ANDREA: Man sagt ja ganz oft, dass Deutschland im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung ein bisschen „abstinkt“. Warum ist das so?
HÄMMERLE: Also da gibt es natürlich die strukturellen Probleme, die wir haben. Also selbst im Schwäbischen haben wir nicht in jeder Ecke, auf jedem Acker, 5G-Netz oder überhaupt 4G-Netz. Da wird es natürlich schwierig. So auch in unserem Alltag, wenn wir unterwegs sind, dass einfach Telefonate abbrechen, weil man keinen Empfang hat. Netzabdeckung ist natürlich ein Riesenthema. Wir sagen, wenn Technologie und eine industrielle Revolution auf Internet Technologie basiert, dann müssen wir das Internet halt auch überall haben, sonst geht das nicht. Das ist ganz klar.
Dann haben wir natürlich auch Situationen, wie wir unsere Industrie geprägt haben. Wir haben in Deutschland schon auch einige große Unternehmen und große Konzerne. Wir sehen aber auch, dass Unternehmen sehr viel auf die Gesamtlösung schauen und die alles selber machen wollen. Ich bin da nicht ganz sicher, ob das immer so richtig ist. Wenn wir die besten Autos herstellen, müssen wir nicht die beste Fabrik digitalisieren können. Das kann auch jemand anderes für uns tun.
Deutsche Unternehmen wagen sich noch viel zu selten in Netzwerke mit rein, wo sie einfach in den Austausch kommen. Sie versuchen alles selbst zu machen. Es gibt da so ein Begriff in der Wissenschaft, der nennt sich Ambidextrie „Beidhändigkeit“. Also auf der einen Seite das Tagesgeschäft bestmöglich und sehr effizient abarbeiten, auf der anderen Seite Innovationen neue Dinge rein bekommen. Das beißt sich von den Vorgehensweisen, von den Prozessen. Die Menschen müssen anders denken.
Und wir haben ja viele Experimente in der Industrie gesehen, dass man beschlossen hat, Startups zu kaufen. Dann haben wir irgendwann einen ganzen Blumenstrauß an Startups, die alle ganz nach oben berichten. Das funktioniert irgendwann auch nicht mehr. Startups in die eigene Organisation zu integrieren ist auch nicht so einfach.
Ich bin der Meinung, dass Industrie 4.0 eine Netzwerkaufgabe ist und da müssen die Unternehmen einfach schauen, welches Wissen sie wirklich brauchen und wo sie sich auch ein Stück weit mal „Know how“ zukaufen können? Wenn wir bei Startups sind, sind wir natürlich auch an dem Punkt andere Länder, andere Sitten.
Wenn wir uns anschauen, wie die Investitionsumfänge und auch die Möglichkeiten für Startups in den USA beispielsweise sind, dann stehen da ganz andere Gelder dahinter. Wir haben jetzt auch im Future Work Lab die Erfahrung gemacht, mal so ein Startup von der Gründung bis zum Millionen Listing begleiten und unterstützen zu dürfen. Das ist schon ein steiniger Weg, der einige Jahre dauert. Man ist nicht immer ganz schnell mit den Unicorns unterwegs, die dann ihr Milliarden Listing an der Börse sehr schnell finden.
ANDREA: Du hast bereits die USA erwähnt, aber gibt es irgendein Land, das Vorreiter oder bei dem der Großteil der Mittel- und Kleinunternehmer auf dem richtigen Weg ist? Oder ist es eher mal besser, mal schlechter?
HÄMMERLE: Da kommt es jetzt darauf an, über was wir genau reden. Wenn wir über Digitalisierung reden, dann sind die Amerikaner da natürlich viel weiter im B2C Geschäft. Man mag es zwar nicht glauben, aber der Zug ist dafür so ziemlich abgefahren. Da braucht man in Deutschland oder Europa gar nicht so weit schauen. Ganz Europa hat da nicht viel dagegen zu setzen, wenn wir uns die großen Player wie Google, Amazon und Co anschauen.
Da haben wir in Europa gerade mal die SAP und die ist schon wieder so nischig und auch so industriell geprägt, dass man in den B2C Bereich gar nicht ankommen können. Da braucht es einen ordentlichen Schritt und ich bin skeptisch, ob der so schnell passieren kann, weil die etablierten Player einfach gesetzt und integriert sind. Wir nutzen sie alle und da springt kaum einer auf ein altes Prinzip um.
Wo man eine Riesenchance und eine super Ausgangsposition in Deutschland hat, und das sagen auch alle Studien, ist im industriellen Bereich. Deswegen spielt in Deutschland dieser Begriff „Industrie 4.0“ und die Digitalisierung der Produktion eine so wichtige Rolle, auch wenn sie uns im privaten Leben vielleicht gar nicht so betrifft. Für die Unternehmen und damit auch für unseren Wohlstand als Menschen in Deutschland ist es unglaublich wichtig, dass wir diesen Schritt gehen. Da bescheinigen uns viele Studien, die von außen auf Deutschland gucken.
Wir haben eine sehr gute Ausgangsposition, weil wir natürlich tolle Lösungen haben und auch Unternehmen haben, die zu den Gewinnern in Wettbewerben der Industrie 4.0 gehören. Ich nenne da immer sehr gerne als Beispiel die Firma Bosch, weil Bosch einfach die Größe und die Beidhändigkeit hat, sowohl eigene Fabriken auszustatten als auch Ausstatter der Welt zu sein.
Aber wir sehen eben auch, dass wenn wir von innen in die Unternehmen hineinschauen und aus der praktischen Welt schauen, dass wir in Deutschland da noch nicht so weit sind. In Deutschland finden die Innovationen mehr im Mittelstand statt, weil dieser in Deutschland eine sehr starke Position hat. Da müssen wir allgemein noch mehr Gas geben. Wenn wir den VDMA Studien Glauben schenken dürfen, dann sind wir im Moment irgendwo zwischen der ersten oder zweiten von fünf Stufen. Fünf ist die am besten ausgebaute Stufe. Somit stehen wir zwischen den Anfängern und dem Mittelfeld. Da müssen wir schon gucken, dass es schneller geht.