#57 Digitalisierung in Deutschland mit Michael Finkler

Podcast Industrie 4.0 | Der Expertentalk für den Mittelstand

„Digitalisierung betrifft die Grundfeste eines Unternehmens und deren Philosophie!“ In Folge #57 unseres Podcast, bespricht Andrea Spiegel mit Michael Finkler, Geschäftsführer der proALPHA und Vorstandsvorsitzender des VDMA Fachverband Software und Digitalisierung, wie es um den Stand der Digitalisierung des deutschen Mittelstands bestellt ist.

Wir besprechen unter anderem:

📌 Verpasst der deutsche Mittelstand die Digitalisierung?

📌 Ist machine sharing die Lösung?

📌 Wie steht es um die Klimaneutralität?

Außerdem klären wir, was den Mittelstand an der Digitalisierung hindert – Stichwort Plattformökonomie.

Das Transkript zur Podcast-Folge: Digitalisierung in Deutschland

ANDREA SPIEGEL: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge Industrie 4.0, der Expert-Talk für den Mittelstand. Wir haben im Podcast schon oft darüber gesprochen, dass der deutsche Mittelstand in Sachen industrieller Digitalisierung irgendwie den Anschluss verpasst und da ganz dringend Nachholbedarf besteht. Heute möchten wir uns das mal ein bisschen genauer anschauen und darüber sprechen, ob diese These überhaupt stimmt, ob das wirklich der Fall ist und wie das in der DACH-Region eigentlich aussieht mit der Digitalisierung. Vielleicht geben wir dann auch nochmal einen kleinen Ausblick darauf, welche Schritte KMU im Bereich Business Transformation jetzt wirklich gehen können, was man jetzt machen kann und worauf man sich fokussieren sollte. Dafür haben wir einen spannenden Gast wieder bei uns hier im Studio. Das ist Michael Finkler, er ist Geschäftsführer der proALPHA und auch Vorstandsvorsitzender des VDMA-Fachverbands Software und Digitalisierung. Also absolut prädestiniert für dieses Thema. Michael, schön, dass du heute da bist.

MICHAEL FINKLER: Gerne.

ANDREA SPIEGEL: Freut mich sehr. Wie immer an dieser Stelle nochmal kurz für euch der Hinweis: Auch die Folge gibt es bei YouTube als Video zu sehen, falls ihr auch mal wissen wollt, wie wir aussehen, wer hier sitzt, könnt ihr da gerne vorbeischauen.

ANDREA SPIEGEL: Bevor wir loslegen, erzähl uns mal ganz grob – du hast vorhin schon angeteasert, du kannst ganz viel über dich erzählen – vielleicht mal die wichtigsten Key Facts. Was macht man als Geschäftsführer der proALPHA und vielleicht auch ein bisschen, was ist deine Tätigkeit im VDMA?

MICHAEL FINKLER: Gerne. Ja, proALPHA ist ein ERP-Herstellungsunternehmen, also wir entwickeln die Software selbst. In der Zwischenzeit haben wir über 2000 Mitarbeiter, in verschiedenen Bereichen. Also nicht mehr nur ERP, und das ist das Interessante. Wir haben in den letzten Jahren recht viele Unternehmen dazu gekauft, in den unterschiedlichsten Bereichen. Kürzlich KI und unter anderem auch Energie- und CO2-Management. Ich glaube, wir gehören im Moment zu den führenden ERP-Anbietern, sind gut im Markt, sind erfolgreich unterwegs. Und ja, ich bin einer der Mitbegründer, kann man sagen, von proALPHA. Insofern begleite ich das Unternehmen schon 30 Jahre und ja, das war eine spannende Entwicklung. Heute bin ich zuständig für Innovation, habe viel mit Kunden zu tun, auch in Projekten natürlich. Betreue Verbände und da sind wir natürlich schon beim Thema. Ich wurde zum Vorstandsvorsitzenden beim VDMA gewählt, dem größten Fachverband Software und Digitalisierung. Ich gehöre auch dem Bitcom an, auch dort im Bereich ERP, dem Forschungsbeirat an der RBTH Aachen. Bin also wirklich nah dran am Puls der Projekte, der Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung im Wesentlichen von Industrieunternehmen. Und da nicht nur mittelständische Unternehmen, ich analysiere auch sehr genau, was in den Konzernen im Moment passiert. Da kommen wir aber später nochmal dazu, welche Rolle Konzern in diesem Gesamtbereich der Digitalisierung spielen.

ANDREA SPIEGEL: Da hast du ja ein ordentliches Paket.

MICHAEL FINKLER: Absolut, aber hochinteressant. Also ich mache das ja schon lange und muss sagen, so interessant wie heute war es noch nie. Zumal jetzt natürlich auch Themen dazukommen wie Klimaneutralität, die genauso interessant sind für die Unternehmen oder künstliche Intelligenz in den ERP-Bereichen. In den ERP-Systemen oder auch in anderen betriebswirtschaftlichen Systemen, die uns verändern werden. ChatGPT ist ja gerade ein großes Thema. Auch das werden Funktionalitäten sein, die in den Geschäftsprozessen wiederzufinden sind und werden natürlich auch eine Herausforderung für die Menschen, aber auch für die Softwareanbieter werden.

ANDREA SPIEGEL: Okay, aber das heißt, du bringst hier geballtes Wissen aus Erfahrungen, aus TheoriePraxis und allem mit. Das würde ich auf jeden Fall mal so vorausschicken. Bevor wir jetzt ins Thema einsteigen, würde mich noch eine Sache interessieren, und zwar, es klingt für mich, als wärst du einfach auch viel beschäftigt und sehr eingespannt und so. Wo bleibt da der Mensch hinter dem Geschäftsführer, hinter dem Vorstandsvorsitzenden? Wie nimmst du dir deine Auszeiten, wie sammelst du Kraft für dann wieder solche tollen Projekte, um da auch wirklich immer für deine Kunden und Kollegen da sein zu können?

MICHAEL FINKLER: Also ich muss schon sagen, der Job selbst ist für mich, ich will nicht sagen Freizeit, aber er gehört natürlich wirklich auch zum Leben dazu und ich genieße den sehr. Auch eine erfolgreiche Entwicklung eines Unternehmens wie proALPHA mitzuerleben von einem kleinen Team auf 2000 Mitarbeiter ist wirklich sehenswert und auch es mitzuerleben, auch das Miteinander mit den Kunden ist einer der schönsten Dinge, die ich so erlebe. Darüber hinaus bin ich noch Mitgründer eines großen Projektes in Kenia, arbeite dort für 40.000 Menschen in einer Region, einer der ärmsten Regionen, was sehr sinnstiftend ist und sehr erfüllend ist und hab auch einen Naturschutzverein gegründet, weil ich der Meinung bin, wir müssen was tun für die Artenvielfalt, für den Umweltschutz, um unseren nachfolgenden Generationen lebenswertes Leben zu ermöglichen. Dann habe ich noch Familie natürlich, schon Enkel, genieße auch das. Also was ich nicht habe, ist Langeweile. Aber ich muss schon sagen, ich bin sehr zufrieden und hab sicherlich bis dato ein sehr erfülltes Leben.

ANDREA SPIEGEL: Aber ich wollte gerade sagen, das klingt auch nicht so, als wärst du jetzt unzufrieden. Also du hast alles, was du brauchst. Du beschäftigst dich, du hast keine Langeweile und hast noch viel vor.

MICHAEL FINKLER: Genau.

ANDREA SPIEGEL: Das klingt doch nach einer guten Sache. Ich glaube, das kann nicht jeder von sich sagen, dass er im Job aufgeht und gleichzeitig auch im Privatleben.

MICHAEL FINKLER: Ja, also es ist schon ein Privileg, das ich habe, und ich bin auch ganz dankbar dafür.

ANDREA SPIEGEL: Sehr schön.

ANDREA SPIEGEL: Perfekt, dann haben wir jetzt ein bisschen was über dich erfahren, wissen, was die proALPHA macht, und wissen auch, was der VDMA ist, das ist der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer. Vielleicht für die, die es doch noch nicht gehört haben oder sich nicht ganz sicher sind.

MICHAEL FINKLER: Ja, ich kann es gerne ein bisschen ausführen. Der VDMA ist der größte Industrieverband Europas mit dreieinhalbtausend Mitgliedern und bildet als Branche die meisten Arbeitsplätze. Er ist sicherlich neben der Automobilindustrie die bestimmende Branche und natürlich auch in Richtung wie jetzt Klimaneutralität einer der Branchen, die Entwicklung auch erst ermöglichen. Also insofern sehr, sehr wichtig und ich hatte immer schon ein gewisses Faible für Maschinenbauer, weil es sehr komplex ist, sehr vielfältig. Wir haben also Fachverbände, die gehen von der Photovoltaik über Feuerwehrautos bis hin zu Werkzeugmaschinen. Also es ist ein sehr, sehr breit gefächertes Produktspektrum, dadurch natürlich auch unterschiedliche Anforderungen. Früher war die Software im Bereich des Verbandes der Maschinenbauer eher von untergeordneter Bedeutung. Aber heute ist es der größte Fachverband. Wir haben Querschnittsfunktionen über alle anderen Bereiche hinweg und die Digitalisierung hat im Moment die höchste Priorität, neben der Klimaneutralität.

ANDREA SPIEGEL: Da sind wir eigentlich auch schon mitten im Thema. Ich habe ja in meinem Intro gerade schon ein bisschen nochmal angeteasert, dieses, was man immer wieder auch in den Zeitungen hört, auch ganz, wenn es mal reißerisch sein darf, so ja, der deutsche Mittelstand hat eigentlich die Digitalisierung eh schon verschlafen und hat irgendwie jetzt auch den Anschluss noch nicht wirklich gefunden oder verpasst da vielleicht auch was, verpasst Chancen und Möglichkeiten. Jetzt vielleicht an dich einfach mal die Frage, ist das denn so? Würdest du das unterschreiben?

MICHAEL FINKLER: Ja, ist eine gute Frage. Also ich hatte ja, vielleicht hat es der ein oder andere auch mitbekommen, ich hatte die Aufgabe des VDMAs bei dem letzten Maschinenbaugipfel in Berlin, den Status des Maschinenbaus darzustellen. Wir waren vor etwa 700 Teilnehmern, das waren meistens Inhaber und Geschäftsführer der Maschinenbauunternehmen. Und was mir nicht so ganz bewusst war, die Presse war mitten im Raum und Olaf Scholz, unser Bundeskanzler, war vor mir auf der Bühne. Ich kam danach. Olaf Scholz hat die Digitalisierung gelobt. Ich war vorbereitet, ich musste die Digitalisierung nicht ganz so lobend darstellen und hatte mich am nächsten Tag dann in der Presse wiedergefunden, mit so ein paar Kernaussagen.

Und auf die Frage zurückzukommen, haben wir die Digitalisierung verschlafen? Nee, wir haben sie nicht verschlafen. Wir haben viel getan. Ging ja los so 2013 mit Industrie 4.0. Wir haben viel rein investiert, ForschungsgelderSteuergelder rein investiert. Unternehmen haben viel getan. Aber, und das habe ich deutlich dargestellt, wir haben an Produktivität nicht gewonnen. Im Gegenteil, wir haben sogar Produktivität in den Industriebetrieben verloren, trotz Industrie 4.0. Und das hat natürlich Gründe. Und die Gründe habe ich dargestellt. Wir haben in einen Bereich rein investiert, mit dem kein Krieg zu gewinnen ist. Denn eine hochautomatisierte Produktion, und das ist ja der Anspruch von Industrie 4.0, eine fast selbststeuernde Produktion, ist vom Fokus her schon falsch, denn man hat nur einen Teil des Unternehmens in den Fokus gestellt und nicht das gesamte Unternehmen. Man hat Themen wie Lean Managementüberhaupt nicht betrachtet. Also man hat quasi einen schlechten Zustand noch digitalisiert und hat danach einen schlechten digitalisierten Zustand.

ANDREA SPIEGEL: Das Zitat hatten wir auch schon öfter hier bekommen.

MICHAEL FINKLER: Es ist dann leider so. Und das hat in der Folge dazu geführt, dass die Unternehmen keinen Produktivitätsgewinn hatten. Also wir haben im Moment einen Produktivitätsstatus von 2011.

ANDREA SPIEGEL: Also ein Rückschritt, oder wie? Wenn wir 2013 losgelegt haben?

MICHAEL FINKLER: Ja, man kann sagen, dadurch auch ein Rückschritt. Also auch der VDMA hat selbst eine Analyse durchgeführt und kam zum Schluss, wir haben Produktivität in den Unternehmen verloren. Gleichzeitig, und das war meine These, also ich hatte eine Folie drin und habe in der Überschrift 10 verlorene Jahre stehen gehabt. Und das hat die Frankfurter Allgemeine aufgegriffen und hat dann in der Headline 10 verlorene Jahre und Finkler hat gesagt. Danach gab es natürlich große Diskussionen. Aber es ist so, wie es ist. Wir haben Produktivität verloren. Industrie 4.0 hat bei weitem nicht die Versprechungen eingehalten. Das waren theoretische Versprechungen, die da entstanden sind.

Und was man vergessen hat bei der ganzen Sache, mal auf andere Branchen zu schauen, wie den Handel, wie Banken, wie Versicherungen. Dort wurden Disruptionen durchgeführt, die Branchen wurden komplett durcheinandergewirbelt. Und das hatte im Wesentlichen fünf Faktoren immer gehabt. Das waren Plattformen, digitale große Plattformen. Das war die höchste Kundenzentrierung, die man haben kann. Das waren Ökosysteme im Wesentlichen, das waren digitale Produkte und digitale Geschäftsmodelle. Das waren die fünf Faktoren, die den Handel durcheinandergewirbelt haben. Die Banken, die Versicherungen, die Mobilitätsbranche, die Reisebranche. Und genau das passiert in der Industrie auch.

ANDREA SPIEGEL: Das wollte ich jetzt gerade sagen, aber sind das alle fünf im gleichen Maß auch?

MICHAEL FINKLER: Die sind unterschiedlich betroffen und die Industrie hat tatsächlich, das war vielleicht eine Ursache für diese Fehlentwicklung. Bei der Industrie hat man zuerst geglaubt, uns trifft das nicht. Aber die Industrie ist genauso betroffen davon. Man sieht jetzt schon, dass die Hyperscaler in unsere Industrie eindringen. Man sieht die großen Entwicklungen schon kommen und es war klar, dass sie kommen werden. Nur in der Industrie ist es deutlich schwerer als beispielsweise im Handel.

ANDREA SPIEGEL: Was heißt Hyperscaler?

MICHAEL FINKLERHyperscaler sind die großen Plattformen, die angeboten werden, wie Amazon oder AWSAmazon Web Services, oder Google oder Microsoft.

ANDREA SPIEGEL: Inwiefern betrifft das jetzt so, ich sag mal, Maschinen- und Anlagenbau? Weil Amazon ist ja auch eine Handelsplattform, dass die natürlich den Handel ein Stück weit beeinflusst, verstehe ich. Was hat das mit Maschinenbau zu tun?

MICHAEL FINKLER: Also, wenn man Amazon nimmt, wird der größte Teil des Gewinns durch die Tochter AWS hergestellt. Und AWS ist eine große digitale Plattform und auch ein Infrastrukturanbieter, das heißt, Rechenzentrumsanbieter, wenn man es so darstellen will. Sie bieten aber auch Plattformen, um gesamte Geschäftsmodelle abzuwickeln, um Algorithmen anzubieten, um einzelne Softwaresysteme anzubieten. Das heißt, es verlagert sich sowieso unser Geschäft wesentlich stärker in die Cloud. Und über Plattform-Business werden gesamte Wertschöpfungsketten abgebildet. Man sieht das jetzt schon sehr deutlich in der Automobilindustrie. Dort haben die großen Fuß gefasst. Also, man nimmt sich eine große Industrie nach der anderen vor. Und im Maschinenbau haben wir es jetzt auch. AWS ist auch im Maschinenbau tätig oder auch Microsoft mit ihrer Azure Cloud. Aber es geht weniger um die Cloud selbst, sondern es geht darum, dass man Produkte mit digitalen Mehrwertdiensten anreichert. Also, die Hardware verliert immer mehr an Bedeutung. Und die Softwaresysteme und digitalen Mehrwertdienste gewinnen an Wert. Und diese digitalen Mehrwertdienste werden monetarisiert werden können. Das heißt, es entstehen zusätzliche Einkommensquellen einerseits. Und man hat Differenzierungsmöglichkeiten im Wettbewerb.

ANDREA SPIEGEL: Darf ich da eine Rückfrage stellen? Und zwar würde mich jetzt interessieren, ich stelle mir vor, jemand baut zum Beispiel Werkzeuge für den Automobil-Bereich oder diese großen Maschinen, mit denen man Werkzeuge herstellt. Die kann man ja jetzt nicht einfach durch einen coolen Algorithmus oder durch eine gute Software irgendwie ersetzen. Also, die Maschine an sich braucht das ja trotzdem. Inwiefern hängt das damit zusammen? Also, ich

kann mir nicht vorstellen, dass jetzt jeder Maschinenbauer, sag ich jetzt einfach mal, dass man den so leicht über digitales Geschäftsmodell ablösen kann.

MICHAEL FINKLER: Also, wir sind ja hier im Schwäbischen. Und nicht allzu weit von hier entfernt gibt es die Firma TrumpfTrumpf ist ein tolles Beispiel für diese digitalen Entwicklungen der ZukunftTrumpf ist jetzt gerade dabei, das auszurollen. Er berechnet nicht mehr die Maschine, sondern sagt, Kunde, du kaufst bei uns, brauchst nicht mehr zu kaufen, sondern wir berechnen dir nur noch das, was an Gutteilen hinten aus der Maschine fällt. Also, ein komplett anderes Geschäftsmodell, digitales Geschäftsmodell. Und sie werden sogar Betreiber der Anlage. Das heißt, da in Ditzingen sitzen 200 Leute, die nichts anderes machen, als die Arbeit des Kunden mit durchzuführen. Das heißt, die planen die Produktion, die betreiben die Maschine, die programmieren die Maschine. Und das geht alles nur dadurch, dass die Maschinen hochdigitalisiert sind. Dass man von außen die Maschinen bedienen kann. Dass man sieht, was da los ist. Und digitale Mehrwertdienste sind im Wesentlichen Softwaresysteme, die es ermöglichen, flexibler zu produzieren, höheren Output produzieren und gesamte Wertschöpfungsketten abzubilden.

ANDREA SPIEGEL: Geht’s dann auch Richtung Maschinen-Sharing? Also, wenn man zum Beispiel sagt, ich hab vielleicht, also, wenn ich mir jetzt vorstelle, warum sollte Trumpf jetzt nur für einen Kunden quasi diese Maschine nutzen? Geht’s dann auch in diese Richtung?

MICHAEL FINKLER: Es wird sicherlich in diese Richtung gehen. Es gibt schon solche ganzen Fabriken, die ja quasi für alle dann eben da sind. Aber das ist im Moment noch nicht so der Hauptfokus. Der Hauptfokus muss sein. Und vielleicht kommen wir noch zu einer Studie, die der Verband der deutschen Maschinenbauer selbst aufgelegt hat. Eine McKinsey-Studie.

ANDREA SPIEGEL: Erzähl uns gern davon.

MICHAEL FINKLERMcKinsey beauftragt, die Digitalisierung zu kontrollieren, wo steht der Maschinenbauer bezüglich der Digitalisierung. Und was muss denn getan werden, um die Digitalisierung erfolgreich zu gestalten? Und McKinsey kam zu dem Schluss, es sieht nicht gut aus mit der Digitalisierung. Hat also auch das, was ich gesagt hab, bestätigt. Insofern gab’s auch wenig Widerspruch, nachdem diese ganzen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen erschienen sind und in anderen Fachmedien.

Und hat gleichzeitig aber gesagt, es muss ein komplettes Umdenken in der Industrie stattfinden. Hin, weg von der eigenen Produktion, sondern hin zu den eigenen Produkten, zu dem Markt, zu Kundenzentriertheit und zu diesen digitalen Mehrwertdiensten. Also dieser Begriff, man könnte auch sagen Smart Services. Aber ich mag eigentlich den Begriff digitale Mehrwertdienste, denn er drückt aus, dass man Zusatznutzen generiert mit digitalen Möglichkeiten an der Maschine. Um die Flexibilität zu erhöhen, um die Auslastung zu erhöhen, um Fernsteuerung zu erhöhen, um natürlich Predictive Maintenance zu erhöhen. All diese ganzen Dinge, über die man vielleicht vorher auch schon gesprochen hat, aber die jetzt natürlich deutlich besser machbar sind. Jetzt kommt eine ganz neue Entwicklung dazu, um der ich auch ein bisschen involviert bin. Wir haben Trumpf als Kunde über unsere KI-Firma. Und da entsteht eine neue Plattform, die nennt sich Manufacturing X für das produzierende Gewerbe. Hängt auch zusammen mit dem European Data Act. Das heißt, eventuell noch sogar dieses Jahr wird es ein EU-Gesetz geben, das Hersteller verpflichtet, die Daten ihrer eigenen Produkte zu teilen. Das heißt, alle können mit den Daten auch von Herstellern arbeiten. Die Hersteller gucken natürlich heute nicht zu teilen. Aber das wird sich in der Zukunft ändern. Und dann läuft das auf Plattformen. Und dann beginnt man, mit den Daten zu arbeiten. Also letztendlich muss ein Unternehmen, wir haben das an der RWTH Aachen oben im FIR, hin zu einer Data-Driven Company werden. Mir gefällt dieser Begriff ganz gut. Daten müssen mehr und mehr in den Vordergrund gestellt werden, um einmal intern zu optimieren, aber noch viel, viel stärker in Richtung des Marktes zu arbeiten, des Kunden zu arbeiten.

ANDREA SPIEGEL: Ich wollte jetzt gerade sagen, steht das nicht auch ein Stück weit im Widerspruch? Also ich kann ja auf der einen Seite sehr Data-Driven sein. Wenn ich dann aber die Menschen aus dem Auge verliere, für die ich das eigentlich mache, ist das nicht auch gefährlich?

MICHAEL FINKLER: Ja, also Menschen in zweifacher Hinsicht. Ich habe einmal natürlich die eigenen Menschen. Insofern ist bei solchen großen Digitalisierungsprojekten das Change-Management immer ein Riesenthema. Da muss man die Menschen mitnehmen. Und Digitalisierung, ist jetzt nicht nur ein bisschen IT, sondern es betrifft die Grundfeste eines Unternehmens, die gesamte Philosophie, die gesamten Geschäftsmodelle. Verändert eine Firma komplett, wenn man es richtig betreibt. Und da muss ich die Menschen mitnehmen. Und das geht nur mit Change-Management. Heißt viel InformationAkzeptanz, aber auch eine gewisse Motivationsbombe muss man zünden. Denn in den meisten Unternehmen geht es ja gut. Also Trumpf könnte weiterarbeiten, so wie bisher. Nur Trumpf weiß, ihre hochpreisigen Produkte werden sie in der Zukunft in dieser Art und Weise nicht mehr anbieten können oder nicht mehr so stark verkaufen können. Und sagen ihren Mitarbeitern heute schon, wenn wir diese Schritte nicht gehen, dann wird es an die Existenz langfristig unseres Unternehmens gehen. Das muss man schon tun, um die Mitarbeiter mitzunehmen.

ANDREA SPIEGEL: Aber… Ist ja auch unangenehm, oder? Sich so selbst den Spiegel so massiv vorzuhalten.

MICHAEL FINKLER: Ist aber notwendig. Also Change-Management ist ein ganz, ganz wesentliches Thema. Man muss die Menschen mitnehmen. Ist ein komplexes Thema auch. Das Thema Industrie 4.0 war ein Thema, das relativ einfach war. Man hat gesagt, man optimiert und automatisiert die Produktion. Der Rest geht uns nichts an. Also LogistikThemen, mit denen sich ERP natürlich auch beschäftigt, Produktentwicklung, alles Dinge, die außenvorgelassen worden sind. Aber Digitalisierung, über die ich spreche und über die wir in der Zwischenzeit auch in den Verbänden reden, wesentlich mehr betrifft die gesamte Company, betrifft die gesamte Marktbearbeitung vor allen Dingen. Das heißt, allein wenn ich das Thema Ökosysteme nehme, heißt das, man schließt sich unter Umständen mit Wettbewerbern zusammen. Ihr habt hier im Schwäbischen noch eine schöne Firma, die das par excellence betreibt. Das ist die Firma HOMARKT, die Holzverarbeitungsmaschinen herstellen. Das ist der Marktführer. Der zwingt in der Zwischenzeit seine Zulieferer mit in eine Plattform rein und bietet seinen Kunden und Wettbewerber auch und bietet seinen Kunden das gesamte Spektrum. Er lässt seinen Kunden zu, die Leistung der Maschine übers Wochenende vielleicht runterzufahren oder hochzufahren, aber natürlich gegen monetarisierbare Leistungen.

Das ist die Digitalisierung, wie wir es in der Zukunft in der Industrie erleben werden. Und wenn man sich das wirklich vor Augen führt, kann man daran erkennen, welche Veränderungen das natürlich mit sich bringen wird in der Summe in den Unternehmen. Und ich rede da eigentlich immer von der Pflicht und der Kür.

Die Pflicht ist, die eigenen Prozesse, die eigene IT, die eigene Organisation auf Vordermann zu bringen. Schlanke Prozesse, flache Prozesse, am Kunden ausgerichtet, Lean Management passt da wirklich sehr gut. Die SoftwaresystemeERPMESL-mobile auf Vordermann zu bringen, aktuelle Releases einzuführen, so wenig wie möglich Individualitäten, schlanke, gute und intensive Nutzung. Das ist die Pflicht.

Und die Kür kommt dann damit, dass ich die eigenen Produkte so digital ausstatte wie irgend möglich, Sensorik überall rein. Noch ein tolles Unternehmen im Schwäbischen, die Firma Festo, im Stuttgarter Raum ja auch, die angefangen haben, einfach ihre ganzen Automatisierungsanlagen mit Sensorik auszustatten, ohne zu wissen, welcher Nutzen resultiert denn daraus. Einfach Daten gesammelt. Und irgendwann hat man festgestellt, oh, wir können ja Energiemanagement sogar damit machen. Wir können die OEE nach oben fahren. Also Daten sammeln und daraus diese digitalen MehrwertdiensteNutzen für den Kunden schaffen. Und diesen, selbst wenn er nicht monetarisierbar ist, aber diesen Nutzen als Wettbewerbsfaktor nutzen, sich zu differenzieren von den Wettbewerbern. Und wenn man früh dran ist, kann man natürlich auch sehr gut Geld dafür verlangen. Und insofern darf man die Digitalisierung, sollte man im Wesentlichen als Chance verstehen. Als Chance, sich zu differenzieren vom WettbewerbDifferenzierungsfaktoren zu schaffen, aber auch mehr Umsatz zu machen und mehr Gewinn zu machen. Weil das sind Umsätze, die Hochertrag generieren, hoch profitabel sind.

ANDREA SPIEGEL: Ich finde, das klingt alles wahnsinnig gut. Und wenn du das so erzählst, denke ich mir direkt so, machen wir es nicht direkt alle so. Also was würdest du sagen, ist so der Faktor, warum viele das nicht … Wo hängt’s, warum kriegen das so viele offensichtlich nicht hin? Sonst hättest du ja mit der Studie auch oder mit dem, was du auch jetzt vertrittst, mit diesem Thema 10 Jahre Produktivitätsverlust, sozusagen, wie … Woher kommt es und was können die jetzt tun?

MICHAEL FINKLER: Ja, ein Thema ist sicherlich das Thema Industrie 4.0, was ja von uns so hochgehalten worden ist. Ich glaube, das Thema Industrie 4.0 hat eher abgelenkt von den wirklichen Themen. Man hat sich da sicher gewogen. Es ging um viel, viel Steuergelder, um Förderung und natürlich auch um geschäftliche Interessen. Aber es hat abgelenkt. Und der typische Mittelstand hat oftmals auch die Kapazitäten, sich mit den Themen nicht richtig zu beschäftigen.

Ich bin ja in den Verbänden tätig. Wir haben Expertenkreise für PlattformökonomieExpertenkreise für künstliche Intelligenz. Und wenn ich in diese Expertenkreise reingucke, wen treffe ich dort an? Es sind nicht die Mittelständler. Es sind die großen Unternehmen. Es sind die Trumpfs, die Festos, die Homaks, die Kamps dieser Welt. Und das ist das, was wir dem Mittelstand so ein bisschen als Vorwurf machen, muss bei allem Erfolg, den er hat, er muss sich mit dem Thema richtig beschäftigen. Er muss Beratungsunternehmen ins Haus nehmen, um mal zu gucken, wo geht es hin? Aber vor allen Dingen natürlich auch die Forschung, die EntwicklungKooperationen nutzen. Und man sollte ganz, ganz stark die Leuchttürme im Auge haben.

ANDREA SPIEGEL: Was meinst du mit Leuchttürme?

MICHAEL FINKLERLeuchttürme sind diese Konzerne, sind unsere führenden Konzerne, die das ja schon betreiben. Die verdienen schon Geld damit, die differenzieren sich schon. Und wenn es ganz schlecht läuft, wird ein Konzern wie Bosch, der sich auch intensiv damit beschäftigt, auch Plattformanbieter und besetzt die Kunden-Schnittstelle. Das heißt, dann kann Bosch zu einem Wettbewerber werden, wie Amazon zu einem Wettbewerberwerden kann oder Google oder Microsoft zu einem Wettbewerber werden kann, weil sie die Plattformen bieten.

ANDREA SPIEGEL: Denen man sich bis heute eigentlich nicht messen möchte oder muss vielleicht auch gar nicht.

MICHAEL FINKLER: Und die werden gucken, wo sind die attraktivsten Branchen. Und die Industrie ist jetzt im Fokus. Und sie bieten Plattformen, wo die Dienste drüber laufen. Und dann geht der Kunde, ähnlich wie wir heute, wenn wir kaufen gehen, wir fahren halt nicht mehr in die Stadt. Und wir gehen nicht auf unterschiedliche Plattformen, sondern im Wesentlichen, wenn wir es bequem haben wollen, gehen wir auf die Amazon-Plattform und kaufen innerhalb von ein paar Minuten, ein paar Sekunden kaufen wir was zusammen. Und Plattformen, das kann Amazon sein, das kann Bosch sein, das kann Microsoft sein, werden diese Plattformen bieten mit den Lieferanten, die da unten drunter hängen, die dann aber die Plattform als Gegenpart haben und nicht mehr den Endkunden. Und das ist die große Gefahr, dass Plattformanbieter versuchen, immer den exklusiven Kundenzugang zu haben. Dass der Hersteller nur noch Hersteller ist, aber keinen direkten Kundenzugang mehr hat.

ANDREA SPIEGEL: Also ich versuch mich gerade in die Rolle des Mittelständlers zu versetzen. Und was ich jetzt raushöre, ist, dass du mir eigentlich sagst, du musst schneller sein als AmazonBosch oder Microsoft oder wer auch immer, um quasi zum Beispiel so eine Plattform zu bieten oder zumindest ein anderes Äquivalent oder für dich eine andere Lösung finden. Ich hab irgendwie gerade, ich krieg gerade Beklemmungen in der Brust, wenn ich mir vorstelle, wie soll ich mit denen mithalten? Allein schon mit den Mitteln, die die haben.

MICHAEL FINKLER: Also genau aus dem Grund haben wir, das war meine Initiative gewesen, ein White Paper erzeugt mit dem Namen Business Transformation als Praxisleitfaden. Und da habe ich selbst natürlich mitgewirkt, aber es hat auch die SAP mitgewirkt, die IBM hat mitgewirkt, Trumpf hat mitgewirkt. Also ein großer Kreis von Unternehmen, die gesagt haben, wie macht man denn Business Transformation richtig und wie sieht die richtige Digitalisierung dann aus? Und das Wesentlichste ist, glaube ich, dass man für sich und seine Branche ganz ehrlich, und da muss man fünf Schritte zurückgehen, um nicht vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen, muss sagen, wie ist denn meine Branche, wie kann meine Branche, wenn die Digitalisierung so weiter voranschreitet? Und man hat gesehen, so ein kleines ProgrammChatGPT, im Bereich Künstliche Intelligenz, wie schnell das plötzlich Gefahr wird für die Forschung, für Schulen, für Wissenschaft, für Bildung, für den Journalismus. Und so wird das in der Industrie auch sein.

Also das wird relativ schnell dann plötzlich kommen. Und da muss ich vorbereitet sein. Also man muss eine digitale Vision erzeugen. Und das sollte man nicht alleine machen, da kann man sich ruhig auch gute Beratungsunternehmen, mittelständisch geprägte Beratungsunternehmen nehmen, aber auch in den eigenen Verbänden arbeiten. Diese digitale Vision, die muss offen und ehrlich sein. Wie kann mein Markt denn aussehen in der Zukunft? Und vor allen Dingen, was wollen die Kunden? Unsere McKinsey-Studie hat eigentlich eines gezeigt, Kundenzentrierung ist der Erfolgsfaktor in der Digitalisierung. Das heißt, was wollen meine Kunden in der Zukunft haben mit den Möglichkeiten der Digitalisierung? Und was können denn Wettbewerber auch? Plötzlich auch aus anderen Branchen, das können sogar Start-ups sein, die plötzlich einen ganzen Markt, eine ganze Branche aufmischen. Was kann da passieren? Und diese digitale Version, die muss man niederschreiben. So, und dann muss man gucken, wo steht man? Welche Voraussetzungen habe ich im Moment? Und darauf aufbauend eine Digitalisierungs-Roadmap erzeugen. Da muss drinstehen, was habe ich bis wann zu tun? In allen Unternehmensbereichen, da gehört auch dann Change-Management dazu, da gehört Produktentwicklung dazu. Die Produkte müssen vielleicht anders sein.

Und das braucht Zeit. Deshalb ist ein Thema auch von McKinsey und auch aus unserem Praxisleitfaden die Strategie Fast Follower. Das heißt, man lehnt sich mal zurück, lässt die anderen laufen und sagt dann, na ja, das nehme ich mal schnell wieder auf. Ist eine ganz gefährliche, weil die Aktivitäten, die Aufgaben, die sind so gewaltig, so groß, die wird man nicht schaffen in zwei, drei Jahren. Da braucht man länger dazu. Deshalb muss der Mittelstand so schnell wie möglich beginnen, das ganze Thema vorzubereiten. Kann in kleinen Schritten funktionieren, aber das darf auch nicht so ein klein, klein sein. Hier ein bisschen was da, das muss eingebettet sein in einer gesamten Digitalisierungsstrategie. Die Vision muss vorne stehen, wie sieht mein Markt in fünf Jahren, in zehn Jahren aus? Wo stehe ich heute? Und darauf aufbauend muss dargestellt werden, was

ist zu tun dorthin. Mit dem Fokus immer auf MarktKunde und Kundenzentrierung und ÖkosystemÖkonetzwerk. Also die Zeit der Einzelkämpfer geht vorbei. Man wird das in der Zukunft nicht mehr alles hinbekommen alleine. Und du hast eben gefragt nach Plattformen, da muss ich jetzt schneller als AWS sein. Die wenigsten werden eine Plattform erzeugen können. Die Plattformen werden von den Großen kommen. Aber ich muss plattformkompatibel werden.

ANDREA SPIEGEL: Und welche Rolle spiele ich auf dieser Plattform?

MICHAEL FINKLER: Genau, also genau diese Rolle muss ich definieren. Und wie müssen meine Produkte sein, um auf einer Plattform attraktiv zu sein? Welche Daten muss ich vielleicht zur Verfügung stellen? Ja, und jetzt kommt der European Data Act noch dazu, der das Ganze noch beschleunigt. Und wenn man das alles sieht, was den Erfolg der Zukunft ausmacht, ist es nicht die ProduktionIndustrie 4.0. Ich kann mit der schlechtesten Produktion, oder umgekehrt, ich kann mit der besten Produktion in die Pleite gehen. Nokia hat das gezeigt, tolle Produktion gehabt. Und den Markt verloren.

Ich muss darauf achten, den Markt zu behaupten, den Kundenzugang zu behalten, attraktiv zu bleiben, wettbewerbsfähig zu sein mit Digitalisierung. Und die Produktion ist zweitrangig. So, und das ist mein Credo. Und im VDMA wird jetzt heftig diskutiert. Und ich hoffe, ich habe einiges dazu beigetragen. Überwiegend Zuspruch bekommen. Aber es ist natürlich auch ein bequemes Thema, auch für die Politik. Das darf man nicht unterschätzen. Die Politik spielt hier eine ganz, ganz große RolleIndustrie 4.0 ist ja entstanden aus der Vorgabe der damaligen Regierung, zu sagen, mach mal eine Hightech-Strategie für die Industrie. Und dann haben sich ein paar zusammengesetzt, wie Siemens beispielsweise, ein ganz starker Treiber. Und dann kam Industrie 4.0 raus. Und das war den Politikern auch gut erklärbar. Tolle Produktion, ne? Wenn ich das andere erläutern muss, marktorientiert, zentriert zu arbeiten, ist es deutlich schwerer, auch dafür Fördergelder zu bekommen, die Forschung voranzutreiben, all diese Dinge. Und deshalb war mein Credo, zehn verlorene Jahre. Das heißt aber jetzt nicht, dass wir zu wenig gemacht haben. Also, ich war mit dem Geschäftsführer von Trumpf auf der Bühne, habe eine Podiumsdiskussion gehabt. Er wurde dann gefragt, ob ich recht hätte mit diesen zehn verlorenen Jahren. Und seine Antwort war, na ja, wir haben Erfahrung gesammelt. Da hat er natürlich recht. Wir haben Erfahrung gesammelt. Wir haben vieles für uns selbst gemacht in den internen Produkten. Und genau das müssen wir jetzt in Richtung des Marktes übersetzen.

ANDREA SPIEGEL: Okay.

ANDREA SPIEGEL: Ich glaube, ich würde an das Thema tatsächlich erst einmal einen Haken machen. Ich denke, wir haben Impulse gehört, die wir dann noch umsetzen können. Du hast vorhin das Thema Klima angesprochen. Weil du jetzt gerade auch Politik erwähnt hast und so weiter, würde ich da gerne noch darauf eingehen. Ich sage mal einfach, wenn man sich auch die politische Agenda momentan ansieht, die Themen, die gerade immer wieder hochpoppen, ist ja Klimaneutralität auch für Unternehmen, besonders in der Industrie, ein wichtiges Thema. Große Produktionen stoßen natürlich entsprechend viele Abgase aus, die man nicht mehr haben möchte oder die man gerne irgendwie ausgleichen würde und so weiter. Spielt Klimaneutralität für Unternehmen eine Rolle? Digitalisierung kommt da auch gerne ins Spiel. So im Sinne von, wenn wir es digital machen und uns irgendwie optimieren, dann haben wir auch weniger Ausstoß und dann ist alles besser. Jetzt höre ich schon heraus, es ist vielleicht ein bisschen kurz gedacht.

Die Frage wäre quasi zum einen, ist es überhaupt interessant für Unternehmen? Also denken Unternehmen überhaupt darüber nach? Über Klimaneutralität haben die vielleicht gerade noch genug mit der Digitalisierung zu tun? Und dann auch die Frage, wie wird denn Klimaneutralität überhaupt bewertet? Wann bin ich denn klimaneutral? Da hängt ja wahnsinnig viel dran.

MICHAEL FINKLER: Das ist eine gute Frage. Also ich komme gerade aus einer Geschäftsführungssitzung, und eines der wesentlichsten Themen war Nachhaltigkeit. Also ESG-Vorgaben, natürlich einmal Klima, dann Soziales, aber auch die Governance. Und wenn ich beim Bitkom schaue, was die wesentlichen Themen sind, dann sind es im Moment auch Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz. Wenn ich wieder bei den Maschinenbauern nachschaue, sind es zwei Themen: Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Das hängt damit zusammen, dass es politische Vorgaben gibt. Es gibt den Green Deal, den EU-Green DealDeutschland hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein. Deutschland hat gesagt, wir schaffen es aber fünf Jahre schneller, bis 2045. Und die Unternehmen sollen bis 2030 oder zumindest die Hälfte nur noch CO2 ausstoßen. Nachhaltigkeit geht aber jetzt darüber hinaus. Da geht es um Lieferkettengesetze, da geht es um viel mehr. Aber die Klimaneutralität ist eines der größten Themen, die wir jetzt zu bewältigen haben. Die gesetzliche Vorgabe ist im Moment, dass Unternehmen mit über 3000 Mitarbeitern heute schon eine Treibhausbilanz erstellen müssen. So eine sogenannte Corporate Carbon Footprint. Und für Unternehmen ab 2024 mit über 400 Mitarbeitern, was relativ gering ist, trifft das also viele mittelständische Unternehmen, müssen sie das ab 2024 schon tun. Das Gesetz befindet sich gerade in der Verabschiedung.

Das heißt, diese Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, eine Treibhausbilanz zu erstellen und zu zeigen, dass sie auf dem Weg sind, Treibhausgase zu reduzieren. Das ist das eine, die gesetzliche Verpflichtung. Aber auch für uns ist das durchaus jetzt ein wichtiges Thema. Die Kunden verpflichten sie. Also jemand, der Drehteile herstellt und für den Porsche liefert oder für BMW oder für VW, wird von den Herstellern verpflichtet, seinen Carbon Footprint auf Unternehmensebene darzustellen und noch viel schlimmer auf Produktebene. Eine ganz komplizierte Sache. Das heißt, man ist verpflichtet, das zu tun. Und dadurch, dass es schwierig ist, und wir uns bisher auch nicht damit beschäftigt haben. Also ich bin selbst im Austausch mit dem UmweltbundesamtBundesumweltministerium und habe einen Auftrag zu einer Forschungsarbeit erlassen. Welche Beiträge können betriebswirtschaftliche Anwendungssysteme leisten? Welche Daten können wir schon liefern, um die Treibhausbilanz zu erstellen? Und es kam heraus, dass ERP-Systeme und MES-Systeme und Euro-Systeme, etwa 70 Prozent aller Daten stecken in unseren Systemen drin, die wir möglichst schnell auch zur Verfügung stellen müssen, um die Treibhausbilanz zu erstellen.

Du hast die Frage gestellt, wann ist man klimaneutral? Also Klimaneutralität ist nicht eindeutig definiert, aber es gibt so vier unterschiedliche Bereiche. Wenn man dann sagt, naja, das wäre dann klimaneutral, die 100 Prozent reinste Form ist, wenn man wirklich kein Treibhaus ausstößt, aber das schafft eigentlich keine Firma.

ANDREA SPIEGEL: Ja, schon, wenn man Mitarbeiter hat, rein theoretisch jeder Mitarbeiter.

MICHAEL FINKLER: Ja, wenn sie schon damit beginnen, ein Auto zu produzieren, fließt das bereits in ihre eigene Treibhausbilanz ein. Das umfasst übrigens nicht nur CO2, sondern auch viele andere Gase wie Methan. Aber alles wird auf CO2-Äquivalenz umgerechnet. Das Zweite ist, meine Treibhausgase werden zusammengerechnet, und ich kompensiere, indem ich mir Zertifikate kaufe oder indem ich …

ANDREA SPIEGEL: Ein bisschen Greenwashing?

MICHAEL FINKLER: Nein, nicht Greenwashing, sondern … Also, das wird oft vielleicht zu negativ dargestellt, aber man kann wirklich Projekte unterstützen im In- und Ausland, mit denen …

ANDREA SPIEGEL: Die eine positive Bilanz haben, sozusagen.

MICHAEL FINKLER: Genau, die dabei kompensieren können. Und das Nächste ist, indem ich nicht den gesamten Treibhausausstoß betrachte, der sich aus den Eingangsprodukten ergibt. Was bringen denn schon meine gekauften Produkte mit? Was generiere ich selbst? Und was passiert mit meinen Produkten danach? Da kann man sich schon mal ausrechnen, wie komplex das Ganze ist. Was wir alle erkannt haben, ohne Digitalisierung ist das gar nicht zu leisten.

ANDREA SPIEGEL: Nicht erfassbar, sozusagen.

MICHAEL FINKLER: Unmöglich, also auch nicht steuerbar. Denn die Treibhausbilanz zu erstellen, ist das eine. Aber ich muss ja jetzt dafür sorgen, dass meine Emissionen reduziert werden. Und wir haben jetzt selbst eine Firma gekauft, hätte ich mir nie vorstellen können, die Energiemanagement macht und CO2-Bilanzen erstellt. Eine 50-Mann-Firma in Freiburg, die aus dem Fraunhofer-Institut herauskommt, ähnelt, und das finden wir toll. Unser Ziel muss jetzt sein, das Energiemanagement draußen bei den Kunden einzusetzen, die im Durchschnitt 20% weniger Energie produzieren nach Einsatz solcher Softwaresysteme.

Also ohne Digitalisierung unmöglich zu realisieren. Man braucht es, um die Bilanzen zu erstellen, aber auch im Bereich der Lieferkettengesetze, die wir haben, und auch andere Nachhaltigkeitsvorlagen. Wenn ich das alles betrachte, habe ich natürlich einmal die Digitalisierung, wenn es um die Produkte geht, um den Markt geht. Aber die ganze Regulatorik kommt noch dazu, die Taxonomien aus der EU und aus Deutschland selbst, aus dem Dachraum heraus. Und dann kommt der Kundendruck. Der Kundendruck kommt einmal aus dem Bereich, den wir eben besprochen haben, aber auch jetzt ganz stark aus dem Bereich der Nachhaltigkeit. Die großen Unternehmen wollen wissen, auch wenn ich ein kleines Unternehmen mit 50 Mitarbeitern nur bin, eigentlich nach der Regulatorik kein Lieferkettengesetz und keine Transparenz darstellen muss, werde ich aber durch die Großen gezwungen, zu bestätigen, dass ich dafür gesorgt habe, dass ordentliche Arbeitsbedingungen da sind, keine Kinderarbeit und all das. Und zwar nicht nur bei dem eigenen Kunden, sondern bei dem Kunden der Kunden der Kunden unter Umständen, was kaum leistbar ist. Und das sind die Verbände im Moment auch wirklich am Protestieren, weil das solch große Auflagenadministrationen sind, die

wirklich kaum leistbar sind, auch real kaum leistbar sind. Dazu kommen noch persönliche Haftungen der Geschäftsführung, die auch mit diesen Gesetzen kommen, also beispielsweise dem Lieferkettengesetz, ganz schlimm, und auch dem European Data Act.

Also von daher würde ich sagen, ohne Digitalisierung gelingen uns weder die großen noch die kleinen Ziele. Es geht nicht anders. Und dazu gehören immer Hausaufgaben machen, intern dafür sorgen, dass ich meinen Laden im Griff habe. Aber das ist die Pflicht. Und die Kür ist, die großen Dinge zu machen, zu einer Data-Driven Company zu werden, gute Produkte zu entwickeln, digitale Produkte und digitale Mehrwertdienste und vor allen Dingen den Kunden noch stärker fokussieren, als es heute da ist. Also Kundenzentrierung ist, wir sagen ja alle heute schon, der Kunde steht im Mittelpunkt. Aber wenn ich einen Kunde wirklich in den Mittelpunkt stelle, dann heißt das, ich beschäftige mich strategisch damit. Heißt, welche Aufgaben hat er? Welche Aufgaben kann ich ihm eventuell nehmen? Welche Probleme hat er? Da fangen die Plattformunternehmen ja meistens an. Ich will mich nicht ins Auto setzen und bei Regen vielleicht irgendwo Schuhe kaufen, sondern der soll zu Hause sitzen bleiben und die Schuhe kaufen. Und wie mache ich ihn erfolgreicher?

Also wenn ich diese drei Faktoren, AufgabenProblemeErfolgsfaktoren betrachte und dann der gegenstellt welches Angebot ich habe und dann nicht nur mich selbst betrachte, sondern auch das Ökosystem ringsherum, dann erreiche ich unterm Strich den höchsten Nutzen und werde am wettbewerbsfähigsten. Kleines Beispiel aus der LandwirtschaftGlas kennt vielleicht jeder, die CLAAS Traktoren und MähdrescherCLAAS verkauft in der Zukunft Ernteertrag. Also wenn man sich das vorstellt, die sagen, geh mit ins Risiko rein. Landwirt, du brauchst mir nur mehr zu bezahlen, wenn die Ernte gut ausfällt. Dann will ich daran partizipieren und wenn nicht, gehe ich mit ins Risiko. Aber dafür nutzen sie ihr gesamtes Netzwerk. Da gehören GPS-AnbieterDüngemittelhersteller, da gehören die Wetterprognosen dazu. Also wenn man das alles betrachtet, kriege ich den höchsten Ertrag auf dem Feld, auf dem Schlag, auf dem Quadratmeter raus. Und genauso muss man sich das in der Industrie vorstellen. Nicht mehr Einzelkämpfer, sondern in Ökosystemen mit Plattformen, mit digitalen Produkten arbeiten. Die Hardware gerät immer mehr in den Hintergrund, zählen tut in der Zukunft Software und Services.

ANDREA SPIEGEL: Ich wollte dich jetzt noch nach dem Fazit fragen, aber das hast du jetzt gerade, finde ich, wunderbar noch einmal abgerundet, auch mit diesem finalen Beispiel. Ich danke dir für deine Zeit. Wir haben uns ein bisschen den Status quo der industriellen Digitalisierung in Deutschland angeschaut, haben uns die großen und die kleinen Unternehmen im Vergleich angeschaut und die Handlungsfelder aufgezeigt, die jetzt da sind. Vielleicht noch einmal, um das Stichwort zu nennen, also Kundenzentrierung ist auf jeden Fall ein großes Thema, das sich wirklich jeder hier vornehmen darf, auch in der Zuhörerschaft sozusagen.

Also vielen Dank für deine Zeit, für den Input. Es war sehr spannend.

MICHAEL FINKLER: Sehr gerne.

ANDREA SPIEGEL: Und ich hoffe, euch da draußen hat es gefallen. Ihr konntet wieder einiges aus der Folge mitnehmen. Vielleicht sind auch die ein oder anderen Fragen jetzt in euren Köpfen aufgekommen. Falls da etwas ist, schreibt uns gerne über die Kommentarspalte, schickt uns E-Mails oder was auch immer. Meldet euch bei uns, lasst uns wissen, wenn es Fragen gibt. Wir leiten die auch gerne noch einmal an den Michael weiter, falls es direkte Fragen an ihn gibt, die wir vielleicht auch nicht beantworten können. Und ansonsten lasst es uns wissen, wenn ihr noch Ideen für neue Folgen habt, vielleicht auch jetzt heute eine generiert habt, irgendeine Frage, die ihr von uns beantwortet haben wollt. Sagt uns Bescheid, dann kümmern wir uns darum. Und dann würde ich sagen, vielen Dank noch einmal, dass du heute da warst.

MICHAEL FINKLER: Sehr gerne.

ANDREA SPIEGEL: Und wir hören uns. Macht’s gut, bis zum nächsten Mal.

Welche Idee steckt hinter der Multikommissionierung in der Lagerlogistik?

„Die Idee bei der Multikommissionierung ist auch da, eben solche Leerfahrten, Leerwege, egal ob jemand läuft oder eben fährt, zu vermeiden.“

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