#32 Digitaler Kundenservice international mit Michael Loose

Podcast Industrie 4.0 | Der Expertentalk für den Mittelstand

Top Kundenservice an Ort und Stelle und das weltweit wünschen sich nicht nur Sie, sondern auch Ihre Kunden? Michael Loose, Team Leader und Berater im Bereich ERP Customer Service bei der Liebherr-IT Services GmbH (LIS), erklärt in Folge 32 unserer Videoshow, wie der internationale Rollout einer Service-Software funktioniert.

In dieser Folge stellen wir uns folgende Fragen:

Wie kann man seinen Kundenservice international erfolgreich aufstellen? Wie können Daten international sicher übermittelt werden? Wie begeistert man die Mitarbeiter:innn weltweit für eine digitale Servicelösung? Welche Rolle spielt Remote Support mit Augmented Reality im Service? Ist digitaler Kundenservice ein unterschätztes Geschäftsmodell? Welche Rolle spielt die Digitalisierung im internationalen Kundenservice?

Das Transkript zur Podcast-Folge: Digitaler Kundenservice international

ANDREA SPIEGEL: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von “Industrie 4.0 – Der Experten-Talk für den Mittelstand“. Digitalisierung betrifft nicht nur große Konzerne, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen, zum Beispiel im Maschinen- und Anlagenbau, die immer mehr Kunden weltweit haben. Diese Kunden erwarten einen erstklassigen Service vor Ort, genau dort, wo die Maschinen stehen, und nicht nur dort, wo der Servicetechniker gerade unterwegs ist. Heute werden wir uns daher mit der Frage beschäftigen, wie man seinen internationalen Kundenservice erfolgreich aufstellen kann und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt. Mein Gast heute ist Michael LooseTeamleiter und Berater im Bereich ERP und Customer Service bei der Liebherr IT Services GmbH. Hallo Michael, schön, dass du hier bist. Ich freue mich auf unser Gespräch.

MICHAEL LOOSE: Danke für die Einladung. Es freut mich ebenfalls.

ANDREA SPIEGEL: Sehr gerne. Und an dieser Stelle möchte ich euch darauf hinweisen, dass diese Folge auch als Podcast auf Plattformen wie SpotifyiTunes und anderen verfügbar ist. Ihr könnt also gerne auch dort reinhören. Michael, Liebherr ist vielen Menschen durch seine gelben Bagger und großen Lastwagen bekannt. Könntest du uns bitte erläutern, wie die IT Services GmbH in den Konzern integriert ist und welche Aufgabenbereiche du konkret abdeckst?

MICHAEL LOOSE: Selbstverständlich. Die Liebherr IT Services GmbH ist der zentrale IT-Dienstleister der Liebherr Gruppe. Wir bieten eine Vielzahl von IT-Diensten für den gesamten Liebherr Konzern an. Das umfasst unter anderem ERP-Systeme, aber auch andere Dienstleistungen wie Produkt Lifecycle ManagementIT-BetriebServer HostingNetzwerkeKommunikationHR-Lösungen und Portale. Wir betreiben auch einen eigenen Shop für den Liebherr Konzern, der spartenübergreifend ist. In meinem Bereich, zusammen mit meinem Team von aktuell acht Mitarbeitern, kümmern wir uns um alle Aspekte des ERP Customer Service. Das beinhaltet alles, was mit Kundendienstprozessen zu tun hat, sowohl für Produktions- als auch Handelsgesellschaften weltweit. Der Konzern ist in 13 Produktsegmente unterteilt, darunter BaggerKräne, aber auch HotelsVerzahntechnikAutomationstechnik und Aerospace. Wir arbeiten in diesem vielfältigen Umfeld.

ANDREA SPIEGEL: Das klingt auf jeden Fall äußerst spannend, und es gibt sicherlich ständig neue Herausforderungen.

MICHAEL LOOSE: Absolut, und wir sind weltweit aktiv, mit 140 Gesellschaften in 13 verschiedenen Produktsegmenten.

ANDREA SPIEGEL: Sehr beeindruckend. Du hast bereits erwähnt, dass ihr weltweit tätig seid, und ich nehme an, dass du früher viel unterwegs warst, bevor die Situation sich im Jahr 2020 geändert hat. Meine Kollegen haben mir verraten, dass du viel gereist bist und viele Meilen gesammelt hast. Vielleicht eine kleine Nebenfrage: Welcher Flughafen hat deiner Meinung nach die beste Lounge?

MICHAEL LOOSE: Das ist eine schwierige Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Ich persönlich finde die Lounges der Lufthansa immer recht gut. Einige mögen sagen, dass die Lufthansa-Lounges überall gleich sind und nicht besonders exklusiv sind, aber ich schätze die konstante Qualität und den gleichbleibenden Service an verschiedenen Orten weltweit. Wenn man eine wirklich erstklassige Lounge erleben möchte, sollte man vielleicht nach Toronto gehen, zur Air Canada Lounge – die ist wirklich hervorragend.

ANDREA SPIEGEL: Vielen Dank für den Tipp.

ANDREA SPIEGEL: Wenn wir schon beim Thema Reisen sind – ich habe es bereits erwähnt -, seit Anfang 2020 ist das Reisen eher heikel geworden, insbesondere für den Service-Bereich, wenn man, wie Ihr, international tätig ist. Welche weiteren Herausforderungen siehst du derzeit, die den Service in dieser Ära betreffen, nicht nur in Bezug auf Corona, sondern auch in der gesamten Entwicklung im Zusammenhang mit der Digitalisierung?

MICHAEL LOOSE: Da gibt es verschiedene Aspekte. Als weltweit agierendes Unternehmen, wie du bereits erwähnt hast, stehen wir vor Herausforderungen im Zusammenhang mit SpracheInternetverbindungZeitzonenlokaler Sicherheit und IT-Sicherheit. Ein immer noch bestehendes Thema, das uns betrifft, ist die Handhabung von Datenvolumina, insbesondere wenn unsere Servicetechniker unterwegs sind. Dies ist nach wie vor von großer Bedeutung und nicht immer einfach zu lösen.

Ein weiteres Thema betrifft die Netzabdeckung. Oft haben unsere Geräte an den Standorten keine ausreichende Netzabdeckung. Daher benötigen wir Lösungen, die auch offline für unsere Techniker verfügbar sind. Das sind einige der Herausforderungen.

Sprache ist, wie bereits erwähnt, ein weiteres Thema. Zwar wird weltweit oft Englisch gesprochen, aber es gibt Situationen, in denen unsere Techniker vor Ort nicht in der Lage sind, mit uns bei Liebherr IT-Services zu kommunizieren, da sie die Landessprache sprechen und wir Deutsch oder Englisch verwenden. Das kann eine Herausforderung darstellen.

Die Zeitzonen sind ebenfalls ein wiederkehrendes Problem, sowohl hinsichtlich der organisatorischen Aspekte als auch bei der Berechnung von Arbeitszeiten. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa der Häufigkeit der Reisen in ein bestimmtes Land.

Sicherheit ist ein weiteres Thema, insbesondere im Umgang mit Daten. Wo sollen diese Daten gespeichert werden? Wie werden sie zwischengespeichert? Haben wir einen Offline-Client? Wie gehen wir mit Sicherheitsfragen um? Dies sind wichtige Überlegungen.

Auch die Sicherheit vor Ort ist ein Thema, das zwar nicht in meinem Aufgabenbereich liegt, aber viele unserer Geräte stehen in Ländern, die nicht die gleichen Sicherheitsstandards wie bei uns haben, wie beispielsweise in Teilen AfrikasAsiens und Mittelamerikas. Auch damit müssen wir uns auseinandersetzen. All diese Aspekte sind zentral für unser Servicegeschäft.

ANDREA SPIEGEL: Die Digitalisierung ist zweifellos ein wichtiger Punkt, wie du bereits mobile Clients und die Möglichkeit der Online- und Offline-Arbeit angesprochen hast. Wie seid ihr im Servicebereich an das Thema Digitalisierung herangegangen? War es schon lange ein Thema, das durch die Corona-Pandemie erneut in den Fokus gerückt ist, oder wie habt ihr euch damit auseinandergesetzt?

MICHAEL LOOSE: Das Thema Digitalisierung wurde bei uns irgendwann als dringlich erachtet. Es schien nicht mehr zeitgemäß zu sein, dass unsere Techniker immer noch mit Zetteln und Stiften herumliefen, um handschriftliche Notizen anzufertigen, die dann im Backoffice erneut digitalisiert werden mussten. Wir erkannten die Notwendigkeit, die Daten dort zu digitalisieren, wo sie entstehen. So begannen wir frühzeitig damit, eine mobile Technologieanwendung zu entwickeln. Dies war der erste Schritt, den wir etwa im Jahr 2016/2017 begannen und intensivierten. Der Druck von unseren verschiedenen Sparten, die eine Lösung forderten, wurde größer. Nun befinden wir uns in der Phase der Implementierung dieser Softwarelösung.

Zusätzlich wächst der Druck, wie du bereits erwähnt hast, die Digitalisierung weiter voranzutreiben und mehr digitale Möglichkeiten zu schaffen. Zum Beispiel durch Remote Support, was bedeutet, dass Techniker nicht mehr zwingend vor Ort sein müssen. Dies wird besonders in Zeiten der Pandemie immer wichtiger. Unsere Geräte sind in entfernten Märkten wie Australien platziert. In der aktuellen Pandemiesituation gestaltet sich das Reisen dorthin schwierig. Australien hat restriktive Maßnahmen ergriffen, einschließlich Reisebeschränkungen innerhalb des Landes. Dies führt dazu, dass wir nicht einfach von Sydney nach Perth reisen können, selbst wenn wir einen Techniker aus New South Wales oder Sydney schicken wollten. Die Nachfrage nach Remote Support ist aufgrund der aktuellen Pandemiebedingungen stark gestiegen. Obwohl die Nachfrage bereits vorher vorhanden war, hat sie sich mittlerweile weiter verstärkt. Unsere Kunden erwarten und benötigen Lösungen, und das ist unser aktueller Schwerpunkt.

ANDREA SPIEGEL: Du hast gerade Augmented Reality Support erwähnt, und ich würde gerne noch näher darauf eingehen. Aber du hast auch gerade über das Thema Rollout gesprochen, insbesondere über diese mobile Softwarelösung. Wie gelingt der Rollout einer solchen Software über Ländergrenzen hinweg, insbesondere in einem internationalen Umfeld?

MICHAEL LOOSE: Im Customer Service haben wir, wie bereits erwähnt, Gesellschaften, die weltweit aktiv sind. Die Herausforderung besteht darin, dass Serviceprozesse nicht überall gleich funktionieren, obwohl man oft annimmt, dass Service überall gleich abläuft. Meine Erfahrung zeigt, dass das nicht der Fall ist. Es gibt Unterschiede und Variationen in den Prozessen. In Deutschland oder im europäischen Markt ist es beispielsweise üblich, dass Kunden, die ein Problem mit ihrer Maschine haben, telefonischen Support erhalten und eine Diagnose über das Telefon durchgeführt wird. In anderen Märkten hingegen möchten Kunden oft, dass ein Techniker vor Ort erscheint, um das Problem persönlich zu lösen.

Dies kann problematisch sein, da unser Ziel normalerweise darin besteht, dass die Maschine beim ersten Besuch vor Ort repariert wird. Wenn dies nicht der Fall ist und wir mehrere Male vor Ort reisen müssen, kostet dies Zeit und Geld. Bei Maschinen unter Garantie entstehen zunächst Kosten für uns, obwohl der Kunde am Ende eine funktionierende Maschine erhält. Aber es verursacht Kosten für uns.

Darüber hinaus gibt es Variationen in den Serviceprozessen, je nachdem, in welchem Land oder in welcher Region wir arbeiten. Das bedeutet, dass jedes Projekt zur Einführung einer mobilen Technologieanwendung, wie wir sie nennen, in unserem Team ein individuelles Projekt ist. Wir stellen jeweils ein Projektteam zusammen und reisen vor Ort, um eine Analyse durchzuführen. Wir untersuchen, wie die jeweilige Gesellschaft derzeit arbeitet, welche Werkzeuge und Funktionen sie benötigt, und besprechen, wie sie zukünftig arbeiten möchte. Fragen zur Häufigkeit von Vor-Ort-BesuchenTestverfahren und anderen Aspekten werden erörtert.

Normalerweise stellen wir den Gesellschaften ein Testsystem zur Verfügung, damit sie den vorgeschlagenen Prozesstesten können. Nachdem die Testergebnisse ausgewertet wurden, überlegen wir gemeinsam, ob Änderungen erforderlich sind, bevor wir über die Einführung eines Live-Systems nachdenken. Es gibt auch verschiedene Ansätze zur Einführung des Live-Systems. Einige entscheiden sich dafür, alle Techniker gleichzeitig einzusetzen, während andere, wie ich persönlich gute Erfahrungen gemacht habe, mit einer begrenzten Anzahl von Technikern beginnen und Erfahrungen sammeln, bevor sie weitere hinzufügen. Wir bieten beide Optionen an.

In den meisten Fällen entscheiden sich die Gesellschaften jedoch für den schrittweisen Ansatz, bei dem zunächst Erfahrungen gesammelt werden, anstatt einen “Big Bang” durchzuführen. Dieser schrittweise Ansatz minimiert das Risiko für das Servicegeschäft vor Ort, da nicht alle Techniker auf einmal eingeschränkt sind. Es handelt sich um eine Abwägungssache, und aus diesem Grund wählen die meisten den sichereren Weg mit uns.

ANDREA SPIEGEL: Du hast vorhin das Thema Sprache angesprochen. Wie geht ihr damit um? Wenn ihr sagt, dass ihr immer ein Testsystem habt, ist dieses System dann immer direkt in der Landessprache verfügbar, oder wie handhabt ihr das?

MICHAEL LOOSE: Genau, was wir aktuell haben, ist der L-mobile Service Client für die mobile Technik-Anbindung, der an die Anforderungen von Liebherr angepasst ist. Wir haben weltweit fast 1100 Monteure, die diese Software bereits im Einsatz haben, und wir führen derzeit noch laufende Projekte durch. In Bezug auf die Sprache haben wir den L-mobile Service Client bereits in acht Sprachen übersetzt: DeutschEnglischFranzösischSpanischPortugiesischItalienischTschechisch und Ungarisch. Dies sind die Sprachen, die wir derzeit anbieten, aber es besteht das Potenzial, dass wir in den kommenden Jahren weitere hinzufügen werden. Wir haben noch viele Möglichkeiten zur Erweiterung, auch in Ländern mit großen Liebherr-Gesellschaften.

ANDREA SPIEGEL: Das bedeutet, es ist ratsam, die jeweiligen Gegebenheiten und die Anforderungen der Gesellschaften in den einzelnen Ländern zu berücksichtigen und das System entsprechend anzupassen, Tests mit Benutzern durchzuführen und dann zu entscheiden, wie man es im großen Maßstab umsetzt.

ANDREA SPIEGEL: Wie würdest du den Zustand vor der Nutzung dieser mobilen Lösung beschreiben im Vergleich zur aktuellen Situation? Was hat sich durch den mobilen, digitalen Service bei euch verändert?

MICHAEL LOOSE: Wir konnten feststellen, dass sich die Durchlaufzeiten reduziert haben. Im Servicegeschäft für Baumaschinen sind die Techniker oft unterwegs und haben regelmäßig Touren über mehrere Wochen. Früher wurden die Informationen oft auf Papier erfasst und blieben dann liegen, bis die Techniker sie im Büro abliefern konnten. Erst dann konnten die Daten digitalisiert und die Abrechnung erstellt werden. Durch die mobile Lösung können die Techniker nun die Daten direkt erfassen und synchronisieren. Dadurch haben wir die Daten im Backoffice schneller verfügbar. In einigen Fällen konnten wir sogar am selben Tag, an dem die Daten erfasst wurden, die Rechnung an den Kunden senden, was früher nicht möglich war.

Eine Herausforderung besteht jedoch immer noch bei der Abrechnung von Ersatzteilen. Wenn ein Techniker ein Ersatzteil aufgenommen hat, es aber später nicht benötigt, muss damit umgegangen werden. Das Teil ist möglicherweise noch nicht physisch zurückgebracht worden, daher kann es nicht einfach ins Lager zurückgebucht werden, aber es sollte auch nicht dem Kunden in Rechnung gestellt werden. Dies ist eine komplexe Aufgabe, die die Kollegen im Backoffice bewältigen müssen.

Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, dass die Techniker sich an die mobile Lösung gewöhnen. Aber meiner Erfahrung nach ist der kulturelle Wandel im Backoffice noch größer. Viele Backoffice-Mitarbeiter waren lange Zeit im Service tätig und haben immer mit Papier gearbeitet. Jetzt müssen sie plötzlich digital mit den Daten arbeiten. Das ist die eigentliche Herausforderung.

ANDREA SPIEGEL: Wie meistert ihr diese Herausforderung? Wie nutzt ihr die Daten?

MICHAEL LOOSE: Wir nutzen die Daten vor allem zur Beschleunigung der Abrechnungsprozesse. Die Schwierigkeit besteht darin, die Kollegen im Backoffice dazu zu bringen, die Arbeitsweise mit den digitalen Daten zu verstehen. Viele von ihnen haben lange Zeit im Service gearbeitet und sind es gewohnt, mit Papier zu arbeiten. Der Übergang zur digitalen Datenverarbeitung ist eine große Veränderung und eine Herausforderung für sie.

ANDREA SPIEGEL: Ein weiteres Thema, das wir ansprechen möchten, ist, wie man die Menschen hinter der Technologie erreicht. Es ist schön, schnell auf Daten zugreifen zu können, aber es erfordert auch eine Anpassung der Arbeitsweise vieler Menschen, wie du bereits beschrieben hast. Ich kann nicht mehr einfach meinen Durchschlagzettel mitnehmen; möglicherweise müssen auch die Mitarbeiter im Backoffice schneller arbeiten. Wie seid ihr damit umgegangen und habt ihr die Mitarbeiter mitgenommen? Habt ihr einfach gesagt: “Hier ist die neue Software, fangt einfach an”? Oder hattet ihr Key-User, mit denen ihr Schulungen durchgeführt habt? Wie war der Prozess?

MICHAEL LOOSE: Genau, bei uns läuft es immer so ab, dass wir eine Key-User-Struktur in jeder Gesellschaft vor Ort haben. Wir arbeiten eng mit den Key-Usern zusammen und schulen sie in der Nutzung des Programms und der IT-Tools. Dann ist es aus meiner Sicht wichtig, die Kollegen in den Serviceabteilungen, die zwar keine Key-User sind, aber die tatsächlich mit dem System arbeiten müssen und sollen, direkt einzubeziehen. Daher versuchen wir dies auch immer in unserem Assessment, bei dem wir uns zunächst ansehen, wie sie arbeiten.

ANDREA SPIEGEL: Das bedeutet, ihr wart tatsächlich immer vor Ort?

MICHAEL LOOSE: Ja, bis kurz vor der Pandemie war das so. Ich war auch noch bis kurz vor der Pandemie unterwegs, um Assessments durchzuführen und Projekte zu betreuen. Inzwischen, ob sich das ändert oder nicht, werden wir sehen. Ich denke, viele Dinge können heute über Tools wie MS Teams oder Skype abgewickelt werden. Dennoch gibt es Situationen, in denen der persönliche Kontakt vor Ort immer noch wichtig ist, insbesondere wenn es darum geht, Beziehungen zu den Teams aufzubauen und zu pflegen.

ANDREA SPIEGEL: Wir haben viel über den mobilen Service gesprochen, bei dem eine App verwendet wird, wenn die Techniker draußen unterwegs sind. Du hast jedoch zu Beginn dieser Folge auch über das Thema Augmented Reality Support gesprochen, bei dem die Techniker nicht unbedingt vor Ort sein müssen, sondern die Servicefälle auf andere Weise bearbeiten können. Warum und wann habt ihr beschlossen, dass ihr neben der mobilen App einen anderen Ansatz benötigt?

MICHAEL LOOSE: Ja, warum und wann? Nun, wir haben bereits vor einigen Jahren begonnen, darüber nachzudenken, insbesondere aufgrund der Anfragen und Bedürfnisse von Großkunden in verschiedenen Bereichen. Einige dieser Techniker vor Ort sind gut ausgebildet und können bestimmte Probleme selbstständig lösen. Wenn es jedoch um detaillierte Fragen geht, benötigen auch diese Techniker Unterstützung von einem echten Experten, einem Mitarbeiter von Liebherr. Damals haben wir uns gefragt, wie wir das ermöglichen können. Wie bereits erwähnt, erfordert Remote Support oder im Mobile-Jargon Augmented Reality Support eine Internetverbindung, und das ist bei unseren Geräten immer noch nicht selbstverständlich. Selbst hier in Deutschland gibt es noch Verbesserungsbedarf.

ANDREA SPIEGEL: Es besteht noch Nachholbedarf.

MICHAEL LOOSE: Ja, definitiv Nachholbedarf. Aber es gibt auch Regionen auf der Welt, in denen Liebherr-Geräte eingesetzt werden, beispielsweise im Bergbau, wo möglicherweise überhaupt keine Netzabdeckung vorhanden ist. Daher denken wir darüber nach, den Fall des Remote Supports erheblich auszuweiten. Es geht nicht nur darum, einen Video-Support zu bieten, sondern auch um die Bereitstellung von Tools oder Möglichkeiten für Kunden und Techniker vor Ort, um Offline-Fälle zu bearbeiten. Zum Beispiel könnten sie Informationen über ein Ticket erfassen, wenn sie Netz haben, und sich dann wieder in Gebiete begeben, in denen sie kein Netz haben. Im Bereich der Baumaschinen, zumindest bei Liebherr, denken wir etwas weiter, weil es die Anforderungen erfordern.

ANDREA SPIEGEL: Du hast gerade von „Mining“ gesprochen. Könntest du kurz erklären, was das genau bedeutet?

MICHAEL LOOSE: Ja, wir haben Erdbewegungsgeräte wie Bagger, wie du zuvor erwähnt hast, und mittlerweile auch wieder Muldenkipper, also Lastwagen für den Baustelleneinsatz. Aber ein besonderes Produktsegment für uns ist „Mining“. Hierbei handelt es sich um Großgeräte, die die Kapazität haben, mehrere hundert Tonnen Material zu bewegen. Wir haben auch Mining-Lastwagen, die speziell für den Einsatz auf Minen konzipiert sind. Wir sind in verschiedenen Märkten aktiv, darunter AustralienKanadaUSA und Indonesien, wo diese Geräte im Einsatz sind. Und wie gesagt, es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir dort eine Internetverbindung haben, wo diese Geräte eingesetzt werden.

ANDREA SPIEGEL: Verstanden. Welchen Nutzen versprecht ihr euch am meisten vom Einsatz von Augmented Reality? Gibt es neben der Unterstützung der Techniker und der Möglichkeit, weitere Fragen zu stellen, noch andere Anwendungsfälle, die für euch wichtig sind?

MICHAEL LOOSE: Ein weiterer Vorteil dieser Technologie ist natürlich, wie bereits erwähnt, die eingesparte Anreisezeit, was nicht unerheblich ist. Stellen wir uns vor, ein Großgerät steht in einem Markt, der für uns am anderen Ende der Welt liegt. Wenn ich von hier nach Australien reisen müsste, wäre ich 20, 22 oder 23 Stunden unterwegs. In solchen Fällen können wir einen Techniker vor Ort, selbst wenn er nicht unbedingt ein Experte für dieses spezielle Gerät ist, über Remote-Support oder AR-Tools fernsteuern und anleiten. Das spart Zeit und Ressourcen für uns. Und aus diesem Grund, sowie aufgrund von Kundenanfragen, die selbst aktiv werden möchten, denken wir darüber nach, diese Technologie im gesamten Liebherr-Konzern zu implementieren.

ANDREA SPIEGEL: Wie würdest du die Veränderungen im Backoffice beschreiben, wenn ihr auf noch besser ausgebildete Techniker setzt, die jedoch nicht mehr vor Ort fahren? Welche Auswirkungen siehst du dort?

MICHAEL LOOSE: Aktuell ist es eine große Herausforderung, qualifizierte Techniker zu finden, die bereit sind, in der Welt umherzureisen und vor Ort Geräte zu reparieren. Die Zahl dieser Techniker nimmt stetig ab, während die Maschinen immer komplexer werden, mit viel mehr Elektronik. Dies bedeutet, dass die Techniker, die diese Geräte warten müssen, bereits Experten sein müssen. Jetzt stellt sich die Frage, wie man die Reisezeiten, die im Grunde genommen tote Zeiten sind, optimieren kann. Im Backoffice könnten diese Techniker, allerdings ergibt sich auch die Frage, ob Techniker, die normalerweise schrauben möchten, tatsächlich bereit sind, diese Arbeit am PC zu übernehmen. Die Veränderungen sind derzeit schwer vorherzusehen.

Es ist jedoch möglich, dass viele erfahrene Techniker die Möglichkeit begrüßen, nicht mehr so viel reisen zu müssen.

ANDREA SPIEGEL: Ja, das könnte durchaus sein, dass sie froh darüber sind, wenn sie weniger reisen müssen.

MICHAEL LOOSE: Genau, einige von ihnen könnten nach vielen Jahren des Reisens sagen, dass sie sich grundsätzlich niederlassen und nicht mehr so viel unterwegs sein möchten. Das bietet Chancen, stellt aber auch eine Herausforderung dar. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, wie gut diese Änderungen angenommen werden, sowohl von den Technikern als auch von den Kunden.

ANDREA SPIEGEL: Du hast bereits das Thema Kosten angesprochen. In vielen Unternehmen wird der Service oft als Kostenfaktor betrachtet. Es verursacht hohe Ausgaben, aber bringt wenig ein. Lassen wir das mal so stehen, ob das wirklich stimmt. Würdest du sagen, dass der Service tendenziell als Geschäftsmodell unterschätzt wird? Glaubst du, dass in diesem Bereich tatsächlich viel Potenzial steckt?

MICHAEL LOOSE: Ich denke, mit einem guten Service lässt sich Geld verdienen. Das Wichtigste ist, dass der Kunde in der Regel einen schnellen, präzisen und kostengünstigen Service wünscht. Ein Serviceversprechen, das diese Kriterien erfüllt – SchnelligkeitPräzisionQualität und Kostenersparnis aus Sicht des Kunden -, kann profitabel sein. Um dies zu erreichen, ist jedoch oft eine beträchtliche Investition erforderlich, insbesondere wenn es um die Qualität der Techniker geht. Techniker sind jedoch immer schwerer zu finden. In der Zukunft denke ich jedoch, dass es mit den Möglichkeiten der Digitalisierung, sei es durch Remote Support oder IoT-Anwendungen, noch mehr Chancen geben wird. Derzeit ist es oft so, dass der Kunde anruft, ein Techniker fährt hinaus, um das Problem zu überprüfen. Mit IoT-Implementierungen und Smart Components habe ich jedoch die Möglichkeit, die Diagnose aus dem Backoffice vorzunehmen, ohne dass ein Techniker vor Ort sein muss. Ich kann Informationen über das Gerät sammeln, um mögliche Probleme zu identifizieren, bevor ein Techniker ausrückt.

ANDREA SPIEGEL: Wie würdest du vorgehen, wenn du ein Geschäftsmodell im Servicebereich aufbauen möchtest? Welche Schritte wären deiner Meinung nach erforderlich, um ein erfolgreiches Modell zu entwickeln?

MICHAEL LOOSE: Es ist schwer zu sagen, da dies stark vom Markt abhängt, in dem man tätig ist. In Deutschland funktioniert es noch recht gut, wenn der Kunde anruft und mithilft, das Problem zu identifizieren. In anderen Märkten gestaltet sich dies schwieriger. Daher muss man überlegen, wie man das Problem angehen kann und welche Anforderungen der jeweilige Markt stellt.

ANDREA SPIEGEL: Ein weiteres Trendthema, das in die Zukunft blickt, ist künstliche Intelligenz im Servicebereich. Wie stehst du dazu? Siehst du darin Potenzial, und in welchen Bereichen könnte dies eingesetzt werden?

MICHAEL LOOSE: Künstliche Intelligenz ist zweifellos ein interessantes Thema, das viele Möglichkeiten bietet. Die Frage ist jedoch, wo und wie es im Kundenservice eingesetzt werden kann. Es gibt bereits Ansätze, bei denen Kunden sich nicht nur telefonisch oder per E-Mail melden können, sondern auch über ein Ticketingsystem. Dort gibt es Chatbots, die versuchen, das Problem des Kunden zu lösen. Dies sind interessante Ansätze. Ein weiteres Gebiet ist die Predictive Maintenance. Allerdings ist künstliche Intelligenz bei uns, zumindest bei Liebherr, derzeit noch keine tragende Säule. Es gibt Überlegungen, aber das Thema reicht weit über den ERP-Kundenservice hinaus und ist meistens auf die jeweilige Produktsparte zugeschnitten. Die Produktsparten sind für die Umsetzung solcher Lösungen verantwortlich und treiben die Entwicklung voran.

ANDREA SPIEGEL: Um abschließend noch einmal zusammenzufassen, könntest du uns deine drei wichtigsten Erkenntnisse teilen, die du während der Einführung des digitalen Service in eure verschiedenen Geschäftsbereiche auf internationaler Ebene gewonnen hast? Welche Ratschläge würdest du anderen geben?

MICHAEL LOOSE: Aus meiner Sicht ist es von größter Bedeutung, die Bedenken vor Ort in Bezug auf eine digitale Lösung ernst zu nehmen und die Kollegen aktiv einzubeziehen. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die Benutzerfreundlichkeit der Anwendung für die Techniker. Wie bereits erwähnt, meine Erfahrung zeigt, dass Techniker, die mit komplexen Geräten arbeiten, sich in der Regel recht schnell in einer mobilen Service-Lösung zurechtfinden können, um Daten zu erfassen. Dennoch ist es meiner Meinung nach unerlässlich, jeden Mitarbeiter direkt zu unterstützen. Einfach nur die Software bereitzustellen und zu sagen: “Hier, fang einfach an und fülle die Daten aus”, genügt nicht. Empfehlenswert ist es immer, diejenigen, die mit der Software arbeiten, aktiv zu unterstützen. Dennoch ist es aus meiner Sicht äußerst wichtig, dass die Benutzeroberfläche der Software so gestaltet ist, dass sie wirklich intuitiv zu bedienen ist. Denn, wie gesagt, der Techniker vor Ort, der an der Maschine arbeitet, wird in der Regel für seine handwerkliche Tätigkeit bezahlt. Er ist normalerweise niemand, der Büroarbeit erledigt, und es ist wichtig, dass die Software für ihn so einfach wie möglich ist, damit er sie beim ersten Mal versteht. Ein weiterer Aspekt ist die Sprachproblematik. In unserem Fall bieten wir unsere Lösung in verschiedenen Sprachen an, was aufgrund der länderspezifischen Vorschriften erforderlich ist. Ein Servicebericht in Tschechien kann beispielsweise nicht auf Deutsch oder Englisch ausgestellt werden, sondern muss in der Landessprache verfasst sein. Dieser Punkt sollte frühzeitig berücksichtigt werden, damit er in der Software ordnungsgemäß umgesetzt werden kann. Das sind meine Erfahrungen in diesem Bereich.

ANDREA SPIEGEL: Vielen Dank für deine Zeit und dieses spannende Gespräch über den internationalen digitalen Service. Ich bin sicher, dass dieses Thema für viele da draußen von Interesse ist. Wenn ihr noch Fragen zu diesem Thema habt oder weitere Informationen von Michael zu diesem Thema wünscht, schreibt uns gerne in die Kommentare oder kontaktiert uns auf andere Weise. Wenn ihr auch Themenwünsche oder Vorschläge für zukünftige Folgen habt, würden wir uns über euer Feedback freuen. Wenn euch diese Folge gefallen hat, gebt uns gerne einen Daumen nach oben auf YouTube oder hinterlasst eine Bewertung auf iTunes. Nochmals vielen Dank, Michael, für deine Zeit und dieses Gespräch. Bis zum nächsten Mal. Passt auf euch auf.

MICHAEL LOOSE: Auch vielen Dank. Tschüss.

Welche Idee steckt hinter der Multikommissionierung in der Lagerlogistik?

„Die Idee bei der Multikommissionierung ist auch da, eben solche Leerfahrten, Leerwege, egal ob jemand läuft oder eben fährt, zu vermeiden.“

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