ANDREA SPIEGEL: Aber mich würde jetzt erstmal interessieren, wie sieht denn für dich, oder generell heutzutage die absolute Traumfabrik aus? Wenn man jetzt an eine Smart Factory denkt, wie sieht die aus, also wenn du jetzt mal voll durchstarten kannst, Budget spielt keine Rolle, sondern einfach mal, grüne Wiese, was geht und wie muss man sich das vorstellen?
PASCAL LÖCHNER: Ja, ich weiß gar nicht, ob das so das passende Beispiel ist, weil grüne Wiese trifft man ja im seltensten Falle an. Ich versuche es trotzdem mal ein bisschen zu formulieren. In den meisten Fällen haben wir ja eine gewachsene Firma, Bestandsgebäude, da haben sich Dinge etabliert. Das wird jetzt ein bisschen abstrakt. Also, wenn ich mir das wünschen dürfte, dann setzt sich das aus ganz vielen Einzelkomponenten zusammen, die auch ein bisschen was mit Digitalisierung zu tun haben, nicht immer, eher so ein bisschen aus dem Lean-Gedanken heraus. Fangen wir mal mit dem Optischen an: große Halle, weite Flächen, übersichtlich, hell, schöner Boden drin. Das ist das, was man in einer modernen Fabrik dann meistens sieht. Gute Beleuchtung. Dann gucken wir an die Arbeitsplätze, beziehungsweise schauen wir erstmal auf die Prozesse. Meistens sind die Prozesse durchdacht, das heißt links der Eingang, rechts der Ausgang, dazwischen wird etwas getan. An der Seite haben wir vielleicht noch die Lager, wo Material bereitgestellt wird. Ein gutes Abwägen zwischen Hauptlager und Kanban-Lager an den einzelnen Arbeitsplätzen, um den Materialflussprozess möglichst optimal zu gestalten.
Genau, dann ergonomische Arbeitsplätze, die sicherlich etwas ganz Tolles sind. Zur Ergonomie gehört dann sicherlich auch ein Stück weit das Thema digitale Arbeitsplätze. Das heißt, ich habe an jedem Arbeitsplatz auch ein digitales Terminal, wo ich auf alle relevanten Produktionsinformationen zugreifen und diese dann auch zurückmelden kann. Komplettes WLAN-Netzwerk in der Halle, vielleicht ein bisschen Ortungstechnologie noch dazu, also dann kommen wir schon ein bisschen an das Thema Tracking, mal völlig egal, welche Ortungstechnologie man nachher nimmt. Vieles bewegt sich von selbst, Staplerfahrer gibt es eigentlich fast keine mehr. Entweder Fördertechnik oder fahrerlose Transportsysteme, die dann auch durch Software und Materialflussrechner im Hintergrund gesteuert werden. Digitalisierte Produktion, alle Maschinen sind miteinander vernetzt, ganz, ganz wichtig. Das heißt, um das mal ganz praktisch zu beschreiben: Jede Maschine hat einen Netzwerkanschluss, ich kann dort auf Signale und Sensorik zugreifen. Ich habe eine fast schon erschreckende Anzahl an Sensorik irgendwo in dieser Werkshalle verbaut und eine Produktionssteuerung, die, sagen wir mal, zur Hälfte maschinell gesteuert wird. Also die ganze Materialflussgeschichte wird weitestgehend autonom von dem System selbst gesteuert. Der andere Teil, wie Prioritäten und Einplanung, da sind schon noch Menschen dran, die das machen.
Und dann ganz klar, die Männer und Frauen an den Arbeitsplätzen, egal ob das eine Maschine oder ein Montagearbeitsplatz ist, sind natürlich mittendrin und werden unterstützt von, ach, die Wissenschaftler nennen das immer so cyberphysische Systeme. Das heißt, irgendwelche Handlingapparate von der Software, die sie dann haben, von Hebehilfen, sodass das wirklich alles möglichst ergonomisch ist. In den Werbebildern sieht man es ja immer so schön, wenn die Menschen strahlend in ihrer Fabrikhalle arbeiten und mit voller Freude schrauben, alle haben gute Laune. Das wäre, sage ich mal, der Optimalfall. Und jetzt merkt man schon ein bisschen an der Beschreibung, das ist schon ein relativ hoch gesetztes Ziel. In vielen Firmen muss man sich das über viele, viele Jahre mit einem ganz klaren Digitalisierungs- und Lean-Gedanken erarbeiten.
Oh, eine Sache habe ich noch vergessen: Kennzahlen, ganz wichtig. Transparenz für die Mitarbeiter. Früher war es eher so, Akkordzahlen, die Schicht musste das erreichen, jeder wusste, wann er was gemacht hat, und dann war gut. Aber das war schon sehr auf den einzelnen Arbeitsplatz komprimiert. Mittlerweile geht man her und hat Übersichtsbildschirme mit den aktuellen KPIs: Was ist noch zu tun, wo wird es kritisch, wo muss man Kollegen helfen, wo kann man aushelfen, wo kann man noch mal ein bisschen was schiften, um das gesamtunternehmerische Ziel dann nachher zu erreichen.
ANDREA SPIEGEL: Du hast es gerade schon angesprochen, dass das jetzt eher so das Greenfield-Thema ist, so eine Traumfabrik aufzubauen. Ist das dann jetzt etwas, was ich im Brownfield, sprich in einer bestehenden Fabrik, nie erreichen werde, oder ist das etwas, wo man zumindest viel tun kann? Was sagst du da jemandem, der kommt und sagt: “Ja, ich habe aber eine Halle und ich kann jetzt gerade auch keine neue bauen, aber ich hätte gerne …”?
PASCAL LÖCHNER: Brownfield ist immer ein spannendes Thema. Ich glaube, das Allerwichtigste ist, am Anfang – das hatte ich auch schon bei der Logistik 4.0 erwähnt – die große Vision am Schluss zu haben. Das ist sicherlich wichtig. Also, irgendjemand muss es im Unternehmen geben, der, sage ich mal, ein Gesamtszenario im Kopf hat. Dieses Bild soll im besten Fall dann auch durch die Geschäftsführung getragen werden, weil es sonst nachher relativ wenig Sinn macht oder sehr mühsam wird. Ein schlauer Mann hat mal gesagt, die Leute scheitern nicht an ihren Zielen, weil sie zu hochgesteckt sind, sondern weil sie die Zeiträume zum Erreichen dieser Ziele viel zu eng setzen. Gerade bei bestehenden Firmen, bestehenden Strukturen und auch mit einem bestehenden monetären Gefüge im Mittelstand geht nicht alles immer in einem Jahr. Man muss das so ein bisschen auf der Zeitachse zurecht sortieren, seine Prioritäten setzen und dann die Baustellen angreifen, wo es momentan entweder am stärksten schmerzt oder wo das größte Potenzial für Nutzen zu erreichen ist. Mit diesen Themen sollte man beginnen.
Man hat dann seine 58 anderen Themen schon auf seiner Wunsch- und To-Do-Liste. Da sind vielleicht auch manchmal Themen dabei, die monetär nicht eins zu eins zu berechnen sind. Wir haben auch große Projekte, die irgendwo im Bereich von einer halben Million Euro liegen, schon mit starker Digitalisierung. Das Unternehmen weiß zwar, dass man einen Nutzen herrechnen kann, aber so ganz eindeutig ist das mit dem Nutzen nicht. Am Schluss ist es dann schon auch eine Frage des Wollens. Das ist bei investorengeführten Unternehmen schwieriger zu verargumentieren. Da ist dann eher der Blick in die Zukunft wichtig: Das ist der richtige Weg. Das ist irgendwie wie beim Telefon. Früher hat man ein Telegramm geschickt oder mit der Post einen Brief, heute würde niemand mehr daran denken. Hätten wir das den Leuten damals erzählt, hätten sie es auch nicht geglaubt.
ANDREA SPIEGEL: Heute telefonieren ja auch viele Leute schon gar nicht mehr gerne, sondern schicken lieber eine Nachricht.
PASCAL LÖCHNER: Genau, oder das ganze Thema Chatten, kollaboratives Arbeiten. Das sind Dinge, die heute schon fast normal sind. So ist das dann in der Produktion mit der Digitalisierung. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Auch weil das unser Business ist. Ich sehe das bei unseren Kunden immer wieder, das ist ganz klar der Trend, wohin es geht. Interessanterweise, wenn die Leute auch mal mit einem fragwürdigen Nutzen so eine Lösung eingeführt haben und man sie nachher fragt, dann wollen sie das auf gar keinen Fall mehr wegnehmen. Das geht nicht mehr, weil ganz viele Effekte auch für das Unternehmen sich erst nachher einstellen. Das können wir bei L-mobile oftmals gar nicht vorher wissen. Klar hat man immer so eine Ahnung und verargumentiert das dann nachher auch, aber oftmals merkt man erst im praktischen Doing, was die eigentlichen Benefits sind.
Ich vergleiche es immer mit dem Bau einer neuen Küche. Man muss ganz viel vorausdenken. Wo möchte ich meine Töpfe, Teller, Tassen haben?
ANDREA SPIEGEL: Und wo sollen die Elektrogeräte hin?
PASCAL LÖCHNER: Genau, wo sollen die Elektrogeräte hin? Wo steht der Sprudler und der Thermomix? Wie mache ich das mit dem Waschbecken und der Dunstabzugshaube? Mache ich sie nach oben oder nach unten? Und Smart Home, kann ich meinen Backofen mit der App steuern? Das sind ganz komplexe Fragen. Jeder, der schon mal eine neue Küche geplant hat, weiß, wie sich das anfühlt und ob die Entscheidungen richtig waren. Ob ich mir jetzt einen No-Name-Backofen für 700 Euro hole oder den tollen Bosch Smart Home Backofen für 2500 Euro mit Pyrolyse und sonst was, kann ich letzten Endes erst nach einem Jahr in der Küche beantworten. Ich hoffe, dass der Vergleich nicht zu abstrus ist, aber ich glaube, das kommt dem Gefühl nachher schon relativ nah.
ANDREA SPIEGEL: Man kann es, glaube ich, ganz gut nachvollziehen. Man muss die Dinge auch mal ausprobieren und erleben. Man kann nicht immer alles im Voraus planen, sagen wir es mal so.