ANDREA SPIEGEL: Das heißt, wir haben jetzt Schritt 1, sozusagen den Einstiegspunkt, gefunden. Du hast vorhin schon gesagt, dass am Ende jedes Projekt ein Stück weit individuell ist. Für jede Firma und jedes Thema ist es nachher ein bisschen anders. Wieso sagst du trotzdem, dass man eine richtige Reihenfolge finden kann? Wie geht es weiter?
PETER OECHSLE: Also ab dem ersten Schritt, dem Ziel, wird es jetzt spannend. Jetzt kommt es tatsächlich auf die Voraussetzungen an, und auch ein bisschen auf die Erfahrung mit dem Digitalisierungsprojekt. Wenn ich schon viel Erfahrung damit habe, wird der Verlauf ein bisschen anders sein, als wenn ich noch keine Erfahrung habe. Als nächsten Schritt würde ich die Ausstattung des Projektes betrachten. Welche Personen können an dem Projekt teilnehmen? Wie viel Zeit haben sie? Welche Erfahrung haben sie? Brauche ich noch externe Kompetenz dafür? Also sprich: die personelle Ausstattung des Projektes.
ANDREA SPIEGEL: Was ich ja eigentlich auch in der Lage sein müsste, zu tun, weil ich durch das “Warum” am Anfang schon wahrscheinlich das Thema Sponsoring, wie du gesagt hast, geklärt habe. Also: „Wo will ich hin? Welcher Berg ist mein Berg?“ Und mit welcher Ausstattung kann ich losfahren?
PETER OECHSLE: Genau. Aber trotzdem ist es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen und nicht einfach nur zu sagen: „Ja, ja, es ist ja klar, dass die im Lager das machen.“ So nach dem Motto: „Wir sind ein Team, toll, ein anderer macht’s.“ Sondern wir brauchen schon ganz konkret die Person A, die Person B, die Person C – welche Funktionen haben die? Wie viel Zeit bekommen sie, auch außerhalb ihrer normalen Arbeitsaufwände, die sie ja haben? Wie viel Zeit davon können sie für die Projektarbeit aufwenden? Und das ist dann die Ausstattung: möglicherweise auch die technische Ausstattung. Benötigen wir Serverressourcen oder ähnliche Materialien? Das ist die Ausstattung des Projektes.
ANDREA SPIEGEL: Okay, das heißt, ich habe dann das Ziel, die Ausstattung des Projektes – was kommt als Nächstes?
PETER OECHSLE: Aus meiner Sicht kommt dann die Beschäftigung mit dem heutigen Prozess. Wie sieht der heutigen Prozess aus, und was hindert uns daran, mit diesem Prozess das Ziel zu erreichen? Wenn wir bei den Papierbelegen im Lager bleiben: Was hindert uns der Papierbeleg im Lager daran, auf 200 Einheiten in der Woche zu kommen? Die Beschäftigung mit dem heutigen Prozess hilft uns, uns überhaupt mal klarzumachen, wie wir heute arbeiten. Und da kommen häufig schon erste Erkenntnisse. Es geht dabei nicht nur um das Papier, sondern um eine Gesamtbetrachtung. Wie sieht unser Lager aus? Ich will jetzt nicht zu tief in so ein Lagerprojekt einsteigen, aber man kann sich schon viele Fragen stellen, die mit der Digitalisierung noch nicht viel zu tun haben. Ist das Lager aufgeräumt? Liegen dort Teile herum, die eigentlich nichts im Lager zu suchen haben? Sind die Teile schon irgendwie nach Häufigkeit der Nutzung sortiert? Liegen die Teile, die häufig benötigt werden, vorne und schnell erreichbar, und die, die selten gebraucht werden, irgendwo hinten in der letzten Ecke? Das sind alles schon Vorprozesse, die ich schaffen kann, bevor das eigentliche Projekt überhaupt losgeht.
ANDREA SPIEGEL: Aber ist das dann, ist jetzt vielleicht eine blöde Frage, aber müsste ich das nicht fast schon noch vor das „Warum“ stellen? Vor den ersten Schritt quasi? Weil ich ja erst mal einen Bedarf erkennen muss, und der entsteht ja durch irgendwas. Und wahrscheinlich, wie du sagst, dieses „Ich möchte auf 200 Einheiten kommen“ – das ist der Bedarf, aber der kommt ja irgendwo her. Habe ich mehr Nachfrage oder wie auch immer? Ist es jetzt nicht schon wieder durcheinander?
PETER OECHSLE: Nee, es ist nicht durcheinander, weil wir vorher bei der Frage waren, wie das Projekt überhaupt zustande kommt. Und wir haben ja schlussfolgernd gesagt, dass es oft damit zu tun hat, dass jemand gehört hat, dass Digitalisierung Sinn macht. Natürlich gibt es noch andere Motivationen. Das ist eine Motivation, aber es gibt auch viele andere. Also die Motivation – warum starte ich überhaupt mit dem Projekt? – würde ich nicht als Projektbestandteil sehen. Die Motivation kommt vorher und führt zur Projektinitiierung. Die Motivation könnte sein, dass jemand sagt: „Wir sind zu langsam“, oder „Wir sind ineffizient“, „Wir kosten zu viel Geld“, oder auch der Kunde könnte die Motivation sein. Wir erwarten mehr Output von euch. Manchmal hat es gar nichts mit Quantität zu tun, sondern mit Qualität. Gerade im Automobilsektor sagen viele Kunden: „Du, mein Lieferant, musst einen digitalen Prozess haben, um bei uns die Zertifizierung zu bestehen. Wir glauben dir nicht, dass die Qualität deiner Ware so gut ist, wenn du noch mit Papier und Bleistift arbeitest.“ Auch das kann eine Motivation für ein Digitalisierungsprojekt sein.
ANDREA SPIEGEL: Das ist dann eher von extern, quasi.
PETER OECHSLE: Genau. Oder weil man sich einer ISO-Zertifizierung unterziehen möchte und dann die Prozesse digitalisieren muss. Die Motivationen sind für mich vorangestellt, und sie sind natürlich dann auch ein Aspekt des Ziels.