ANDREA SPIEGEL: Ich glaube, ich würde an das Thema tatsächlich erst einmal einen Haken machen. Ich denke, wir haben Impulse gehört, die wir dann noch umsetzen können. Du hast vorhin das Thema Klima angesprochen. Weil du jetzt gerade auch Politik erwähnt hast und so weiter, würde ich da gerne noch darauf eingehen. Ich sage mal einfach, wenn man sich auch die politische Agenda momentan ansieht, die Themen, die gerade immer wieder hochpoppen, ist ja Klimaneutralität auch für Unternehmen, besonders in der Industrie, ein wichtiges Thema. Große Produktionen stoßen natürlich entsprechend viele Abgase aus, die man nicht mehr haben möchte oder die man gerne irgendwie ausgleichen würde und so weiter. Spielt Klimaneutralität für Unternehmen eine Rolle? Digitalisierung kommt da auch gerne ins Spiel. So im Sinne von, wenn wir es digital machen und uns irgendwie optimieren, dann haben wir auch weniger Ausstoß und dann ist alles besser. Jetzt höre ich schon heraus, es ist vielleicht ein bisschen kurz gedacht.
Die Frage wäre quasi zum einen, ist es überhaupt interessant für Unternehmen? Also denken Unternehmen überhaupt darüber nach? Über Klimaneutralität haben die vielleicht gerade noch genug mit der Digitalisierung zu tun? Und dann auch die Frage, wie wird denn Klimaneutralität überhaupt bewertet? Wann bin ich denn klimaneutral? Da hängt ja wahnsinnig viel dran.
MICHAEL FINKLER: Das ist eine gute Frage. Also ich komme gerade aus einer Geschäftsführungssitzung, und eines der wesentlichsten Themen war Nachhaltigkeit. Also ESG-Vorgaben, natürlich einmal Klima, dann Soziales, aber auch die Governance. Und wenn ich beim Bitkom schaue, was die wesentlichen Themen sind, dann sind es im Moment auch Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz. Wenn ich wieder bei den Maschinenbauern nachschaue, sind es zwei Themen: Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Das hängt damit zusammen, dass es politische Vorgaben gibt. Es gibt den Green Deal, den EU-Green Deal. Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein. Deutschland hat gesagt, wir schaffen es aber fünf Jahre schneller, bis 2045. Und die Unternehmen sollen bis 2030 oder zumindest die Hälfte nur noch CO2 ausstoßen. Nachhaltigkeit geht aber jetzt darüber hinaus. Da geht es um Lieferkettengesetze, da geht es um viel mehr. Aber die Klimaneutralität ist eines der größten Themen, die wir jetzt zu bewältigen haben. Die gesetzliche Vorgabe ist im Moment, dass Unternehmen mit über 3000 Mitarbeitern heute schon eine Treibhausbilanz erstellen müssen. So eine sogenannte Corporate Carbon Footprint. Und für Unternehmen ab 2024 mit über 400 Mitarbeitern, was relativ gering ist, trifft das also viele mittelständische Unternehmen, müssen sie das ab 2024 schon tun. Das Gesetz befindet sich gerade in der Verabschiedung.
Das heißt, diese Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, eine Treibhausbilanz zu erstellen und zu zeigen, dass sie auf dem Weg sind, Treibhausgase zu reduzieren. Das ist das eine, die gesetzliche Verpflichtung. Aber auch für uns ist das durchaus jetzt ein wichtiges Thema. Die Kunden verpflichten sie. Also jemand, der Drehteile herstellt und für den Porsche liefert oder für BMW oder für VW, wird von den Herstellern verpflichtet, seinen Carbon Footprint auf Unternehmensebene darzustellen und noch viel schlimmer auf Produktebene. Eine ganz komplizierte Sache. Das heißt, man ist verpflichtet, das zu tun. Und dadurch, dass es schwierig ist, und wir uns bisher auch nicht damit beschäftigt haben. Also ich bin selbst im Austausch mit dem Umweltbundesamt, Bundesumweltministerium und habe einen Auftrag zu einer Forschungsarbeit erlassen. Welche Beiträge können betriebswirtschaftliche Anwendungssysteme leisten? Welche Daten können wir schon liefern, um die Treibhausbilanz zu erstellen? Und es kam heraus, dass ERP-Systeme und MES-Systeme und Euro-Systeme, etwa 70 Prozent aller Daten stecken in unseren Systemen drin, die wir möglichst schnell auch zur Verfügung stellen müssen, um die Treibhausbilanz zu erstellen.
Du hast die Frage gestellt, wann ist man klimaneutral? Also Klimaneutralität ist nicht eindeutig definiert, aber es gibt so vier unterschiedliche Bereiche. Wenn man dann sagt, naja, das wäre dann klimaneutral, die 100 Prozent reinste Form ist, wenn man wirklich kein Treibhaus ausstößt, aber das schafft eigentlich keine Firma.
ANDREA SPIEGEL: Ja, schon, wenn man Mitarbeiter hat, rein theoretisch jeder Mitarbeiter.
MICHAEL FINKLER: Ja, wenn sie schon damit beginnen, ein Auto zu produzieren, fließt das bereits in ihre eigene Treibhausbilanz ein. Das umfasst übrigens nicht nur CO2, sondern auch viele andere Gase wie Methan. Aber alles wird auf CO2-Äquivalenz umgerechnet. Das Zweite ist, meine Treibhausgase werden zusammengerechnet, und ich kompensiere, indem ich mir Zertifikate kaufe oder indem ich …
ANDREA SPIEGEL: Ein bisschen Greenwashing?
MICHAEL FINKLER: Nein, nicht Greenwashing, sondern … Also, das wird oft vielleicht zu negativ dargestellt, aber man kann wirklich Projekte unterstützen im In- und Ausland, mit denen …
ANDREA SPIEGEL: Die eine positive Bilanz haben, sozusagen.
MICHAEL FINKLER: Genau, die dabei kompensieren können. Und das Nächste ist, indem ich nicht den gesamten Treibhausausstoß betrachte, der sich aus den Eingangsprodukten ergibt. Was bringen denn schon meine gekauften Produkte mit? Was generiere ich selbst? Und was passiert mit meinen Produkten danach? Da kann man sich schon mal ausrechnen, wie komplex das Ganze ist. Was wir alle erkannt haben, ohne Digitalisierung ist das gar nicht zu leisten.
ANDREA SPIEGEL: Nicht erfassbar, sozusagen.
MICHAEL FINKLER: Unmöglich, also auch nicht steuerbar. Denn die Treibhausbilanz zu erstellen, ist das eine. Aber ich muss ja jetzt dafür sorgen, dass meine Emissionen reduziert werden. Und wir haben jetzt selbst eine Firma gekauft, hätte ich mir nie vorstellen können, die Energiemanagement macht und CO2-Bilanzen erstellt. Eine 50-Mann-Firma in Freiburg, die aus dem Fraunhofer-Institut herauskommt, ähnelt, und das finden wir toll. Unser Ziel muss jetzt sein, das Energiemanagement draußen bei den Kunden einzusetzen, die im Durchschnitt 20% weniger Energie produzieren nach Einsatz solcher Softwaresysteme.
Also ohne Digitalisierung unmöglich zu realisieren. Man braucht es, um die Bilanzen zu erstellen, aber auch im Bereich der Lieferkettengesetze, die wir haben, und auch andere Nachhaltigkeitsvorlagen. Wenn ich das alles betrachte, habe ich natürlich einmal die Digitalisierung, wenn es um die Produkte geht, um den Markt geht. Aber die ganze Regulatorik kommt noch dazu, die Taxonomien aus der EU und aus Deutschland selbst, aus dem Dachraum heraus. Und dann kommt der Kundendruck. Der Kundendruck kommt einmal aus dem Bereich, den wir eben besprochen haben, aber auch jetzt ganz stark aus dem Bereich der Nachhaltigkeit. Die großen Unternehmen wollen wissen, auch wenn ich ein kleines Unternehmen mit 50 Mitarbeitern nur bin, eigentlich nach der Regulatorik kein Lieferkettengesetz und keine Transparenz darstellen muss, werde ich aber durch die Großen gezwungen, zu bestätigen, dass ich dafür gesorgt habe, dass ordentliche Arbeitsbedingungen da sind, keine Kinderarbeit und all das. Und zwar nicht nur bei dem eigenen Kunden, sondern bei dem Kunden der Kunden der Kunden unter Umständen, was kaum leistbar ist. Und das sind die Verbände im Moment auch wirklich am Protestieren, weil das solch große Auflagenadministrationen sind, die
wirklich kaum leistbar sind, auch real kaum leistbar sind. Dazu kommen noch persönliche Haftungen der Geschäftsführung, die auch mit diesen Gesetzen kommen, also beispielsweise dem Lieferkettengesetz, ganz schlimm, und auch dem European Data Act.
Also von daher würde ich sagen, ohne Digitalisierung gelingen uns weder die großen noch die kleinen Ziele. Es geht nicht anders. Und dazu gehören immer Hausaufgaben machen, intern dafür sorgen, dass ich meinen Laden im Griff habe. Aber das ist die Pflicht. Und die Kür ist, die großen Dinge zu machen, zu einer Data-Driven Company zu werden, gute Produkte zu entwickeln, digitale Produkte und digitale Mehrwertdienste und vor allen Dingen den Kunden noch stärker fokussieren, als es heute da ist. Also Kundenzentrierung ist, wir sagen ja alle heute schon, der Kunde steht im Mittelpunkt. Aber wenn ich einen Kunde wirklich in den Mittelpunkt stelle, dann heißt das, ich beschäftige mich strategisch damit. Heißt, welche Aufgaben hat er? Welche Aufgaben kann ich ihm eventuell nehmen? Welche Probleme hat er? Da fangen die Plattformunternehmen ja meistens an. Ich will mich nicht ins Auto setzen und bei Regen vielleicht irgendwo Schuhe kaufen, sondern der soll zu Hause sitzen bleiben und die Schuhe kaufen. Und wie mache ich ihn erfolgreicher?
Also wenn ich diese drei Faktoren, Aufgaben, Probleme, Erfolgsfaktoren betrachte und dann der gegenstellt welches Angebot ich habe und dann nicht nur mich selbst betrachte, sondern auch das Ökosystem ringsherum, dann erreiche ich unterm Strich den höchsten Nutzen und werde am wettbewerbsfähigsten. Kleines Beispiel aus der Landwirtschaft. Glas kennt vielleicht jeder, die CLAAS Traktoren und Mähdrescher. CLAAS verkauft in der Zukunft Ernteertrag. Also wenn man sich das vorstellt, die sagen, geh mit ins Risiko rein. Landwirt, du brauchst mir nur mehr zu bezahlen, wenn die Ernte gut ausfällt. Dann will ich daran partizipieren und wenn nicht, gehe ich mit ins Risiko. Aber dafür nutzen sie ihr gesamtes Netzwerk. Da gehören GPS-Anbieter, Düngemittelhersteller, da gehören die Wetterprognosen dazu. Also wenn man das alles betrachtet, kriege ich den höchsten Ertrag auf dem Feld, auf dem Schlag, auf dem Quadratmeter raus. Und genauso muss man sich das in der Industrie vorstellen. Nicht mehr Einzelkämpfer, sondern in Ökosystemen mit Plattformen, mit digitalen Produkten arbeiten. Die Hardware gerät immer mehr in den Hintergrund, zählen tut in der Zukunft Software und Services.