ANDREA SPIEGEL: Wie würdest du es beschreiben, wenn ein Unternehmen bereits digitale Prozesse implementiert hat? Also es läuft schon alles irgendwie digital, ich habe vielleicht ein Produktionsplanungstool und so weiter, aber ich habe mich während dieser Digitalisierungsprozesse nicht damit befasst, dass das auch alles nachhaltig ist. Kann ich das jetzt im Nachgang noch irgendwie nachhaltig gestalten oder ist der Zug schon abgefahren? Muss ich das immer direkt von Anfang an mitdenken?
PHILIPP DAMM: Also es schadet natürlich nicht, wenn man sich von vornherein Gedanken macht. Viele denken zunächst immer an den ökologischen Aspekt, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Spannend ist aber auch, was passiert mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort im Lager, wenn man einen Prozess digitalisiert? Ist es eine Arbeitserleichterung oder im schlimmsten Fall wird die Arbeit so leicht, dass sie die Mitarbeiter langweilt und man in ein Bore-out-Syndrom rutscht. Das Gegenteil von Burn-out gibt es tatsächlich auch. Mitarbeiter müssen natürlich auch gefordert werden. Man muss im digitalen Bereich aufpassen, dass man nicht einfach nur Arbeitsplätze abbaut, weil es günstiger erscheint.
Man muss auch immer die sozialen Aspekte berücksichtigen. Es wäre schön, wenn Logistikprozesse voll digitalisiert wären. In vielen Unternehmen läuft jedoch immer noch viel mit Papier. Diese Prozesse müssen archiviert und transparent sein, auch in den Systemen. Man möchte wissen, ob ein Teil schon angekommen ist. In meinen ersten Unternehmensstationen mussten wir von Lager 1 zu Lager 2 mit einem externen Dienstleister transportieren, nur damit wir einen QR-Code bekommen und online nachschauen können, ob das Teil gewechselt hat, weil wir es prozessseitig nicht abbilden konnten.
Ist es möglich, Prozesse im Nachgang nachhaltiger zu gestalten? Ja, natürlich. Man kann einen Prozess jederzeit verändern. Interessant ist, wo die Nachhaltigkeit im ökologischen Bereich liegt, und das ist nicht im Prozess selbst, sondern dort, wo die ganze Rechenleistung stattfindet. Das kann man unabhängig vom Prozess betrachten und Maßnahmen ergreifen.
Das Problem ist, dass oft nur versucht wird, sich nach außen nachhaltig zu verkaufen. Ein Beispiel ist der Stromverbrauch von Unternehmen, wenn viele ins Homeoffice gehen. Natürlich sinkt der Stromverbrauch am Standort, aber der Energieverbrauch wird auf die Mitarbeiter verlagert. Jeder im Homeoffice muss sich Gedanken über seine eigene Nachhaltigkeitsbilanz machen. So verschiebt man Probleme.
Das trifft man oft in der Realität an. Ein Unternehmen kann eine positivere Nachhaltigkeitsbilanz aufweisen, obwohl es die Luftfracht verdoppelt hat, weil es sich nicht für die Luftfracht verantwortlich fühlt. Das Problem liegt bei der Firma, die das Flugzeug betreibt. Sie muss sich überlegen, wie sie das nachhaltiger gestalten kann. Das taucht oft nicht in CO2-Bilanzen und Nachhaltigkeitsberichten auf. Der Scope 3 wird oft ausgeblendet oder Teile des Scope 2, weil man sich dort nicht verantwortlich fühlt. Es wäre ungeschickt, wenn der gleiche CO2-Wert in zwei Bilanzen auftaucht, weil der Logistikdienstleister ihn auch in seine Bilanz aufnimmt.
ANDREA SPIEGEL: Wenn sich einer schon darum gekümmert hat, muss es der andere nicht auch noch machen.
PHILIPP DAMM: Genau. Ein spannender Exkurs dazu ist die Elektromobilität. In Studien wird oft verglichen, wie sich ein Verbrennungsmotor im Vergleich zu einem Elektromotor auswirkt. Man stellt die Materialien und Hardwarekosten gegenüber. Dasselbe hat man im digitalen Bereich mit benutzter Hardware. Oft wird die Emission von Diesel mit der Emission eines Elektrofahrzeugs verglichen, aber der Strommix für das Elektrofahrzeug verwendet und die Emissionen, die bei der Herstellung von Diesel entstehen, werden nicht berücksichtigt.
Zur Herstellung von Diesel wird auch Strom verwendet, aber diese Strombilanz wird nicht mit eingerechnet, weil man sich nicht zuständig fühlt.
ANDREA SPIEGEL: Es geht darum, für sich selbst zu definieren, was dazugehört und das nach außen offen zu kommunizieren.
PHILIPP DAMM: Transparenz über die gesamte Lieferkette und den gesamten Bezug ist wichtig. Das beginnt bei der Rohstoffgewinnung. Das ist die Komplexität, die man auch in der Digitalisierung hat. Wo kommt die Hardware her? Wo kommen die Rohstoffe her? Welche Umweltschäden entstehen? Welche sozialen Konflikte werden möglicherweise geschürt? In vielen ärmeren Ländern schürt man durch das Ausbeuten von Rohstoffen für die Produktion von Elektronikartikeln soziale Konflikte.
ANDREA SPIEGEL: Vielleicht nicht immer unbedingt, aber es gibt diese Fälle.
PHILIPP DAMM: Genau, aber da fühlt man sich nicht zuständig. Man kauft das Endgerät und was davor passiert, ist dann eigentlich egal.