ANDREA SPIEGEL: Jetzt haben wir diese drei großen Themen angeschaut. Da gibt es mit Sicherheit noch viel, viel mehr. Aber ich denke, in Anbetracht der Zeit wollen wir es heute nicht überstrapazieren für die Zuhörerinnen und Zuhörer. Mich würde noch ein Punkt interessieren. Die ganzen Trends sind ja spannend, und vieles davon ist sicherlich auch hilfreich. Wie kann ich mich darauf gut vorbereiten? Wir haben ja schon viel über Digitalisierung, Automatisierung, Chatbots und Co. gesprochen. Wie bereite ich mich auf solche Veränderungen gut vor? Was sind wichtige Faktoren, wie etwa die Infrastruktur-Strategie, das Mindset meiner Mitarbeitenden sowie deren Hard- und Soft Skills? Was sind Bereiche, an denen man arbeiten kann, bevor man sich in alle Trends stürzt, um eine gute Basis zu schaffen? Daten waren ja auch schon ein Thema.
SIMON TONAT: Tatsächlich finde ich, dass das Mindset-Thema extrem wichtig ist. Jeder Serviceleiter würde dir jetzt sagen, dass sie total kundenzentriert und kundenfokussiert arbeiten. Aber man merkt ganz oft, wenn man in Workshops ist, dass Sätze fallen wie: „Warum sollen wir das jetzt machen? Das kann doch der Kunde in dieser Maske selbst einführen. Muss wir ihm jetzt alles hinterhertragen?“ Da merkt man, dass sie zwar im Service sind und ein gutes Servicelevel für den Kunden bringen wollen, aber dass das richtige Mindset oft noch fehlt. Es geht darum, zu verstehen, dass man da ist, um dem Kunden zu helfen – und dass diese Kunden keine Bittsteller sind, sondern eigentlich für die Dienstleistungen bezahlen. Ich bin Dienstleister, ja. Genau, das ist schon ein Thema. Und ich glaube nicht, dass es eine „magische Lösung“ gibt, die man einfach durchführt, etwa in Form eines zweitägigen Seminars, nach dem dann alles perfekt läuft.
ANDREA SPIEGEL: Das wäre natürlich schön.
SIMON TONAT: Aber das wird nicht funktionieren. Man muss sich in der Führungsetage wirklich überlegen, was die Hebel sind. Man muss viel aktiver führen und das Ganze vorleben. Denn ich finde, so wie die Führungskräfte ihre Mitarbeiter behandeln, so behandeln die auch die Kunden. Wenn man intern schon keine Servicekultur hat, in der man sich gegenseitig hilft und füreinander da ist, wie kann man dann erwarten, dass das nach außen hin funktioniert? Es wäre ja fast schizophren, wenn es intern nicht vorgelebt wird und dann plötzlich von den Mitarbeitern erwartet wird, es nach außen zu tragen. Da muss sich die Führungsetage wirklich hinsetzen und überlegen, was eine Lösung sein könnte. Aber meiner Ansicht nach ist dies mit das Wichtigste, denn es ist die Grundlage dafür, dass vieles später funktioniert. Alles, was wir bisher besprochen haben, sind Change-Themen, und Change-Themen sind immer schwierig. Es gibt keine Abkürzung. Da muss man immer wieder kommunizieren, diskutieren und dann von vorne anfangen und erneut erklären. Aber je mehr man es schafft, ein gemeinsames Mindset zu etablieren und ein klares Verständnis darüber zu haben, was für eine Art Service man bieten möchte, desto einfacher wird es, in diese Richtung zu marschieren.
ANDREA SPIEGEL: Und welche Rolle spielt jeder Einzelne in dieser Idee?
SIMON TONAT: Je besser man diese Herausforderung meistert, desto einfacher tut man sich, wenn man Geschäftsmodell-Innovationen umsetzen muss, wenn man Prozesse anpassen oder Gewohnheiten aufbrechen muss, die man sich über zehn Jahre hinweg aufgebaut hat. Da braucht es eben dieses gemeinsame Mindset. Und was außerdem noch sehr wichtig ist – neben diesem „flauschigen“ Punkt – man muss auch in den Service an neuralgischen Punkten investieren. Das bedeutet, wir brauchen nicht nur Techniker, nicht nur Hotliner und nicht nur operative Führungskräfte, die mit Call-Eskalationen umgehen können. Man braucht auch Leute, die sich um Prozesse kümmern, die sich um Systeme kümmern – die nicht nur in den Prozessen arbeiten, sondern an den Prozessen. Und das wird in vielen Unternehmen sträflich vernachlässigt. Oft wird gesagt: „Wir müssen effizienter sein. Wir müssen die Calls pro Techniker erhöhen“ und so weiter. Aber es wird nicht bedacht, dass man eben auch Menschen braucht, die am System arbeiten, an den Prozessen und dem Geschäftsmodell. Das wird manchmal einfach ignoriert. Es ist dann wieder Aufgabe der Führungskräfte, aber die sind in der Regel zu 80 Prozent im Tagesgeschäft involviert. 20 Prozent sollten sie zumindest noch ihrer Führungsaufgabe nachkommen. Wann sollen sie das dann tun? Dann passiert eben oft gar nichts. Es gibt immer wieder Lippenbekenntnisse: „Ja, wir haben eine Strategie entwickelt, in drei Jahren wollen wir das und das erreicht haben.“ Aber wenn man nach drei Jahren fragt, hört man: „Es war ein bisschen schwierig, wir hatten keine Zeit.“
ANDREA SPIEGEL: Was ist deine Empfehlung oder deine Erfahrung? Angenommen, wir haben ein Unternehmen mit etwa 100 Technikern, wie du es vorhin angesprochen hast, im großen Mittelstand. Wie viele Menschen sollte es in so einem Fall geben, die sich, wie du gerade gesagt hast, mehr mit den Prozessen als in den Prozessen beschäftigen? Gibt es da eine Faustregel oder sagst du, besser einer als keiner? Braucht man da ein ganzes Team? Wie würdest du das einschätzen?
SIMON TONAT: Also ich würde sagen, Führungskräfte würde ich nicht dazuzählen, aber du solltest auf jeden Fall etwa fünf Prozent – wenn du 100 Leute hast, also fünf – einplanen. Einer könnte ein Service-Produktmanager sein, der neue Services entwickelt. Ein anderer könnte ein Pricing-Manager sein, der sich mit der Ersatzteil-Bepreisung beschäftigt. Dann bräuchtest du jemanden, der sich um Digitalisierung kümmert und auf jeden Fall noch jemanden, der an den Prozessen arbeitet. Also insgesamt fünf Prozent.
ANDREA SPIEGEL: Das wäre so ein Dream-Team, das du da zusammenstellen würdest. Und wie, ich frage jetzt mal aus Unternehmersicht: Wie kann ich mir diese Leute leisten? Oder muss ich sie mir einfach leisten?
SIMON TONAT: Das ist eben das Investment, das du tätigen musst, um aufs nächste Level zu kommen. Das bedeutet, du kannst neue Services entwickeln, die du in den Markt einführst, die dann vielleicht auch ein attraktiveres Pricing haben, weil du nicht nur Technikerstunden verkaufst. Du kannst daran arbeiten, dich zu digitalisieren und deine Prozesse zu optimieren, was dir wiederum hilft, Kosten zu sparen. Das ist wie in der Produktion. Du hast 100 Leute, die in der Montage und Fertigung die Produkte herstellen. Warum hast du dann fünf Lean-Spezialisten? Weil sie die Prozesse optimieren und dir helfen, mit der gleichen Anzahl an Leuten mehr zu erreichen. Dasselbe musst du im Service tun. Wenn du besser werden willst, musst du auch investieren. Denn wenn du nur operative Leute hast, drehst du dich immer nur im operativen Kreislauf. Wo soll da der Fortschritt herkommen? Die Leute können noch so motiviert sein, aber sie haben einfach nicht die Zeit oder die Kapazität, das zu tun. Es funktioniert einfach nicht.
ANDREA SPIEGEL: Das ist vielleicht auch ein wichtiges Statement, das man mal klar ausspricht. Dann würde ich sagen, setzen wir hier einen kleinen Haken bei diesen drei großen Trendthemen.