ANDREA SPIEGEL: Was waren denn eure Motive, zu digitalisieren? Also, auf der einen Seite, denke ich, gibt es diesen inneren Antrieb, immer besser zu werden und in Richtung Perfektion zu streben. Auf der anderen Seite gab es sicher auch Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel den Wettbewerb oder den Fachkräftemangel, bei denen ihr gesagt habt: „Wir müssen irgendwie mit weniger Menschen den gleichen Output hinbekommen.“ Gab es diese Herausforderungen für euch oder hast du gesagt, dass das zwar auch eine Rolle spielte, aber nie das Hauptthema war?
HERMANN DIEBOLD: Ja gut, man versucht natürlich immer, besser zu sein als der Wettbewerb. Ich würde nie etwas Schlechtes über meinen Wettbewerb sagen.
ANDREA SPIEGEL: Belebt ja auch das Geschäft.
HERMANN DIEBOLD: Das heißt, die machen gute Produkte, aber es gibt immer bessere, und das war unser Ansporn, diese Dinge zu digitalisieren. Was man am Ende des Tages will, sind natürlich Daten. Wenn wir heute einen Werkzeughalter fertigen, bekommt er am Ende einen QR-Code. Dieser QR-Code hat zwei Funktionen: Wir können alles sehen – die Lebensgeschichte dieses Werkzeughalters, wie er gehärtet und gemessen wurde, all diese Informationen sind digital erfasst. Der Kunde sieht die Artikelnummer, vielleicht CAD-Daten, die Abmessungen und möglicherweise auch den Preis am Ende des Tages. Soweit sind wir zwar noch nicht, aber wir arbeiten darauf hin.
ANDREA SPIEGEL: Das ist dann Zukunftsmusik, aber das ist doch gut.
HERMANN DIEBOLD: Ja, ich mache einen kurzen Schwenk dazu. Ich sitze hier mit einem Hemd, auf dem 7TOOLSund Diebold stehen. Diebold ist der Fertigungsbetrieb, 7TOOLS ist eine Handelsplattform für Werkzeuge, die wir entwickelt haben. Bisher verkauft sie Werkzeuge und Zubehör, aber da könnte noch viel mehr drin sein.
ANDREA SPIEGEL: Bisher, ich wollte gerade sagen, da sieht man schon, du hast schon wieder Ideen.
HERMANN DIEBOLD: Zuhause, ja. Und das Thema ist einfach, wie man das Produkt am Ende des Tages auch vermarktet. Wie kann ich mit meinen Daten einen Service bieten, der dem Kunden einen Mehrwert verschafft? Der Kunde kauft gerne, wenn er einen Mehrwert bekommt. Ansonsten schaut er nur auf den Preis und fragt sich, ob es gut genug ist oder ob er etwas Besseres braucht. Und genau das ist auch die Situation bei uns im Werkzeughaltergeschäft.
Ich habe es noch gar nicht angesprochen: Wir machen auch die Messtechnik, um diese Werkzeughalter zu messen, die Kegel zu messen. Weltweit nutzen Werkzeughersteller diese Geräte. Anfangs hat mir das gar nicht gefallen, weil ich befürchtet habe, dass sie alle besser werden. Aber in der breiten Masse ist das tatsächlich nicht passiert.
ANDREA SPIEGEL: Da braucht man ja auch wieder Know-how, wie du vorhin gesagt hast – die Metallbauer haben auch Wissen, aber das fehlt vielleicht in der breiten Masse.
HERMANN DIEBOLD: Genau, es geht aber auch wieder um Daten – Messdaten. Wenn ich heute Listen schreibe oder Excel-Listen führe, ist das irgendwo Herrschaftswissen, das nicht für alle zugänglich ist. Ich muss wissen, wo die Informationen sind und Zugang dazu haben – das ist alles nicht so einfach. Und wir haben gesagt, nein, wir brauchen eine Plattform, auf der diese Daten für das gesamte Unternehmen zugänglich sind. Erst dann habe ich einen Rationalisierungsschritt erreicht. Und wir wollen keine Leute abbauen, um Gottes Willen, sondern wir wollen sie anders einsetzen, sinnvoll einsetzen.
Kommen wir zurück zu unseren jungen Entwicklern: Wenn ich sie Excel-Listen schreiben lasse, dann hauen die ab – das wollen die nicht mehr.
ANDREA SPIEGEL: Da fehlt dann auch die Kreativität in der Arbeit.
HERMANN DIEBOLD: Genau, sie brauchen ein Hilfsmittel, das ihnen hilft, ihre Aufgaben schnell zu erledigen, damit sie zum nächsten Schritt übergehen können. Jetzt gehe ich noch mal auf unsere Handelsplattform ein: Man kann sich kaum vorstellen, wie konservativ unsere Branche ist, wenn es darum geht, Dinge zu verändern – das ist unglaublich. Wir predigen rauf und runter, wo man Zeit, Geld und Aufwand sparen kann, um bessere Daten zu haben und schneller auf diese Daten zugreifen zu können.
Als wir mit der Plattform gestartet sind, bin ich zu meinen Leuten gegangen und habe gefragt, ob sie nicht mal etwas dort kaufen wollen, als Versuch. Die musste ich überhaupt nicht überzeugen, es ging ganz einfach. Und dann habe ich gelernt: Die jungen Leute wollen nur noch digital einkaufen. Sie werden nicht mehr warten, bis der Vertreter kommt und ihnen Schokolade bringt. Und der Unternehmer, der sein Produkt verkaufen will, wenn er seinen Außendienst losschickt, das ist so ziemlich das Teuerste, was er machen kann. Ihm den Autoschlüssel in die Hand zu geben. Und deshalb sitzen wir heute hier und machen Podcasts, um unsere Produkte den Leuten zu erklären und zu zeigen. Wir zeigen hier und heute nicht das detaillierte Produkt, aber ich kann nur empfehlen, gehen Sie mal auf unsere Website – da sieht man schon einiges. Noch besser ist unser YouTube-Kanal, da gibt es Erklärvideos.
ANDREA SPIEGEL: Man verkauft ja über Geschichten, deswegen ist Podcast auch so ein schönes Format. Man will wissen, wer dahintersteckt.
HERMANN DIEBOLD: Ja, und ein junger Mensch, der den Auftrag bekommt, sich um ein Schrumpfgerät zu kümmern – was tut er? Er geht online und möchte Videos sehen, wie das funktioniert, oder Berichte von Anwendern, was ihnen passiert ist und was sie daraus gelernt haben. Es ist also eine ganz andere Art zu verkaufen. Es spart den Leuten Zeit, es spart Aufwand und sie haben vielleicht eine bessere Chance, gleich das Richtige zu kaufen. Wenn man das falsche Produkt kauft, hat man überhaupt keinen Spaß daran.
Jetzt erzähle ich noch einen Schwank aus unserer 7TOOLS-Geschichte: Wir haben Messstative im Programm. Da bin ich in die Fertigung gegangen und habe gesagt, „Zeigt mir mal unsere Messstative, was wir so haben.“ Da sagt der junge Meister, nimmt das erste in die Hand und sagt: „Mit dem kann man nicht arbeiten.“ Okay, das zweite – „Das ist nicht so gut.“ Und dann haben wir zum Glück eines gefunden, das genau das gleiche ist wie das, was wir auf der Plattform haben, aber der Hersteller war gar nicht erkennbar – da stand der Name vom Händler drauf. Ich habe gesagt: „Leute, so könnt ihr nicht arbeiten! Ihr müsst das über einen Händler kaufen, er kauft es, labelt es um, verkauft es weiter, lagert es ein und schreibt eine Rechnung. Jeder schreibt eine Rechnung. Es ist ein Warentransfer, das macht das Produkt nur teurer.“
ANDREA SPIEGEL: Jeder will noch ein bisschen Marge haben?
HERMANN DIEBOLD: Muss er, er muss die Marge haben, weil die Verkäufer, die Händler, Vertreter – die machen einen sehr guten Job, keine Frage. Aber sie verbrauchen einfach einen großen Teil der Marge. Das ist auch wieder ein großes Thema der Digitalisierung.
ANDREA SPIEGEL: Neue Geschäftsmodelle da auch zu finden.
HERMANN DIEBOLD: Meine Idee ist vor fünf Jahren entstanden: Das Verkaufen und Einkaufen wird digital. Was machen wir jetzt? Ja, was mache ich mit meiner Idee? Ich muss Verbündete finden und jemanden, der das am Ende auch umsetzen kann. Aber heute haben wir eine Software, die mehr kann als Amazon – das muss man sich mal vorstellen.
Nur eines kann sie nicht: Wenn ich bei Amazon einen Artikel anschaue, ist mir wirklich passiert, dass ich Bildernägel gebraucht habe, sie mir angeschaut, in den Warenkorb gelegt habe, und dann rufe ich meine Frau an und sage: „Komm zum Essen, sonst kriegst du nichts mehr.“ Bis ich zu Hause war, war der Artikel 30 Prozent teurer – der gleiche Artikel. So kann man nicht arbeiten. Das ist in unserer Branche verpönt, sage ich mal.
ANDREA SPIEGEL: Ja, ich glaube auch, dass es niemanden gibt, der da sitzt und denkt: „Ah ja, finde ich super, dass der jetzt teurer geworden ist“, nur weil ich noch überlegt habe. Mit Flügen kennt man das ja auch.
HERMANN DIEBOLD: Ja, das ist ein ganz heißes Thema. Ich habe auch schon viele Gedanken darüber gemacht. Ich bin ja auch oft unterwegs, geschäftlich viel geflogen. Meinen letzten Flug nach Asien habe ich nicht gemacht, weil das Ticket viereinhalb Tausend Euro gekostet hätte. Ich bin zu Hause geblieben. Ja, was nützt es der Wirtschaft, was nützt es meinem Vertreter? Nützt niemandem etwas.
Also, eine tolle Lösung, wie man Flugtickets vernünftig vermarkten könnte… Man muss sich das mal vorstellen: Sie verkaufen die Restplätze teurer, die dann vielleicht leer bleiben. Das macht für mich überhaupt keinen Sinn. Ich bin selbst Flieger, ich weiß, was eine Flugstunde kostet, das macht einfach keinen Sinn. Aber die Branche ist irgendwie stockkonservativ und macht ihr Ding halt so wie bisher. Also, das schreit auch richtig nach Digitalisierung, und eigentlich wünsche ich mir, dass da ein paar Start-ups aufstehen, die das mal richtig durchmischen und mit neuen Ideenkommen.
ANDREA SPIEGEL: Vielleicht ein bisschen Disruption in diese Märkte bringen.
HERMANN DIEBOLD: Absolut, ja.
ANDREA SPIEGEL: Aber das ist spannend. Ich habe dir so ein bisschen gelauscht in deinen Erzählungen. Das waren wahnsinnig viele spannende Dinge, ich hätte noch 1.000 Fragen, glaube ich. Was ich so raushöre, sind zwei Dinge: Das eine ist für mich, dass du immer wieder auch sagst, Digitalisierung hat auch ganz viel mit Lernen zu tun und ist ein Lernprozess. Man sollte es auch so verstehen, als Chance, neue Dinge zu lernen, auszuprobieren und es zu nutzen. Und auf der anderen Seite höre ich auch oft, dass es ganz viel mit dir als Geschäftsführer zu tun hat, wie das Ganze gelebt wird, weil du das am Ende eben auch forderst und einforderst.
Oder würdest du sagen, wenn du jetzt nicht so interessiert wärst, wäre es dann genauso? Weil alle Leute bei dir das so machen, oder glaubst du schon, dass du einen entsprechenden Impact auf deine Mitarbeitenden hast?
HERMANN DIEBOLD: Ich muss natürlich schauen, dass unser Unternehmen wirtschaftlich bleibt, und Manpower ist einfach ein teures Thema. Wenn die Leute dann umständliche oder sinnlose Dinge machen, dann ist eigentlich der Geschäftsführer oder der Inhaber letztendlich gefordert. Ein Einkäufer wird immer sagen: „Ich mache doch alles richtig“, aber wenn wir ihm ein anderes Handwerkzeug geben, wie mit unserer Plattform… Kurz ein Beispiel: Wenn man heute von der Anfrage bis das Produkt, das ich gekauft habe, bezahlt ist und bei mir im Lager, das sind 20 Vorgänge. Über unsere Plattform sind es nur 8 Schritte, und eine Nachbestellung mache ich mit zwei Klicks. Das macht ein Einkäufer heute nicht mit zwei Klicks. Oder einen Artikel, den ich mal kaufe, im ERP anzulegen – das ist das Teuerste, was man machen kann.
Wenn ich ihn nur einmal brauche, gehe ich noch mit, ansonsten ist es einfach viel vergeudete Zeit. Und auch wenn ich jetzt eine Maschine betreibe… Wir haben Maschinen, die kosten 6, 7, 800.000 Euro. Wenn ein Prozess nicht funktioniert und nach 8 Stunden geht mein Mitarbeiter heim, dann ist Ende der Geschichte. Wir müssen unterwegs schauen, dass wir die Hilfsmittel haben, um den Prozess hinzukriegen, sodass es am Ende des Tages wirtschaftlich ist. Weil sonst können wir irgendwann unsere Hütte zumachen oder müssen sie woanders hin verlagern.
Wir lernen ja sehr viel von Firmen, die verlagert haben oder die Tochterfirmen im Ausland haben. Wir kennen deren Probleme. Wir werden oft dahin auch gerufen, um zu helfen und zu unterstützen. Am Ende des Tages ist es nicht wirtschaftlicher, aber es ist bei der Zwang einfach und auch verlockend, sich in anderen Gebieten anzusiedeln. Aber das ist nicht gut für unser Land, das möchte ich überhaupt nicht. Wir müssen uns wirklich zusammenreißen und schauen, was wir machen können, damit wir das hier alles halten können.