Zwei fehlen noch.

Was finde ich noch besonders toll? Pick by Light finde ich ganz cool. Man muss schauen, wo es passt, es geht nicht überall. E-Kanban ist auch interessant. Das ist jetzt keine Technologie an sich, aber den Kanban-Prozess zu digitalisieren, ist spannend. Es gibt verschiedene Varianten, wie man das machen kann, mit RFID, Pick by Light, E-Labels. Ein ganz spannendes Feld. Jetzt sind wir bei vier.

ANDREA SPIEGEL: Im Prinzip fünf, wenn man es gelten lassen will.

PASCAL LÖCHNER: Genau.

ANDREA SPIEGEL: Dann lassen wir es so gelten. Aber es gibt natürlich noch mehr.

PASCAL LÖCHNER: Ganz viele weitere. Wer Interesse hat, kann sich gern bei mir melden.

ANDREA SPIEGEL: Das denke ich mir.

PASCAL LÖCHNER: Und wir können darüber sprechen.

ANDREA SPIEGEL: Genau.

ANDREA SPIEGEL: Ich würde jetzt gerne mal noch einen Ausblick machen. Und zwar ist da auch dieses Thema modulare Arbeitsplätze. Also Arbeitsplätze, die im Prinzip flexibel veränderlich sind. Gerade, wenn wir das Thema Individualisierung anschauen. Was würdest du sagen, wie praktikabel sind solche Modelle heute schon? Ich kenne Zukunftsfabriken, die wahrscheinlich jeder schon mal irgendwie gesehen hat, wo das schon so ein bisschen getestet wird. Aber ist das auch schon etwas, was man umsetzen kann, wenn ich mir jetzt eine Greenfield Factory hinstelle und sage, ich habe das Geld und möchte digitalisieren? Kann man so schon denken, dass man eine modulare Fabrik baut? Oder ist das noch mit sehr vielen Hürden verbunden?

PASCAL LÖCHNER: Ich glaube, es hängt ein bisschen von der Vision ab. In bestehende Prozesse Modularität reinzubringen, ist eine relativ anspruchsvolle Aufgabe, weil man in bestehende Systeme Modularisierung integrieren muss. So etwas funktioniert wahrscheinlich im Greenfield deutlich besser. Da hängt es dann von der Strategie ab. Was möchte ich in meiner Greenfield-Halle tun? Ich würde sagen, es wird wahrscheinlich nicht alles modular gehen. Es wird immer Teile geben, die man aus Kosten- und Prozessgründen relativ starr gestaltet.

Fördertechnik zum Beispiel. Fördertechnik ist nicht etwas, das man einfach auf Rollen stellt und zusammenbaut. Da hängt zu viel Steuerung, zu viele Motoren und Antriebstechnik dahinter. Wo die Modularität im Fördertechnik-Bereich hervorragend funktioniert, sind fahrerlose Transportsysteme. Die sind extrem flexibel. Kostentechnisch sind sie zwar teurer als eine normale Förderstrecke, aber sie passen sich an die Umgebung an. Sie suchen ihre Fahrwege selbst, und ich kann in der Software meine E-Punkte definieren. Mega! Fahrerlose Transportsysteme gehören definitiv zu meinen Technologie-Favoriten. Das wird in den nächsten Jahren ganz groß im Kommen sein und seinen Nutzen finden, in jeglicher Color, von ganz kleinen, die nur ein KLT transportieren, bis hin zu großen Systemen. Ich habe gesehen, bei einem Anbieter gibt es fahrerlose Transportsysteme bis 500 Tonnen.

ANDREA SPIEGEL: Da kann man was bewegen.

PASCAL LÖCHNER: Da kann man was bewegen, genau. Der Trend geht ganz klar dahin. Was Arbeitsplätze angeht, denke ich, klassische Handarbeitsplätze würde man heute stark modularisieren, um flexibel zu bleiben. Vielleicht ändern sich auch die Geschäftsmodelle, daher sagte ich, es hängt viel von der Strategie ab. Wenn ich eine Million gleiche Stücke produzieren will, brauche ich keine Modularität. Dann mache ich das für die eine Million Stück, und das ist monetär bezahlt. Wenn ich eher ein flexibles Geschäftsmodell habe, würde ich flexible Arbeitsplätze schaffen, die zunächst auf ihre Fläche beschränkt sind.

Ich würde viel mit Robotern arbeiten. Ich hatte mal mit einem Hersteller zu tun, der kleine Wägelchen mit einem Roboterarm macht. Diese kann man konfigurieren und sogar mieten, um bestimmte Tätigkeiten auszuführen, wie Dinge von A nach B zu transportieren. Das sind Module oder Modularisierungen, die man gut einbauen kann. Im Greenfield sowieso, und im Brownfield lassen sich solche Systeme gut integrieren. Ein FTS im Brownfield funktioniert wunderbar. Wo heute Stapler fahren, kann ich auch ein FTS fahren lassen.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt sagt man ja auch immer noch, das nächste große Ding beim Thema Produktion und Digitalisierung wird das Thema KI sein. Wie ist da deine Meinung dazu?

PASCAL LÖCHNER: KI kann etwas ganz Großes werden, momentan ist sie aber noch schwer greifbar. Ich habe mich noch nicht allzu tief mit KI beschäftigt. Die Frage ist ja immer, was ist KI, wer rechnet da, wer gibt die Rechnung denn nachher vor? Das sind spannende Fragen. Und wie weit darf eine KI denn nachher bestimmen? Dass eine KI die Förderstrecke für ein FTS selbst berechnet, früher nannte man sowas Materialflussrechner, ist auf jeden Fall wichtig, um Entscheidungen zu treffen. Ich glaube, es wird noch eine Weile dauern, bis wir dahin kommen. Auf Individualitäten einzugehen, die mit menschlichen Bedürfnissen zu tun haben, wird sicherlich auch eine Herausforderung.

Im Autobereich, um ein Beispiel zu nennen, gibt es Diskussionen darüber, ob das Auto bremsen soll oder nicht. Bremse ich für ein Kind und riskiere, in etwas anderes hineinzufahren? Weiche ich einem Reh aus und riskiere, einen Fußgänger zu treffen? Ich habe für mich noch keine abschließende Antwort gefunden, welche Rolle KI da tatsächlich spielt. Das bleibt spannend zu beobachten.

Sicher werden Dinge kommen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Ich bin voller Vorfreude auf das, was kommt. KI kann gut ergänzen, vor allem bei den ganz harten, krassen Entscheidungen. Da habe ich jedoch noch kein abschließendes Fazit.

ANDREA SPIEGEL: Muss ja auch noch nicht abschließend sein. Das ist ja auch noch Zukunftsmusik. Da gibt es auch eine Folge von uns mit einem KI-Spezialisten. Da freue ich mich schon sehr drauf. Die kannst du dir dann mal anhören. Und dann können wir uns vielleicht danach nochmal zu dem Thema unterhalten.

PASCAL LÖCHNER: Super gute Idee, ja. Sehr gut.

ANDREA SPIEGEL: Könntest du jetzt zum Abschluss noch einmal so für uns in einem Satz oder in drei Worten das Thema Smart Factory, Produktion 4.0 zusammenfassen? Was ist da für dich so ein Fazit?

PASCAL LÖCHNER: Machen. Das ist, glaube ich, schon …

ANDREA SPIEGEL: Das ist nur ein Wort.

PASCAL LÖCHNER: Du fragst mich ja nach einem Fazit. “Machen” sage ich ganz bewusst deswegen. Sich nicht entmutigen lassen, den ersten Schritt zu gehen oder erste Schritte zu machen, sich dem Thema auf jeden Fall anzunehmen und sein eigenes Bild zu schaffen. Mein Statement und Fazit geht vor allem an alle Unternehmer, die Firmen haben, Firmen leiten, an alle Produktionsleiter: sich selber ein Bild von einer Smart Factory zu machen, wie sie bei einem selbst aussehen kann.

Wenn man dieses Bild nicht im Kopf hat, kommt man in diese Einzellösungsthematik, ohne das große Ganze im Blick zu haben. Hat man das große Ganze erst mal im Kopf, kann man sich sukzessive daran hinarbeiten. Das ist eine Vision, die mich motiviert, unsere Kunden zu begleiten. Ich glaube, dass unsere Kunden oder der Mittelstand in Deutschland mit dieser Vorgehensweise gut zurechtkommen. Selbst die Leute vom Fraunhofer-Institut sagen nicht, dass man von heute auf morgen die ganze Firma umkrempelt. Das geht nicht. Man sollte sich Use Cases heraussuchen, sich ein Gesamtbild machen, was möglich ist, und dann mutig in diese Bereiche vorstoßen.

Auch mal Dinge ausprobieren. Ausprobieren ist immer blöd, weil es zwangsläufig Geld kostet, aber ohne geht es nicht. IT war noch nie ein Thema, bei dem man einfach eine CD reinschiebt und dann funktioniert es wie eine Steuersparsoftware. Schön wäre es. Denn da gibt das Finanzamt klare Regeln vor, und die Software rechnet einfach nur aus, ob etwas passt oder nicht. Da mutig zu sein und etwas auszuprobieren, ist sicherlich kein Fehler.

ANDREA SPIEGEL: Alles klar. Dann danke ich dir ganz herzlich für das Gespräch, für deine Expertise und für den Einblick.

Wir hoffen, ihr da draußen konntet wieder einiges aus der Folge mitnehmen. Pascal hat es gerade schon gesagt: einfach mal machen, loslegen, sich Gedanken machen und ein Team aufstellen, das das Ganze angeht. Wenn euch die Folge gefallen hat, lasst uns gerne einen Daumen nach oben oder eine Bewertung bei iTunes da. Wenn ihr noch Themenwünsche habt oder Fragen an Pascal oder generell zum Thema, schreibt uns das gerne in die Kommentare oder schickt uns eine Nachricht. Dann würde ich sagen, wir sehen uns bei der nächsten Folge. Bis dahin. Tschüss.

Welche Idee steckt hinter der Multikommissionierung in der Lagerlogistik?

„Die Idee bei der Multikommissionierung ist auch da, eben solche Leerfahrten, Leerwege, egal ob jemand läuft oder eben fährt, zu vermeiden.“

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