ANDREA SPIEGEL: Also, auf jeden Fall hört sich das nach etwas an, bei dem ich gerne dabei sein möchte und das ich nicht verpassen will. Deswegen schauen wir uns vielleicht mal diese drei Use Cases an, die wir heute behandeln wollen: Vehicle Tracking, Asset Tracking und People Tracking. Und weil ich sie jetzt in dieser Reihenfolge genannt habe, fangen wir mal mit Vehicle Tracking an. Was ist das, was versteht man darunter und wofür ist es gut?
SAMUEL KASSIEPE: Generell, damit man weiß, wie es funktioniert: Bei Ultraweitband sprechen wir immer von sogenannten Ankern. Die kann man sich wie WLAN-Router vorstellen, die an der Decke hängen. Sie sind dafür da, um das Signal aufzunehmen. Das Signal kommt von einem Tag, der heute jede Form haben kann, und der sendet dieses Signal aus. Das heißt, der Tag gibt das Signal an die Anker weiter, mit der Nachricht: „Hey, hier bin ich!“ Und auf der Basis der Distanz wird dann im Hintergrund die genaue Position des Tags berechnet.
ANDREA SPIEGEL: Das funktioniert, glaube ich, über Triangulation, wenn ich es richtig weiß.
SAMUEL KASSIEPE: Genau, es gibt verschiedene Methoden, aber das ist so die Basis, auf der quasi…
ANDREA SPIEGEL: Alle Use Cases später funktionieren.
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Ein Stapler, ein Routenzug, ein AGV, ein Mitarbeiter – alles läuft später über die Ultraweitbandabdeckung, die durch die Anker und die Tags bereitgestellt wird. Beim Vehicle Tracking gibt es dann eine Million verschiedene Anwendungsfälle. Sobald man die Abdeckung hat, gibt es keine Grenzen für die Anwendungsfälle. Man kann es unendlich weit ausbauen und viele zusätzliche Funktionen einfügen. Die Basis von Vehicle Tracking ist immer, zu schauen: Was sind meine Routen? Werden diese eingehalten? Wie viel der gefahrenen Zeit und Strecke ist überhaupt produktive Zeit? Aber auch Sicherheitsanwendungen, zum Beispiel, dass man auf Basis von Geo-Zonen Regeln festlegt: „Hey, wenn ein Gabelstapler rückwärts fährt und er ist nah an einem Mitarbeiter-Tag, dann soll er stehen bleiben oder ganz langsam weiterfahren.“ Das sind so die Standardanwendungen.
ANDREA SPIEGEL: Magst du ein Beispiel nennen? Hast du etwas Konkretes mitgebracht, vielleicht von einem Kunden, den ihr mal beim Thema Vehicle Tracking begleitet habt?
SAMUEL KASSIEPE: Gerne. Dieser Use Case bildet auch gut die Entwicklung eines Ultraweitband-Projekts ab. Man startet mit einem Use Case, aber nutzt die Technik später wirklich voll aus. Ein Automotive-Hersteller kam vor sieben Jahren auf uns zu und sagte: „Hey, wir wollen Fahrzeuge tracken.“ Aber niemand möchte Fahrzeuge nur zum Tracken an sich verfolgen – da steckt immer ein Hintergrund dahinter. Der ursprüngliche Hintergrund war eine hunderttausend Quadratmeter große Logistikfläche, die die gesamte Produktion versorgt. Es gab über hundert Stapler auf dieser riesigen Fläche, und ab und zu kam es zu Produktionsstopps, weil die Ware nicht da war.
ANDREA SPIEGEL: Oder weil sie noch gesucht wurde.
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Ware immer da war, nur die Fahrzeuge waren nicht rechtzeitig genug in der Produktion. Der Use Case war also: „Woran liegt das? Wir haben genug Fahrzeuge und viel Platz. Wie kann es sein, dass die Ware da ist und wir trotzdem die Produktion anhalten müssen?“ Das war die erste Anforderung.
ANDREA SPIEGEL: Der Pain Point sozusagen.
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Wir haben die Halle dann ausgestattet und in der ersten Phase haben wir, ich sage mal in Anführungszeichen, nur visualisiert – mit Heatmaps und Spaghetti-Diagrammen, um zu verstehen, wie sich die Fahrzeuge überhaupt in der Halle bewegen.
ANDREA SPIEGEL: Also quasi an jedes Fahrzeug einen Tag dran und dann einfach mal gucken, wohin die fahren, das Ganze tracken, verfolgen und verstehen.
SAMUEL KASSIEPE: Genau, sodass man wirklich sehen kann, was in der Halle passiert – auch in der Nachtschicht zum Beispiel, weil da weniger Leute vor Ort sind.
ANDREA SPIEGEL: Was ändert sich da? Wird da querfeldein gefahren?
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Und was man sehr schnell festgestellt hat, war, dass diese Halle von sieben verschiedenen Abteilungen bewirtschaftet wird und keine dieser Abteilungen miteinander kommuniziert. Das bedeutet, diese hundert Stapler aus den sieben Abteilungen nahmen alle die gleichen beiden Routen, was regelmäßig zu sehr großen Verstopfungen in diesen beiden Bereichen führte.
ANDREA SPIEGEL: Kollisionen im schlimmsten Fall.
SAMUEL KASSIEPE: Ja, ja, oder sagen wir mal, Fast-Kollisionen. Aber das hat den gesamten Prozess so stark verlangsamt. Da keine Kommunikation stattgefunden hat, ist das im Nachhinein durch die erhobenen Daten herausgekommen. Dementsprechend wurden die Routen umgeplant. Das war der erste Anwendungsfall, der relativ schnell umgesetzt werden konnte. Man schaut sich das ein, zwei Wochen an und erkennt schon sehr starke Trends, was dort wirklich vorgeht. Dann kam die Überlegung: Super Technik, die erfüllt, was sie verspricht – da geht aber noch viel mehr.
ANDREA SPIEGEL: Das kann man auch machen quasi?
SAMUEL KASSIEPE: Genau! Was kann man damit noch machen? Messen, zum Beispiel.
ANDREA SPIEGEL: Was denn?
SAMUEL KASSIEPE: Effizienz und Nicht-Effizienz. Nur weil ein Gabelstaplerfahrer 20 oder 30 Prozent mehr Strecke pro Tag fährt als ein anderer, bedeutet das ja nicht automatisch, dass er einen höheren Mehrwert bringt. Also hat man angefangen zu messen, wie effizient jedes Fahrzeug ist. Denn es kommt häufig vor, dass jemand sagt: Hey, wir brauchen mehr Fahrzeuge, wir brauchen neue Fahrzeuge. Dank Ultraweitband war der Kunde in der Lage, auf der Basis von Echtzeitdaten zu evaluieren, ob das wirklich nötig ist.
ANDREA SPIEGEL: Ist es wirklich nötig, quasi? Weil, wie du sagst, Strecke ist nicht gleich Effizienz.
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Über Geozonen hat man dann sehr schnell festgestellt, dass bestimmte Stapler nur in bestimmten Bereichen der Halle fahren. Das ist deren produktiver Bereich. Nur ein Viertel der Halle ist produktive Zone. Sobald ein Stapler außerhalb dieser Zone fährt, handelt es sich um unproduktive Fahrstrecke und unproduktive Zeit. Dabei stellte sich heraus, dass viele der sogenannten High-Performer, die besonders viel Strecke gefahren sind, nur 40 Prozent dieser Strecke innerhalb ihres produktiven Bereichs zurückgelegt haben. Das ist doppelt ineffizient, weil erstens 60 Prozent der Strecke unproduktiv sind und zweitens das Fahrzeug stärker beansprucht wird.
Mit diesen Erkenntnissen konnte man optimieren und statt neue Gabelstapler zu bestellen, hat man zehn oder elf Stapler eingespart.
ANDREA SPIEGEL: Krass, quasi nicht nur auf null bleiben, sondern sogar besser werden als vorher. Wahnsinn!
SAMUEL KASSIEPE: Genau, und das alles auf Basis von Fakten. Oft werden Entscheidungen auf der Basis von Vermutungen oder Time Studies getroffen, bei denen jemand physisch prüft – etwa mit einer Stoppuhr oder indem er die Fahrer beobachtet. Dabei ist es menschlich, dass man unter Beobachtung in der Regel besser performt. Mit Ultraweitband hat man sehr transparente Daten gewonnen – nicht nur von drei oder vier Fahrern, sondern von allen Fahrzeugen in der Produktion. Und wo steht der Kunde heute?
Irgendwann war der Kunde an dem Punkt, dass er gesagt hat: Hey, wir haben so viele Daten und so viel Transparenz, warum haben wir überhaupt feste Routen? Warum müssen die Fahrer Routen haben, um Ware von A nach B zu bringen? Warum machen wir nicht etwas wie Apple Maps für unsere Halle?
Gerade in der Logistik, wo man oft schnell wechselndes Personal hat, lernen neue Fahrer ihre Aufgaben meist direkt physisch in der Halle. Das ist gefährlich und führt zu mehr Unfällen. Heute nutzt der Kunde die Daten genau dafür. Einerseits, um Mitarbeiter anzulernen – sie sitzen vor einem PC und steuern ein virtuelles Fahrzeug in ihrer echten Umgebung.
ANDREA SPIEGEL: In ihrer echten Halle quasi?
SAMUEL KASSIEPE: Genau, wie in einem Fahrsimulator. Sobald sie nach einer oder zwei Wochen ins physische Fahrzeug steigen, haben sie eine deutlich steilere Lernkurve. Sie starten mit einer höheren Produktivität und Sicherheit.
Der zweite Punkt ist die Routenführung. Es gibt keine festen Routen mehr. Der Gabelstaplerfahrer bekommt seinen Auftrag direkt auf ein Display. Das System berechnet auf Basis aller Daten – inklusive aller Fahrzeuge, Routenzüge, AGVs und ihrer jeweiligen Aufträge – den optimalen Weg.
ANDREA SPIEGEL: Also quasi von allen, die in der Halle unterwegs sind?
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Das System berücksichtigt nicht nur den aktuellen Standort, sondern antizipiert auch, wohin ein Fahrzeug als nächstes fährt.
ANDREA SPIEGEL: Es berechnet sogar, was als Nächstes passieren wird. Wahnsinn.
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Beispielsweise bei autonomen Fahrzeugen: Der Gabelstaplerfahrer weiß, dass das autonome Fahrzeug eine Notbremsung macht. Er kann dann auch mal die Vorfahrt nehmen, ohne dass es zu Problemen kommt, weil das System das alles einkalkuliert.
ANDREA SPIEGEL: Faszinierend, auch menschliche Faktoren werden berücksichtigt.
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Aber das ist ein Prozess, der über sieben Jahre lief. Es ist nicht so, dass der Kunde sagt: Hey, wir wollen Gabelstapler tracken, und am nächsten Tag hat er die perfekte Lösung. Es ist ein Entwicklungsprozess, aber mit diesen Daten kann man einen sehr hohen Grad an Digitalisierung erreichen – in vergleichsweise kurzer Zeit. Man ist so bestens gerüstet für die Zukunft, egal, welche neuen Fahrzeuge oder Tools in die Halle kommen.
ANDREA SPIEGEL: Und man hat eine gute Grundlage, um weiterzumachen.
SAMUEL KASSIEPE: Genau. Man weiß sogar schon, was man mit neuen Daten machen kann. Es wäre ja blöd, wenn man neue Systeme einführt, diese aber erst nach zwei oder drei Jahren sinnvoll nutzen kann. Mit dieser Grundlage versteht man sofort, wofür die Daten verwendet werden.
ANDREA SPIEGEL: Sehr spannend, vielen Dank!