ANDREA SPIEGEL: Jetzt hast du schon vorhin immer wieder auch das Thema Werkzeuge angesprochen, also tatsächliche Dinge oder Tools, mit denen ich dann auch wirklich arbeiten kann und denen ich das dann auch durchsetzen kann. Kanban war zum Beispiel ein Thema. Können wir vielleicht mal über zwei oder drei sprechen, wo du sagst, das sind so die ganz essenziellen, sag ich mal, so ohne die komme ich nicht weit. Und wie lerne ich das quasi, diese Dinge richtig zu nutzen, sag ich mal?
OLIVER BALLHAUSEN: Also mit den essentiellen Themen bin ich immer vorsichtig, weil verschiedene Branchenhaben einfach auch verschiedene Schwerpunkte. Jetzt können wir über OEE sprechen, jetzt können wir über TPMsprechen. Wir können natürlich über Themen wie Kanban sprechen, aber Kanban ist auch nicht in jedem Unternehmendas Heilmittel. Was mir ganz oft auffällt, deswegen würde ich das einfach jetzt mal rausgreifen, das ist irgendwie das Einfachste, aber meiner Meinung nach auch das schwierigste Thema, zum Beispiel das 5S, Ordnung und Sauberkeit.
Das ist so eines der Instrumente, wo ganz, ganz viele Firmen mit beginnen, um überhaupt Operational Excellence zu starten, um überhaupt einen Prozess in Gang zu bekommen. Weil man sagt, Mensch, dann kann ich sozusagen so einen Mindchange machen bei meinen Leuten und sehe auch etwas und damit habe ich schon mal eine große Veränderung. Damit habe ich sozusagen den Veränderungsstart in die Operational Excellence vorbereitet. Die Leute suchen auch nicht mehr so lange, die Leute fühlen sich vielleicht in ihrer Umgebung wohler. Also das ist sicherlich eine Möglichkeit, um das zu starten.
Wobei ich ganz vorsichtig bin. Ich kenne Unternehmen, die sich jetzt seit drei oder vier Jahren mit Ordnung und Sauberkeit beschäftigen und da ist ja auch der deutsche Ingenieur dazu stark geneigt, auch in der Perfektion zu leben. Und bis ich eben bis zur Perfektion 5S implementiert habe, vielleicht schaffe ich es nie, vielleicht schaffe ich es in drei Jahren, vielleicht in vieren, aber oftmals ist das ein Thema, was mir zu weit geht. Und das ist so eine dieser Start-Szenarien für Unternehmen, wo sie manchmal nicht herauskommen. Also es wird gar nicht so viel Veränderung im Prozess geschaffen, sondern ganz im Gegenteil, durch Ordnung und Sauberkeit werden oftmals die Prozesse, die später noch verändert werden sollen, werden sogar noch mal etabliert.
Die werden abgeklebt, da werden Bereiche einfach nochmal, die vielleicht gar nicht effizient sind, nochmal gesäubert, nochmal die Arbeitsplatzsysteme nochmal wieder erneuert. Und von daher bin ich damit sehr, sehr vorsichtig. Zum Beispiel jemand, der sagt, 5S gehört auch in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, aber lass uns ja erstmal den Gesamtprozess anschauen und dann in diesen Change-Prozess auch Ordnung und Sauberkeit zu integrieren.
Also das ist für mich ganz entscheidend, dass ich eben mich nicht nur mit einem Werkzeug beschäftige, sondern ich sage, was macht Sinn für mein Unternehmen. Wenn ich zum Beispiel Einzelarbeitsplätze habe in der Produktion und danach eine Fließfertigungslinie aufbauen möchte, dann macht es keinen Sinn, erstmal diese Einzelplatzsysteme zu säubern und dort Ordnung zu schaffen, sondern dann muss ich erst meinen Flow aufbauen und dann im Rahmen dieser Veränderung, und dann ist es eh eine große Veränderung, kann ich dann auch gleich mit einführen. Tolle Möglichkeiten sehe ich immer wieder, wenn Unternehmen neu bauen.
Also wir haben einige Kunden, die jetzt auch wieder neu bauen, wo man natürlich alles in Frage stellen darf, wo eh ein großer Change ist mit dem Umzug und wenn dann auf einmal alles anders ist und alles neu ist, dann muss ich zwar meine Mitarbeiter vorher darauf vorbereiten, aber im Rahmen von solch einem Umzug habe ich immer wieder die Möglichkeiten, ganz, ganz viel Neues zu schaffen. Da kann ich dann eben auch, und das ist so das zweite wichtige Instrument, was ich vielleicht nehmen, ist Ordnung und Sauberkeit, was ich einfach diskutieren möchte und gar nicht sagen möchte, das ist das wichtige Instrument. Möchte ich das Thema zum Beispiel Shopfloor Management nehmen, weil das Thema Shopfloor Management hat für mich einen sehr ganzheitlichen Charakter, wenn es richtig gemacht wird. Das ist zum Beispiel etwas, was meiner Meinung nach absolut essentiell ist für Unternehmen mittlerweile und oftmals unterschätzt wird.
Wir schreiben nicht einfach ein paar Kennzahlen irgendwo an einem Board und machen die transparent. Nein, wir wollen Transparenz über das gesamte Unternehmen, Top-Down, Bottom-Up schaffen. Wir wollen die Mitarbeiter und Führungskräfte über ihre Kennzahlen sprechen lassen zu bestimmten Zeitpunkten.
Wir sprechen in verschiedenen Hierarchie-Ebenen über die Probleme, die aufgetaucht sind. Wir eskalieren, wir deeskalieren, also wir bringen eine ganz neue Kommunikation, ein gesamtes Unternehmen und jeder merkt auf einmal, Mensch, ich bin Teil einer Bewegung, ich bin Teil eines Unternehmens, das sich bewegt, das die Probleme angeht oder eben auch priorisiert und sagt, nein, das ist jetzt nicht wichtig genug, wir haben andere Themen, aber es wird immer darüber gesprochen. Und das birgt eine hohe Transparenz und Offenheit in der Veränderung. Und durch dieses Shopfloor-Management baue ich auf der einen Seite natürlich Transparenz auf und auf der anderen Seite aber auch natürlich die Kontinuität, mit Dingen umzugehen, weil sie überall irgendwo stehen und zu sagen, ja, okay, das haben wir jetzt nicht gemacht, was haben wir daran gemacht, warum haben wir es nicht gemacht oder auch, wie haben wir es gemacht, wie haben wir es verändert, wie haben wir es verbessert und das dann über verschiedene Unternehmensbereiche hinweg, das birgt auch tolle Chancen eben über die Schnittstellen hinweg.
Also, wie habt ihr das Problem denn da gelöst? Ach so, das ist für uns aber auch interessant, meine Güte.
Also, so bekommt man ein Unternehmen, finde ich, dazu, ja, über die Grenzen der Abteilung hinweg zu arbeiten und miteinander zu reden und einfach sich die Dinge hin und her zu schieben, sag ich mal in Anführungszeichen, ohne dass die Leute dann beleidigt sind. Ich meine, ich darf ja heute kaum, wenn ich in einer Abteilung X bin, sagen, dass die Abteilung, die vielleicht zuliefert, irgendeinen Fehler gemacht hat. Das ist ja, dann sprechen gleich die Chefs miteinander und dann ist der eine böse auf den anderen, wenn der eine Mitarbeiter dem anderen irgendwie gesagt hat, hey, das ist aber nicht okay, wie du das machst.
ANDREA SPIEGEL: Eigentlich ist es schade, dass man über den Fehler spricht und nicht darüber, wie man den beheben kann.
OLIVER BALLHAUSEN: Ja, das ist genau die Kultur. Es geht ja immer wieder darum, wer hat den Fehler verursacht. Nein, wir haben ihn nicht verursacht, bei uns taucht das so auf, weil die Abteilung X das so und so gemacht hat. Und deswegen finde ich eine der spannendsten Maßnahmen übrigens Prozessworkshops, die wirklich auch abteilungsübergreifend sind, die produktionsübergreifend sind. Wenn man sich wirklich mal von Kundenbestellung bis hin zur Auslieferung dann hinsetzt mit verschiedenen Menschen aus den verschiedensten Abteilungen und da mal solche Wertströme, solche Prozesse aufnimmt, auf einmal merkt derjenige im Vertrieb, was er damit anrichtet, wenn er den Haken im SAP an der richtigen Stelle vergisst, weil der im Lager nachher auf einmal das vielleicht dann an die Zentrale des Kunden schickt und nicht an ein Werk, einfach nur als Beispiel. Und da gibt es tausende solcher Diskussionen, die genauso prozessabteilungsübergreifend geführt werden können und ich glaube, da liegt eine Riesenchance drin. Und auf die Art und Weise, glaube ich, können wir solche Unternehmen dann eben auch oder können Unternehmen sowas ganzheitlich erreichen, worüber wir gerade sprechen.