ANDREA SPIEGEL: Genau, wir konzentrieren uns jetzt mal auf das, was ihr da Tolles geschafft habt bei euch, in Jungingen, hast du, glaube ich, gesagt.
HERMANN DIEBOLD: Richtig.
ANDREA SPIEGEL: Genau. Und zwar, ich habe es schon ein bisschen erwähnt in meinem Intro, ihr seid in Sachen klimaneutrale Produktion und generell dem ganzen Thema Nachhaltigkeit sehr engagiert. Und seid da, glaube ich, durchaus auch Vorreiter an der einen oder anderen Stelle – das kann man, glaube ich, sagen, zumindest in meiner Wahrnehmung. Vielleicht sagst du mir auch gleich etwas ganz anderes. Ich falle da jetzt einfach mal mit der Tür ins Haus: Wie habt ihr das gemacht und wie habt ihr das geschafft?
HERMANN DIEBOLD: Gut, da hat natürlich auch der Zufall eine Rolle gespielt. Das erste, was wir uns immer gewünscht haben, war eine klimatisierte Fertigung. Man muss sich vorstellen: Ein Metallteil wird in der Endkontrolle bei 21 Grad gemessen, und produziert wird es bei 30, 35 Grad. Da muss man immer mit den Toleranzen schummeln. Also, wenn ich am Schluss meine Toleranz hier haben will, dann muss ich es so fertigen, dass sie im Messraum passt. So wollte ich nicht mehr arbeiten. Und das Klimasystem bestand damals darin, Türen und Fenster zu öffnen und die Tore aufzumachen. Und dann haben wir gesagt, 2006…
ANDREA SPIEGEL: Wie man es halt so in Deutschland macht, man lüftet halt.
HERMANN DIEBOLD: Ja, klar. Was soll man auch anders tun? Und 2006 haben wir dann gesagt: Gibt es eine Möglichkeit, eine bezahlbare Klimatisierung zu realisieren? Und dann haben wir uns auf die Suche gemacht. Jetzt ein ganz wichtiger Tipp von meiner Seite an jeden, der das machen möchte: Nehmt nur einen Planer oder eine ausführende Firma, die ein funktionierendes System zeigen kann. Es gibt sehr viele Unwissende auf diesem Sektor, auch heute noch, die sich das zutrauen. Wenn ich es nicht vergesse, erzähle ich am Schluss noch ein paar Beispiele. Also, ich bin losmarschiert und habe gesagt, wo gibt es so etwas? Dann habe ich eine Firma gefunden, die Firma Decke-Maho in Pfonden, die hatten so ein System.
Die stehen auf einer Kiesmoräne, also in einem ehemaligen Gletschergebiet, und darunter fließt kaltes Brunnenwasser, das immer bei 8 oder 10 Grad liegt. Dieses Wasser pumpen sie in das Gebäude und kühlen damit das Kühlwasser für ihr Kühlsystem. Daraufhin habe ich darum gebeten, dass sie mir den Kontakt zu dem Planer herstellen, und der hat dann unser Projekt geplant. Aber er musste das ganz anders machen, weil wir kein Grundwasser haben, wir stehen auf Schiefer. Bei uns kommt nach einem Meter Schieferboden kein Grundwasser. Dann hat er gesagt: Okay, wir machen das mit Luft. Wir saugen Luft ins Gebäude auf der einen Seite, und diese Luft geht durch einen Erdkanal, durchs ganze Gebäude, und kommt dann bereits gekühlt am Wärmetauscher an – oder aufgewärmt im Winter, wenn es draußen Minusgrade hat. Dann kommt die Luft etwas wärmer an, und damit kühlen wir unser Kühlwasser ab. Aber das funktioniert nur bei Außentemperaturen bis 12 Grad. Darüber haben wir den Fluss angezapft, der bei uns vorbeifließt – und da kommt die Bürokratie ins Spiel.
ANDREA SPIEGEL: Wollte gerade sagen, darf man das so einfach?
HERMANN DIEBOLD: Man darf das schon, weil das vollkommen unproblematisch ist. Das Wasser, das wir entnehmen und zurückleiten, erwärmt den Bach nur um 0,0 irgendwas Grad.
ANDREA SPIEGEL: Das macht also nichts aus?
HERMANN DIEBOLD: Macht gar nichts aus. Mit den Behörden gab es auch kein Problem. Nur das Genehmigungsverfahren war etwas bürokratisch. Wenn diese zwei Dinge nicht mehr ausreichen, läuft unser Klimagerät. Unser Klimagerät läuft jedoch nur drei Monate im Jahr – in der heißen Zeit, wenn der Bach kein Wasser hat oder es zu warm ist. Juli und August. Der Fluss ist übrigens erst etwa acht Kilometer lang, bis er bei uns vorbeifließt.
ANDREA SPIEGEL: Von der Quelle bis dahin, das ist auch ein schönes, kühles Quellwasser.
HERMANN DIEBOLD: Schon, ja, aber es erwärmt sich schnell, weil es nicht allzu viel ist. Wenn jetzt heute jemand am Neckar wohnt oder seine Firma am Neckar hat, der könnte wunderbar dieses Wasser für Kühlzwecke nutzen.
ANDREA SPIEGEL: Da haben wir doch schon mal einen ersten guten Tipp.
HERMANN DIEBOLD: Ja, durchaus. Man muss natürlich schauen, wie die Zugänglichkeit ist, wie man das Ganze anzapfen kann, wie die Temperaturverhältnisse sind. Aber so ein großer Fluss schwankt nicht so stark in der Temperatur, das ist viel leichter zu handhaben als bei uns. Stellen wir uns mal vor, bei uns liegt Schnee, und dann scheint die Sonne. Es hat 20 Grad Plus – das gibt es oft im April. Dann hat man Wassertemperaturen, die verrückt spielen. Also, wir haben dieses System installiert, und es läuft bis heute hervorragend. Besonders der Übergang der Jahreszeitenfunktioniert vollautomatisch. Wir müssen da nichts umstellen.
ANDREA SPIEGEL: Das heißt, Luftkühlung, Wasserkühlung und im Zweifel dann eben noch das Klimagerät?
HERMANN DIEBOLD: Ja, und die Temperaturen werden gemessen, und das System braucht dann vielleicht zwei Tage, bis es sich an die neuen Temperaturen gewöhnt hat. Im April, wie gesagt, hat es morgens 0 Grad und mittags 20 Grad, und das muss das System einfach balancieren können. Dafür braucht man natürlich eine ausgeklügelte Regelungstechnik. Und jetzt kommt auch wieder Digitalisierung ins Spiel. Wir haben sehr viele Daten. Wir können Temperaturen sehen, Pumpen, Drücke – alles Mögliche sehen und auch einstellen. Aber wir können nichts damit anfangen. Wir können diese Daten nicht sinnvoll nutzen, zum Beispiel zum Energiesparen. Das System stammt von einer weltbekannten Firma, bei der Siemens draufsteht, aber diesen Schritt haben sie noch nicht gegangen.
ANDREA SPIEGEL: Was würdest du denn zum Beispiel erwarten? Also, was würdest du gerne mit den Daten machen?
HERMANN DIEBOLD: Dass das System schon voraussieht, anhand des Wetterberichts, welche Regelungen ich treffen könnte.
ANDREA SPIEGEL: Predictive Einstellungen sozusagen.
HERMANN DIEBOLD: Oder dass es mir einfach sagt: Diese Pumpe muss jetzt nicht laufen, die kann abgeschaltet werden. Oder ich kann Lichter ein- und ausschalten. Ich kenne eine Firma, ein Kunde von uns, der macht das ganz toll: Jedes Büro hat Bewegungsmelder, und nur wenn jemand drin ist, geht das Licht an. Wir haben das auch, ja, das ist richtig klasse. Und auch die Frequenzregelungen von Kompressoren haben wir nachgerüstet. Wenn ich am Wochenende in meine Fabrik komme, dann zischt es irgendwo, läuft Druckluft. Das könnte man viel feiner regeln. Wir machen uns auf die Suche nach diesen Möglichkeiten, um einfach Geld zu sparen und Energie zu sparen. Energie ist wahnsinnig teuer geworden, das weiß jeder. Unsere Strompreise haben sich verdreifacht, von jetzt auf nachher, und wir können die Preise nicht weitergeben, das geht einfach nicht. Wir müssen schauen, wie wir intelligente Systeme einsetzen, um das anders zu machen.
Klimaneutral. Genau. Mit der Neuklimatisierung ist die Fabrik noch lange nicht klimaneutral. Dann haben wir uns gefragt: Wie heizen wir, wie machen wir das mit der Gebäudeheizung? Ein Brenner, der in ein Loch eine Flamme schießt und Wasser erwärmt, ist nicht so hoch effizient, finde ich eigentlich. Aber es funktioniert natürlich gut seit Jahrzehnten. Wir hatten das Glück, dass unser Nachbar, eine große Firma, die Leuchten herstellen, sehr viel Energie für die Lackierung braucht und auch Kühlung für die Gebäude benötigt. Die haben ein Biokraftwerk gebaut, in dem sie Holz- und Hackschnitzel verbrennen. Das steht direkt bei uns in der Nachbarschaft, und wir konnten uns daran anschließen. Das heißt, wir haben keine Brennstellen mehr im Haus. Ganz wichtig.
ANDREA SPIEGEL: Für die Klimahalle brauchst du auch eine Fußbodenheizung, oder?
HERMANN DIEBOLD: Genau, und die muss über eine Betonkernaktivierung die Grundwärme für den Gebäudekörper bereitstellen. Diese speisen wir mit der Abwärme der Kompressoren. Das ist ganz simpel. Da braucht man ein paar Pumpen.
ANDREA SPIEGEL: Also ein interner Kreislauf sozusagen.
HERMANN DIEBOLD: Genau. Man könnte die Abwärme auch einfach rausblasen, aber damit kann man nichts anfangen. Das war auch ein ganz wichtiges Thema auf dem Weg zur Klimaneutralität. Und wir behaupten heute, wir sind klimaneutral.
ANDREA SPIEGEL: Das wollte ich gerade sagen. Habt ihr irgendwelche Zertifikate, oder sagt ihr einfach, das ist euer eigener Maßstab? Oder wie handhabt ihr das?
HERMANN DIEBOLD: Es ist bisher unser eigener Maßstab. Es wird aber Zertifikate brauchen. Wir sind auf dem Weg, dass jede Firma so ein Zertifikat braucht. Da kommt auch wieder ein bisschen Bürokratie dazu. Es wurde so beschlossen, dass man das macht. Aber wir haben ein gewisses Glück: Es gibt eine Firma, die ein offenes System mit vielen Formeln entwickelt hat, die man an seine Bedürfnisse anpassen kann, um so seine Daten zu erzeugen. Dieses System wird jetzt über den VDMA den Firmen zugänglich gemacht. Ich glaube, nicht nur den Mitgliedern, sondern allen. Damit hat man einen Standard, weiß, wie die Auswertung aussehen muss, und bekommt vergleichbare Daten. Das macht das Leben dann viel einfacher.
ANDREA SPIEGEL: Also ein Standard wird nötig sein.
HERMANN DIEBOLD: Genau. Derzeit ist es so, dass die Firma Bosch ihrem Lieferanten 30 Seiten Formulare schickt und sagt: „Füll das mal aus nach meinem Schema.“ Dann kommt der nächste Kunde und der übernächste. Das ist so nicht zu machen. Wir brauchen eine Standardisierung. Dann verliert das Ganze seinen Schrecken. Man kann sich selbst im Spiegel sehen, das Verbesserungspotenzial erkennen und sich nach außen entsprechend aufstellen.