#19 Servicequalität verbessern mit Marilla Bax

Podcast Industrie 4.0 | Der Expertentalk für den Mittelstand

In der neunzehnten Folge unserer Videoshow sprechen wir mit Marilla Bax, Geschäftsführerin und Gründerin der marillabax GmbH, über Servicequalität und wie man diese verbessern kann.

Im Gespräch mit Marilla Bax klären wir zunächst die Frage, warum Service eigentlich so wichtig ist und sprechen dann darüber, welche Rolle Kundenservice im Vergleich zum Produkt heutzutage hat bzw. haben sollte und warum Kundenorientierung heute wichtiger ist denn je.

Außerdem sprechen wir über präventiven und reaktiven Service, Wissensmanagement, Konfliktsituationen im Kundengespräch und auch über die Messbarkeit von Servicequalität anhand von passenden KPIs.

Das Transkript zur Podcast-Folge: Servicequalität verbessern

ANDREA SPIEGEL: Ja, herzlich willkommen zu einer neuen Folge Industrie 4.0, der Experten-Talk für den Mittelstand. Ich denke, die meisten von euch kennen das. Man ist in einem Restaurant essen. Das Essen ist nur ganz okay, aber der Service ist richtig gut. Da geht man einfach gerne wieder hin. Gleichzeitig aber auch, wenn das Essen mega gut ist, aber der Service nicht cool war, dann ist man vielleicht nicht mehr so begeistert, nochmal dorthin zu gehen. Damit es euch da draußen mit euren Kundinnen und Kunden nicht passiert, gucken wir uns heute das ganze Thema Servicequalität an. Also, welche Rolle spielt eigentlich Service, egal ob im Restaurant oder auch darüber hinaus in anderen Bereichen.

Wie immer habe ich dafür einen wunderbaren Gesprächspartner hier bei mir. Heute ist es Marilla Bax. Sie ist die Geschäftsführerin und Gründerin der Marilla Bax GmbH. Schön, dass du heute da bist, Marilla.

MARILLA BAX: Ja, danke für die Einladung. Zu dem Thema habe ich immer etwas zu erzählen. Das haben wir schon mal ausprobiert und freue mich, dass wir uns heute nochmal gemeinsam damit beschäftigen können und Ihnen auch Tipps und Ideen mitgeben können, worauf es bei Servicequalität ankommt. Da bin ich gespannt auf deine Fragen.

ANDREA SPIEGEL: Ich wollte gerade sagen, ich bin gespannt auf unser Gespräch. Wie immer nochmal kurz an der Stelle der Hinweis: Auch diese Folge gibt es wieder als Podcast bei Spotify, iTunes und Co. zu hören. Hört gerne mal rein.

Bevor wir loslegen, Marilla, die Leute kennen dich vielleicht noch nicht alle da draußen. Das wollen wir gerne ändern. Wer bist du und was machst du genau mit deinen Kolleginnen und Kollegen?

MARILLA BAX: Ja, du hast es schon gesagt, ich bin Inhaberin einer Unternehmensberatung, und wir haben uns zum Ziel gesetzt, alles, was irgendwie technische Expertise braucht, mit mehr Servicequalität auszustatten und Servicekultur zu befähigen. Das bedeutet konkret, wir bewegen uns im Mittelstand bei Medizintechnikfirmen, bei Maschinenanlagenbauern, in der IT, also überall dort, wo viel Expertise gefragt ist. Wir haben gelernt und festgestellt, dass diese Unternehmen oft Schwierigkeiten haben, sich intensiv mit dem Thema Servicekultur und Servicequalität auseinanderzusetzen. Das ist unser Tätigkeitsfeld. Wir bieten Beratung, Training, Coaching und alles, was erforderlich ist, um die Menschen mehr in den Vordergrund zu rücken und mehr Leichtigkeit in die Kommunikation zu bringen. Das können Prozessoptimierungen sein, bei denen Servicequalität eine große Rolle spielt, aber auch die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, sei es im direkten Kollegenverhältnis oder im Kundenkontakt. Das ist für uns wichtig, daran zu arbeiten.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt weiß ich, dass du gerne ein Zitat verwendest, und zwar von Werner Siemens, der sagte: “Es kommt nicht darauf an, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen, sondern mit den Augen die Tür zu finden.” Ich steige damit ein, weil ich gerne wissen würde, warum du dieses Zitat im Zusammenhang mit Service verwendest.

MARILLA BAX: Nun, viele denken immer wieder, dass sie mit klaren Regeln in der Kundenkommunikation arbeiten können und dabei an Authentizität verlieren. Regeln, also das Durchsetzen mit dem Kopf durch die Wand, ist nicht das, was der Kunde möchte. Der Kunde wünscht sich, dass man sich individuell auf ihn einstellt und einfach schaut, was dieser Kunde braucht, was die Situation erfordert, und in der Lage ist, die richtige Entscheidung zu treffen. Also, mit den Augen links und rechts zu schauen und nicht einfach stumpf nach Regeln zu handeln. Also im übertragenen Sinne nicht auf die Tür zuzurennen und im Zweifel sogar durch die Tür hindurchzugehen, also über den Kunden hinweg, nur weil meine Regel sagt, dass ich es immer so mache.

ANDREA SPIEGEL: Also einfach ein bisschen Flexibilität mitbringen.

MARILLA BAX: Flexibler sein, agiler sein. Das ist heute das schönere Wort für Flexibilität – agil sein. Ich würde sagen, einfach situativ entscheiden können und auch den Mut haben, sich von Regeln zu lösen, wenn es die Situation erfordert. Also, eine gewisse Leichtigkeit in die Sache bringen.

ANDREA SPIEGEL: Jetzt haben wir da schon einen Punkt angesprochen, wo es in manchen Fällen schon Schwierigkeiten gibt. Gibt es ansonsten noch Punkte, an denen du sagst, dass es oft schwierig ist, wenn ich irgendwo reinkomme und ein Coaching machen soll? Beispielsweise sind das die Stellen, an denen du immer ansetzen musst.

MARILLA BAX: Es gibt nicht nur eine Stelle, sondern Servicequalität ist ein großes Puzzle. Man muss es tatsächlich so sehen. Es gibt viele Bausteine, die eine Rolle spielen, und am Ende ergibt das ganze Puzzle ein Gesamtbild und eigentlich auch ein Imagebild des Unternehmens. Viele tun sich schwer damit, diese Puzzlestücke zu identifizieren. Es ist ungünstig, wenn ich dann in verschiedenen Ecken liegen bleibe und nur Haufen in den Ecken habe, aber den Anfang nicht finde. Das kann man feststellen.

Wenn ich bei Unternehmen zu Besuch bin, machen wir zunächst einen sogenannten Fitnesscheck und schauen, wie fit ihr eigentlich seid. Was passiert? Welche Muskeln sind schon ausgeprägt und welche nicht? Wir spielen gerne mit diesem Fitnessbild und dem Muskelbild.

Wir stellen dann fest, dass die Leidenschaft bei den Mitarbeitern oft schon vorhanden ist. Sie wollen Dinge richtig machen und haben den Wunsch, diese richtig zu machen. Aber ihnen fehlt der Freiraum oder die Idee dazu. Sie werden auch teilweise behindert durch Prozesse und Tools, die nicht optimal auf ihre tägliche Arbeitssituation abgestimmt sind. Das wisst ihr auch. Software spielt eine große Rolle. Aber was nützt die schönste Software, wenn der Prozess dazu nicht optimal aufgestellt ist?

Hierbei fällt mir ein Zitat ein: “Wenn Sie einen schlechten Prozess digitalisieren, haben Sie einen schlechten digitalen Prozess.” Oft erleben wir, dass es an Prozessklarheit mangelt und dass ein gewisser Freiraum im Prozess fehlt. Ich höre oft von Mitarbeitern, dass sie bestimmte Dinge gerne tun würden, aber nicht können, weil… Es gibt immer Gründe dafür, warum es nicht geht. Sie werden stark eingeschränkt oder fühlen sich unsicher. Was ist überhaupt erlaubt?

Und beides führt nicht zur Qualität, sondern hängt stark von der Initiative des Einzelnen ab, wie er sich behelfen kann. Ich habe letzte Woche eine Situation erlebt, bei der ich einen Techniker im Feld begleitet habe. Das machen wir, wenn wir einen Fitnesscheck durchführen. Wir beobachten die Mitarbeiter bei der Arbeit, um zu verstehen, was ihr Tagesgeschäft ausmacht. Das bedeutet auch, dass wir uns in Sicherheitsschuhe und eine Sicherheitsweste kleiden und uns auf den Maschinenpark begeben, wo auch immer das sein mag. Nun, ich habe den Techniker begleitet. Er hat den Kunden mit viel Aufmerksamkeit, Ruhe und Souveränität besucht. Es ging um die Installation einer Anlage, also die Inbetriebnahme einer Erstinstallation. Und wie es oft der Fall ist, kam es zu einer Situation, in der die Maschine nicht mehr das tat, was sie sollte, sondern Fehlermeldungen anzeigte. Und dann trat das Chaos ein, denn nun kam der Stress. Bis zu diesem Zeitpunkt war alles routinemäßig abgelaufen. Das ist für mich immer interessant, weil ich dann sehen kann, was passiert, wenn es nicht wie geplant läuft.

ANDREA SPIEGEL: Wenn es nicht wie geplant verläuft.

MARILLA BAX: Exakt. Das ist quasi vorprogrammiert. Ich kann mir das nicht wünschen. Es passiert einfach. Nun stand er also vor der Situation, dass die Fehlermeldungen vor ihm standen und er sie nicht einordnen konnte. Die Maschine war relativ neu und er hatte noch nicht viel Erfahrung damit. Und da frage ich ihn: “Was machen Sie jetzt? Wie helfen Sie sich jetzt?” Wer kann Ihnen aus dem Werk helfen?” Er antwortete: “Im Werk habe ich niemanden. Ich habe keinen Serviceleiter und kein Second Level. Wir haben das in unserem Unternehmen anders organisiert. Aber ich habe private Kontakte und kenne jemanden in der Konstruktion und beim Hersteller.“ Ich fragte: “Private Kontakte? Ist das erlaubt?” Er antwortete: “Was soll ich sonst tun? Das ist meine einzige Option.” Jetzt stellt sich die Frage: Ist das Qualität oder nicht? Ja, er kann sich selbst helfen. Er hat seine eigenen Kanäle geschaffen.

Aber Qualität entsteht natürlich, wenn ich wiederholt ähnliche Ergebnisse erzielen kann. Das ist nicht möglich, wenn alles von einem einzelnen Mitarbeiter abhängt. Es bedarf einer Idee darüber, wie wir Wissen an die Mitarbeiter weitergeben und wie wir ihnen ein Sicherheitsnetz bieten können. Ob es nun an Wissensdatenbanken mangelt oder einfach an Kollegen, die Bescheid wissen oder sich kümmern. Die Situation war also, dass der Kunde dem Techniker dabei zuschaute, wie er über private Kanäle versuchte herauszufinden, was die Fehlermeldung bedeutete, und auf einen Rückruf wartete oder in den Daten blätterte oder sagte: “Lass uns etwas ausprobieren.” Und hier kommen viele Faktoren ins Spiel.

Der Techniker ist unsicher im Prozess und hat auf eigene Weise eine Lösung gefunden, was an sich positiv ist, da es Flexibilität zeigt.

Jetzt stellt sich die Frage, wie kommuniziert man diese Situation dem Kunden? Auch hier gibt es oft Unsicherheiten. Was darf ich sagen und was nicht? Welchen Eindruck erwecke ich? Kann ich den Kunden auf eine Weise beschäftigen, bei der er nicht bemerkt, was ich gerade tue? All das sind Situationen, die wir beobachten und die eine wichtige Rolle in Bezug auf Servicequalität spielen. Wie befähigen wir die Mitarbeiter? Welche Werkzeuge, Prozesse und Sicherheitsnetze stellen wir ihnen zur Verfügung, damit sie beim Kunden bestmöglich agieren können?

ANDREA SPIEGEL: Ich habe bereits am Anfang ein Beispiel gebracht, warum Service vielleicht hilfreich sein kann, um auch Kunden zu halten oder so. Aber mal die ganz einfache Frage: Warum eigentlich Service? Warum ist er so wichtig? Klar, wenn die Maschine kaputt ist, muss sie vielleicht repariert werden. Das ist nachvollziehbar. Aber warum auch darüber hinaus, wie du es bereits beschrieben hast?

MARILLA BAX: Ja, beim Service ist es wichtig, zwischen reaktivem und proaktivem Service zu unterscheiden. Das, was du gerade angesprochen hast, ist reaktiver Service. Wenn eine Maschine defekt ist, reagiere ich darauf und bringe einen Service zur Reparatur. Kunden erwarten heute jedoch mehr als das. Sie erwarten, dass man bereits vor einer Störung agiert, im besten Fall sogar Störungen vermeidet. Alles, was wir in diesem Kontext tun, zielt darauf ab, dass der Kunde seine Maschine oder Anlage effizienter nutzen kann und mehr Nutzen daraus zieht.

Dies ist ebenfalls Teil des Service. Es trägt dazu bei, dass Störungen gar nicht erst auftreten. Störungen sind sowohl für den Kunden als auch für den Service unangenehm. Sie erfordern spontane Reaktionen und sind schwer planbar. Daher streben wir nach planbaren Aktivitäten, weniger Störungen und einer maximalen Steigerung des Nutzens der Maschine oder Anlage für den Kunden. Das ist Service.

Und darauf baut ein Kunde heute. Er möchte nicht nur ein Produkt kaufen, sondern auch wissen, wie er dieses Produkt optimal nutzen kann. Er möchte bestmöglich betreut werden. Denn Service bedeutet auch Betreuung, nicht nur Reparatur. Für diese Betreuung benötigen wir Konzepte, wie präventive Beratung, Lösungen, Wartung und Instandhaltung. All diese Maßnahmen wirken präventiv.

Wenn es technisch möglich ist, helfen uns Log-File-Analysen, um Informationen zu gewinnen und abzuleiten. Heutzutage unterstützt uns auch KI dabei, wesentlich mehr Informationen zu erhalten und auszuwerten, um das Verhalten des Produkts im Kundeneinsatz zu verstehen. All diese Konzepte sind Teil des Service und tragen dazu bei, dass der Kunde zufrieden ist und die Kundenbindung positiv beeinflusst wird. Der Kunde sollte nicht das Gefühl haben, dass er aufgrund eines Vertrags an uns gebunden ist und keine andere Wahl hat, wie es beispielsweise bei Mobilfunkverträgen oft der Fall ist. Stattdessen sollte der Kunde sagen: “Mir ist es egal, ob ich einen Vertrag habe, das Produkt ist großartig und die Betreuung ist hervorragend. Ich bleibe aus Überzeugung hier.”

Wenn der Vertrag dann auch noch passt, umso besser. Aber im Idealfall hinterfragt der Kunde nicht einmal den Vertrag. Das ist ein Zeichen für erreichte Servicequalität. Wenn der Kunde nicht mehr hinterfragt, sondern das Angebot nutzt und sich bestmöglich unterstützt fühlt.

ANDREA SPIEGEL: Ich bekomme, was ich haben möchte.

MARILLA BAX: Genau, ich erhalte, was ich möchte, und ich sehe darin einen Mehrwert für mich.

ANDREA SPIEGEL: Du hast gerade das Verhältnis zwischen Produkt und Service angesprochen. Also, welchen Stellenwert sollte der Service im Verhältnis zum Produkt haben?

MARILLA BAX: Im besten Fall sollten sie gleichwertig sein. Der Kunde kauft ein gutes Produkt und sollte auch von der Produktleistung überzeugt sein. Du hast vorhin das Beispiel mit dem Restaurant zutreffend genannt. Es ist natürlich großartig, wenn ich eine köstliche Pizza serviere und dazu einen erstklassigen Service biete. Ein hervorragender Service kann vielleicht gelegentlich Mängel im Produkt ausgleichen.

Jedoch ist es letztendlich entscheidend, dass beide Aspekte zusammenpassen. Schwächen im Service können nicht zwangsläufig nur durch ein gutes Produkt kompensiert werden. Denn irgendwann kann der Service frustrierend werden und die Gesamtsituation beeinträchtigen. Die Pizza mag zwar immer noch köstlich sein, aber ich besuche das Restaurant nicht mehr gerne. Es könnte sogar dazu führen, dass ich die Pizza gar nicht mehr mit nach Hause nehme, zumindest bei der Pizza habe ich diese Wahl. Das gilt nicht für jedes Produkt.

Im Marktvergleich werden Produkte oft in Bezug auf ihren Wettbewerbsvorteil immer weniger differenziert. Unabhängig von der Branche werden viele Produkte schneller vergleichbar. In Momenten, in denen Produkt A und Produkt B nahezu identisch sind, wird die Qualität des Services und die Serviceangebote des Anbieters entscheidend. Kunden bewerten heute nicht mehr nur nach Produkt und Service, sondern danach, wer ihnen die beste Gesamtlösung bietet. Diese Lösung setzt sich aus einem idealen Produkt und einem exzellenten Service zusammen. Unternehmen müssen sich in dieser Hinsicht als Lösungsanbieter positionieren. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, diesen Übergang vom reinen Produktanbieter zum Lösungsanbieter zu vollziehen. Sie fragen sich gelegentlich: “Muss ich jetzt zum reinen Serviceanbieter werden?” Nein, die Wahrheit liegt in der Mitte. Das Beste aus beiden Welten, sozusagen. Um es einfach auszudrücken.

ANDREA SPIEGEL: Du hast vorhin bereits das Thema angesprochen, dass meine Mitarbeiter in bestimmten Situationen flexibel reagieren müssen. Der Service muss eine gewisse Ausrichtung haben, aber gleichzeitig genug Freiraum bieten, um situativ handeln zu können. Warum ist das so? Und wie implementiere ich das am besten in meiner Organisation? Was muss ich meinen Mitarbeitern vermitteln, damit sie entsprechend agieren können?

MARILLA BAX: Nun, zunächst einmal müssen wir einfache Prozesse definieren und überlegen, wie viel Flexibilität die Mitarbeiter in diesen Prozessen benötigen. Dies variiert von einem Prozess zum anderen. Ein Techniker vor Ort sollte in der Lage sein, viele Entscheidungen eigenständig zu treffen. Das bedeutet, er benötigt mehr Flexibilität. Ein Mitarbeiter im Remote-Service oder in der Hotline hingegen hat möglicherweise mehr Optionen, schnell Unterstützung hinzuzuziehen und die Verantwortung zu teilen. Daher benötigt er vielleicht nicht ganz so viel Flexibilität.

Dennoch ist auch er beispielsweise beim Thema Kulanzrahmen gefragt. Das bedeutet, er muss entscheiden können, inwiefern er Kunden Geschenke machen darf, um eine Situation schnell zu entspannen und rasche Entscheidungen zu treffen. Angenommen, ein Techniker vor Ort hat keine Kenntnis über die Kosten eines Ersatzteils oder eines Ersatzteil-Kits. Wenn er jedoch weiß, dass ein bestimmter Sensor schnell kaputt geht und dieser Sensor beispielsweise 20 Euro kostet, kann er entscheiden, diesen Sensor einem Kunden zu schenken, insbesondere wenn es sich um einen treuen Kunden handelt, der die Maschine sorgfältig pflegt. Das ist eine stark vereinfachte Darstellung, aber darf er in diesem Rahmen solche Entscheidungen treffen oder nicht? Vielleicht gibt es sogar einen Kulanzrahmen von 100 Euro, der die einfache Tatsache berücksichtigt, dass die bürokratischen Kosten für die Rechnungsstellung, das Erstellen eines Angebots und das Einholen von Genehmigungen höher wären als der Artikelwert von 20 Euro.

ANDREA SPIEGEL: Es könnte auch einen positiven Eindruck hinterlassen.

MARILLA BAX: Das würde sicherlich einen positiven Eindruck hinterlassen. Natürlich wird jetzt vielleicht jemand argumentieren, dass die Techniker, wenn sie alles verschenken, keinen Gewinn mehr erzielen. Ja, natürlich sollte der Techniker es nicht übertreiben und nicht jede Woche alles verschenken.

ANDREA SPIEGEL: Man muss das Gleichgewicht halten.

MARILLA BAX: Das ist in der Tat notwendig. Die Entscheidung und Verantwortung können jedoch den Technikern übertragen werden. Die meisten Techniker vor Ort wissen ziemlich genau, bei welchen Kunden solche Aktionen angebracht sind und bei welchen nicht. In der Regel haben sie bereits eine gute Kundenbeziehung aufgebaut und wissen, wie sie mit dieser Freiheit und Entscheidungsbefugnis umgehen können, wenn ihnen das Vertrauen geschenkt wird und ein entsprechender Kulanzrahmen festgelegt ist. Das Gleiche gilt für Ersatzteilverkäufer am Telefon. Wenn beispielsweise ein Kunde Teil A gekauft hat, kann der Verkäufer überlegen, ob Teil B ebenfalls relevant ist und dem Kunden einen Paketpreis anbieten. Wenn bereits ein solcher Paketpreis definiert ist, umso besser. Wenn nicht, kann der Verkäufer, der mitdenkt, dem Kunden einen kleinen Rabatt gewähren. Auch hier müssen Handlungsspielräume geschaffen werden, die Freiheit und Flexibilität ermöglichen, aber gleichzeitig klare Grenzen ziehen. Somit wissen die Mitarbeiter, bis zu welchem Punkt sie Entscheidungen eigenständig treffen können, und ab welchem Punkt ein anderer Prozess gilt. Dies betrifft auch die Flexibilität innerhalb eines Prozesses.

ANDREA SPIEGEL: Und offensichtlich auch das Vertrauen. Vertrauen in die Mitarbeiter.

MARILLA BAX: Genau, das ist ein entscheidender Aspekt. Die Mitarbeiter dürfen nicht zu Robotern erzogen werden. Je restriktiver die Vorgaben sind, desto unflexibler werden sie und wir landen wieder bei der Situation, in der sie stur nach Vorgaben handeln, ohne auf die Umstände Rücksicht zu nehmen. In solchen Fällen könnte es vorkommen, dass sie ihren Handlungsspielraum überschreiten und gegen Regeln verstoßen, weil sie sich in ihrer Handlungsfreiheit eingeengt fühlen. Daher ist es wichtig, die Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen und ihnen eine gewisse Verantwortung zu übertragen. Natürlich dürfen klare Regeln existieren, doch es ist stets entscheidend zu überlegen, wie viel Spielraum in jeder Situation verbleibt und welche Entscheidungsfreiheit gewährt werden kann, ohne die Integrität des Prozesses zu beeinträchtigen. Es geht auch darum, die Kommunikationsebene zu berücksichtigen, wenn Regeln kommuniziert werden, sofern sie existieren. Regeln dürfen existieren, jedoch ist entscheidend, wie sie in der jeweiligen Situation angewendet werden können und inwiefern Spielraum für Entscheidungen besteht. Hierbei ist es ebenso wichtig, die Mitarbeiter über die Hintergründe der Regeln zu informieren, damit sie die Notwendigkeit und den Sinn dahinter verstehen und die Regeln nicht als unüberwindbare Barrieren empfinden.

ANDREA SPIEGEL: Wie kann ich dieses Vertrauensverhältnis zwischen der Organisation und dem Servicemitarbeiter aufbauen? Hast du vielleicht einen Tipp oder Erfahrungswerte, die uns zeigen, was am besten funktioniert?

MARILLA BAX: Nun, zunächst einmal sollte man Vertrauen schenken. Es ist recht einfach. Man definiert Freiräume in den Prozessen. Wenn man feststellt, dass sie missbraucht werden, kann man sie immer noch einschränken. Aber ich würde empfehlen, mit kleinen Schritten zu beginnen. Doch was genau sind “kleine Schritte”? Man sollte sie nicht zu winzig gestalten. Hier gibt es keine feste Faustregel wie “immer 20-Euro-Schritte machen” oder Ähnliches. Allerdings kann man darüber nachdenken, welchen Wert diese Kulanzspielräume für die Kunden haben. Dabei sollte man berücksichtigen, was ein bestimmtes Teil kostet oder welcher Deckungsbeitrag damit erzielt wird, sowie die Zeit und den Prozessaufwand, die damit verbunden sind.

Daraus kann man gewisse Richtlinien ableiten. Es ist jedoch schwierig, eine allgemeine Faustformel zu erstellen, da die Werte je nach Unternehmen, Produkt und Produktwert unterschiedlich sein können. Wenn es beispielsweise um eine Anlage im dreistelligen Millionenbereich geht, spielen 20 Euro keine Rolle, genauso wenig wie 200 Euro. Wenn jedoch eine Anlage im vierstelligen Tausenderbereich betrachtet wird, können 200 Euro bereits einen erheblichen Anteil ausmachen. Es ist also von Firma zu Firma, von Produkt zu Produkt und von Produktwertigkeit zu Produktwertigkeit unterschiedlich.

ANDREA SPIEGEL: Zusammengefasst sollte man also klare Definitionen schaffen und einen angemessenen Rahmen vorgeben, aber gleichzeitig den Mitarbeitern auch Vertrauen entgegenbringen?

MARILLA BAX: Genau, man kann auch die Mitarbeiter fragen und sie nach ihren Bedürfnissen für Entscheidungsbefugnisse befragen. Welche Werte sind für sie akzeptabel? Dies zeigt bereits Vertrauen, da die Mitarbeiter in den Prozess einbezogen werden. Auf diese Weise sind sie bereits auf dem richtigen Weg und müssen Verantwortung übernehmen sowie ihren Handlungsspielraum festlegen. Dabei spielt Mut eine wichtige Rolle.

ANDREA SPIEGEL: Ja, man hört ja heutzutage immer häufiger von diesem Thema der Kundenorientierung. Man soll sich irgendwie um den Kunden herum positionieren. Aber ist es nicht manchmal im Service so, dass man eher das Gefühl hat, “Ich weiß eigentlich, was der Kunde braucht. Ich kenne die Maschine oder so besser.” Wie gehe ich mit dieser Diskrepanz um? Muss ich einerseits dem Kunden seinen Wunsch erfüllen, andererseits aber vielleicht besser Bescheid wissen? Oder ist das gar nicht der Fall? Weiß ich wirklich besser Bescheid?

MARILLA BAX: Ja, oft sehe ich, dass die Mitarbeiter oder Techniker vor Ort, egal ob am Telefon oder in Person, sich oft dem Kunden sehr nahe fühlen. Und die Gefahr besteht darin, dass sie eher dem Kunden gegenüber loyal sind als dem Unternehmen gegenüber. Das ist eine Gratwanderung. Denn letztendlich sind sie immer Mitarbeiter des Unternehmens, die in einem Wirtschaftsunternehmen tätig sind und im wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens handeln sollten. Kundenorientierung hat ihre Grenzen. Wenn Kundenorientierung bedeutet, dass ich dem Kunden maximal loyal bin, dann muss ich mich fragen, wie loyal ich dem Unternehmen gegenüber bin. Denn Kundenorientierung hat auch ihre Grenzen. Oftmals wird Kundenorientierung falsch verstanden, wenn man dem Kunden ständig Geschenke machen möchte, aus Angst vor einem “Nein” und davor, Grenzen aufzuzeigen.

Ich darf dem Kunden nicht einfach alles zusagen, nur weil ich weiß, dass er es braucht und haben möchte. Wir müssen darüber nachdenken, was er tatsächlich benötigt, was aus wirtschaftlicher Sicht für uns sinnvoll ist, und wie wir ihm das anbieten können. Verkaufen bedeutet hier nicht immer den Vertrieb, sondern manchmal müssen wir ihm auch Lösungen anbieten, die auf den ersten Blick unangenehm sind. Dabei können wir durchaus Vertriebsinstrumente wie die Nutzenargumentation nutzen. Wir sollten darüber nachdenken, welchen Nutzen es dem Kunden bringt, wenn wir einen für ihn unangenehmen Schritt gehen, wie beispielsweise ein “Nein”. Viele Mitarbeiter haben Schwierigkeiten damit, dem Kunden Grenzen zu setzen und flüchten sich in das Wort “Kundenorientierung”.

Das ist jedoch eine falsch verstandene Kundenorientierung, wenn man zu viele Geschenke macht. Hier muss man vorsichtig sein. Es fällt vielen Mitarbeitern wirklich schwer. Aber man kann ihnen helfen, indem man mit ihnen über die Prozesse spricht und gemeinsam darüber nachdenkt, wie man unangenehme Dinge dem Kunden klar machen kann. Wie kann man “Nein” sagen? Die Verfügbarkeit von Teilen ist oft ein Diskussionspunkt. Oder eine Funktion, die von außen betrachtet großartig erscheint, aber möglicherweise für die anderen 100 Kunden völlig unwichtig ist. Wie kundenorientiert sind wir dann? Wenn ich dem Kunden sofort zustimme und sage, “Das ist großartig, das müssen wir sofort entwickeln lassen. Ich bin sicher, nächste Woche ist es umgesetzt.” Hier übertreibe ich ein wenig. Dann bin ich extrem kundenorientiert, aber nicht unternehmerisch.

Denn was nützt es mir, wenn ich dem Kunden dann nächste Woche sagen muss, “Ich habe bereits mit der Entwicklung und dem Produktmanagement gesprochen, aber leider können wir diese Funktion kurzfristig nicht umsetzen.” Das ist eine Möglichkeit. Gibt es nicht. Ja. Oder ich muss dem Kunden sagen, “Das ist eine großartige Funktion, aber sie ist ziemlich teuer. Ich weiß nicht, ob das für dich das Richtige ist. Möchtest du wirklich so viel Geld ausgeben?” Auch das ist unangenehm. Daher sollte man bereits im Voraus darüber nachdenken und nicht nur im Sinne des Kunden handeln, sondern auch berücksichtigen, was das für das gesamte Unternehmen und das Produkt bedeutet, und wie wirtschaftlich es ist, diese eine Funktion nur für einen Kunden zu entwickeln.

ANDREA SPIEGEL: Wie schwierig ist das ganze Thema, auch Freiräume zu lassen und gleichzeitig kundenorientiert zu sein, wenn man verschiedene Servicekräfte hat? Ich stelle mir das jetzt vor, in manchen Unternehmen haben Kunden vielleicht eigene Ansprechpartner, mit denen sie immer sprechen, während es bei anderen Unternehmen so ist, dass man bei einer Hotline anruft und irgendeinen Mitarbeiter erwischt. Wie kann ich sicherstellen, dass die Leistungen meiner Servicekräfte kohärent und konsistent sind, unabhängig davon, mit wem der Kunde spricht, und wann ein “Ja” und wann ein “Nein” angemessen ist?

MARILLA BAX: Ja, genau. Das ist natürlich wieder eine Frage der Organisation und der Prozesse, und du sprichst einen wichtigen Punkt an. Die Beziehung zum Kunden ist im Service von großer Bedeutung. Je besser ich mich auf den Kunden einstellen kann und je mehr ich über ihn weiß, desto einfacher ist es, ihn bestmöglich zu bedienen, um bei diesem Bild zu bleiben.

Nun, wie kann ich das gewährleisten? Viele argumentieren, dass dies nur möglich ist, wenn eine 1-zu-1-Beziehung besteht, in der der Kunde seinen Ansprechpartner kennt und umgekehrt. Natürlich ist das einfach, aber es handelt sich um rein mentale Kenntnisse. Letztendlich ist es jedoch wichtiger, wie gut der Mitarbeiter, mit dem der Kunde spricht, über den Kunden Bescheid weiß. Daher sollte die Organisation überlegen, wie sie sicherstellen kann, dass alle Mitarbeiter so viel wie möglich über den Kunden wissen und ihm das Gefühl geben können, dass sie in der Lage sind zu helfen, weil sie seine Situation verstehen.

Das schließt Informationen über das Produkt, den Verwendungszweck, die Service-Historie, bisherige Anliegen und Lösungsansätze sowie die Arbeitsweise des Kunden ein. Wenn ich dem Kunden all dies vermitteln kann, weil es in meinem internen System gespeichert ist und für mich leicht zugänglich ist, beispielsweise in Form einer Kundenakte oder einer Serviceakte, und ich in der Lage bin, diese Informationen im Gespräch zu nutzen, wird der Kunde auch bereit sein, von Mitarbeiter A zu Mitarbeiter B oder C zu wechseln, weil er weiß, dass alle über ihn Bescheid wissen. Wenn die Organisation dies nicht sicherstellen kann und das Wissen auf Einzelne beschränkt bleibt, wird der Kunde immer wieder nach dem Mitarbeiter verlangen, der ihn am besten kennt. Das kann problematisch sein.

Daher sollte die Organisation intern bestrebt sein, dieses Wissen zu teilen, vorzugsweise über ein System, aber auch durch regelmäßigen Erfahrungsaustausch. Viele Erfahrungsaustauschrunden sind eher fachlich orientiert und befassen sich mit Problemlösungen und neuen Produktfunktionen. Es ist jedoch genauso wichtig, Informationen über Kunden, als Fachwissen sozusagen, in regelmäßigen Erfahrungsaustauschrunden zu teilen. Mitarbeiter sollten berichten, wenn es bei einem Kunden Veränderungen gab oder wenn sie vor Ort Neues festgestellt haben, und dieses Wissen mit anderen teilen. Wissen teilen, genau.

Das Teilen von Wissen kann auf technischer Ebene durch die Schaffung von Datenbanken, für die ihr, wie ich gehört habe, Systeme bereitstellt, umgesetzt werden. Diese Datenbanken sollten Serviceakten und Kundenakten enthalten, die leicht verständlich und prozesskonform sind, sodass der Mitarbeiter, der mit dem Kunden spricht, auf die benötigten Informationen zugreifen kann. Darüber hinaus sollte auch das mentale Wissen über den Kunden, einschließlich emotionalem Verständnis, in regelmäßigen Austauschrunden geteilt werden. Diese Runden können klein sein, beispielsweise ein “Best of dieser Woche”, oder in anderer Form durchgeführt werden.

ANDREA SPIEGEL: Ja, bevor wir gleich über das Thema Zahlen sprechen, würde mich interessieren, wie gehe ich damit um, wenn meine Mitarbeiter alles haben, was sie brauchen, sich regelmäßig austauschen, aber ein Kunde meinen Mitarbeiter unzufrieden macht? Der Kunde ist genervt, weil etwas zum dritten oder vierten Mal nicht funktioniert hat und ist sehr schlecht gelaunt. Was sage ich meinem Mitarbeiter, der dort sitzt und vielleicht impulsiv reagiert?

MARILLA BAX: Sprichst du über den Kunden oder den Mitarbeiter?

ANDREA SPIEGEL: Über den Mitarbeiter, was sage ich ihm?

MARILLA BAX: Zunächst einmal muss ich meinen Mitarbeiter immer unterstützen und ihm sagen, dass er einen guten Job gemacht hat. Wir sollten gemeinsam herausfinden, wie wir den Kunden beruhigen können, unabhängig von den Gründen des Konflikts.

Der Konflikt kann aus verschiedenen Gründen entstanden sein, auch tagesabhängig. Vielleicht hatte der Kunde einfach einen schlechten Tag, war im Stau, wurde bereits mehrmals angeschnauzt und dann funktioniert die Maschine nicht. Vielleicht hat er Schwierigkeiten, jemanden am Telefon zu erreichen, obwohl es sich für ihn so anfühlt, als hätte er bereits hunderte Male versucht, jemanden zu erreichen, obwohl es in Wirklichkeit nur das dritte Mal in zwei Jahren ist. Aber die Tagesverfassung spielt eine große Rolle. Es ist wichtig, dass Führungskräfte den Mitarbeiter zuerst einmal beruhigen und ihm versichern, dass alles in Ordnung ist, und dass der Kunde möglicherweise nur einen schlechten Tag hat. Es liegt nicht an ihm. Wir müssen uns also zunächst entspannen.

Wenn ein aufgebrachter Kunde auf den Mitarbeiter trifft und dieser bereits in einer Konfliktsituation ist, wird der Mitarbeiter kaum noch in der Lage sein, den Kunden zu beruhigen. Es kann sein, dass bereits im Vorfeld ein Konfliktgespräch stattgefunden hat, und in diesem Fall kann der Mitarbeiter gestärkt werden, indem er darüber spricht, was normalerweise zu Konflikten führt. Hierbei kommen wir auf das zurück, was wir bereits besprochen haben. Die Konfliktentstehung beginnt weit vorher. Es gibt äußere Faktoren, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, wie zum Beispiel schlechte Laune aufgrund eines schlechten Starts in den Tag, nicht verfügbare Lieblingsbrötchen oder fehlender Kaffee. Wenn die Maschine dann auch noch nicht funktioniert und der Kunde nicht sofort durchkommt, kann das zu weiteren Frustrationen führen.

Es ist wichtig, wie der Mitarbeiter in dieser Situation mit dem Kunden umgeht, auch in Bezug auf die Formulierung. Der Konflikt entsteht nicht automatisch, sondern erst, wenn der Kunde das Gefühl hat, dass er nicht gut behandelt wird. Eine negative Verstärkung kann bereits durch Worte wie “Leider kann ich Ihnen nicht helfen” ausgelöst werden, was in gewisser Weise bedeutet, “Das ist nicht mein Problem”. In diesem Fall ist der Konflikt vorprogrammiert.

ANDREA SPIEGEL: Dann wird der Kunde wahrscheinlich noch wütender, wenn sie Pech haben.

MARILLA BAX: Ja, genau. Die Eskalation wird verstärkt. Das ist typisch, und das passiert jedes Mal so. Deshalb ist es wichtig, dass ich dem Konflikt nicht bereits im Vorfeld Tür und Tor öffne, indem ich sage, “Leider kann ich Ihnen nicht helfen”. Stattdessen könnte ich sagen, “Das ist ein interessantes Problem. Ich habe einen Spezialisten, den ich konsultieren kann. Geben Sie mir bitte etwas Zeit, um das zu klären.” Selbst wenn ich nicht in der Lage bin, direkt zu helfen, kann ich immer noch darüber sprechen, wer in dieser Situation helfen kann. Ich konzentriere mich auf die Lösung. Es ist wichtig, wie ich in dieser Situation mit dem Kunden umgehe. Wenn ich weiß, dass am Telefon viel los ist und viele Kunden besetzt sind oder in einer Warteschleife stecken, kann ich den Kunden bereits am Telefon abholen, indem ich sage, “Danke, dass Sie so lange gewartet haben. Ich verstehe, dass es heute sehr beschäftigt ist.”

ANDREA SPIEGEL: Das zeigt Verständnis.

MARILLA BAX: Genau. Der Kunde weiß dann, dass er nicht der Einzige ist, der sich über die schlechte Erreichbarkeit beschwert, aber er hat bereits Raum geschaffen, um sich über die Situation zu ärgern, dass die Erreichbarkeit so schlecht ist. Das ist wichtig, denn ich kann bereits im Vorfeld die Kundenzufriedenheit beeinflussen, indem ich die aktuelle Erreichbarkeit über meine Telefonanlage beobachte und darauf reagiere.

Um Konflikten vorzubeugen, ist es wichtig, die Situation und den Kunden gut zu verstehen. Selbst wenn alles richtig gemacht wurde, kann es vorkommen, dass der Kunde dennoch explodiert. In solchen Fällen, in denen der Kunde möglicherweise viel Geld für den Service ausgegeben hat und die Maschine wiederholt Probleme aufweist, ist es für den Mitarbeiter schwer, die Situation zu retten. In solchen Momenten erwartet der Kunde oft eine höhere Aufmerksamkeit, entweder von der Führungskraft oder von einem Spezialisten, um über die Situation zu sprechen. Als Führungskraft muss ich den Kunden abholen und gemeinsam mit ihm an einer Lösung arbeiten.

Es ist wichtig zu verstehen, woher der Konflikt kommt, aber gleichzeitig schnell zur Lösung überzugehen, anstatt über die Ursachen und Gründe für das Scheitern zu diskutieren. Der Fokus sollte immer auf der Zukunft liegen, nicht zu sehr auf der Vergangenheit. Obwohl, “nicht zu sehr in der Vergangenheit” ist nicht ganz korrekt, denn ich muss den Kunden bereits in seiner aktuellen Situation abholen. Aber ich sollte darauf achten, Verständnis für sein Erlebnis oder seine Probleme zu zeigen. Ich verstehe, dass Sie frustriert sind, es tut mir leid. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, wie wir solche Situationen in Zukunft vermeiden können und wie wir uns verbessern können.

ANDREA SPIEGEL: Das könnte im Alltag sicherlich hilfreich sein. Man weiß es nie.

MARILLA BAX: Ich hoffe es. Es ist immer schwierig, wenn wir keine konkrete Situation vor Augen haben. Aber auf jeden Fall sollte man die Mitarbeiter stärken und ihnen die Souveränität vermitteln, angemessen zu reagieren. Wenn jedoch nichts mehr hilft, ist es wichtig, die nächste Eskalationsstufe zu erreichen. Diese Eskalationsstufen können in den Prozessen definiert werden, um festzulegen, was schief gehen kann. Hierbei stoße ich auf ein häufiges Problem: Missverständnisse bei Begrifflichkeiten auf Kundenseite und auch auf Service-Seite. Hier ist ein Tipp für alle, die zuhören.

Definieren Sie klar, was eine Reklamation ist und wie sie sich von einer Beschwerde unterscheidet. Eine Reklamation ist nicht zwangsläufig eine Beschwerde. Eine Reklamation bedeutet, dass etwas kaputt ist, was nicht kaputt sein sollte, oder dass eine Funktion fehlt und repariert werden muss. Hier kommen die Begriffe Gewährleistung und Garantie ins Spiel. Im Industrieumfeld haben wir selten Garantie, sondern fast immer Gewährleistung, die gesetzlich geregelt ist.

Viele Unternehmen sprechen jedoch fälschlicherweise von Garantien. Aber wir haben gar keine Garantie. Dann kommt jemand anderes und sagt, “Wir haben einen Wartungsvertrag, alles ist inklusive.” Ist das wirklich so? Es ist wichtig, die Begriffe klar zu definieren und zu verstehen, was sich hinter jedem Begriff verbirgt. Welche Leistung wird tatsächlich erbracht? Welche Begriffe verwenden wir? Vertriebsmitarbeiter verwenden oft den Begriff Garantie, obwohl wir in der Regel Gewährleistung haben. Es ist wichtig, dass der Service diese Begriffe korrekt verwendet, um dem Kunden nicht fälschlicherweise zu suggerieren, dass er eine Garantie hat, die wir tatsächlich nicht bieten.

ANDREA SPIEGEL: Das kann wiederum zu Konflikten oder anderen Problemen führen.

MARILLA BAX: Genau. Und auch unterschwellige Beschwerden werden oft nicht erkannt oder erfasst, was eine verpasste Gelegenheit ist, Dinge zu verbessern. Viele Unternehmen sagen uns, dass sie Probleme mit der Erreichbarkeit haben und daran arbeiten müssen. Aber woran machen sie das fest? “Die Kunden beschweren sich ständig”, sagen sie oft. Aber wie viele Kunden beschweren sich und wie oft? Oft stellt sich heraus, dass nur wenige wichtige Kunden beim Vertrieb über die schlechte Erreichbarkeit klagen. Dann ist es wichtig, Kennzahlen zu verwenden. Was sagt Ihre Telefonanlage über die Erreichbarkeit aus? Naja, die sagt 80 Prozent. Okay, ist 80 Prozent jetzt schlecht? Ja, kann man sagen, zum Callcenter ist 80 Prozent schlecht, aber für den Industriekunden ist 80 Prozent gut. Ja, das ist in Ordnung, da kann man mit arbeiten. Da kann es schon mal vorkommen, dass besetzt ist, aber das ist auch in Ordnung.

Dann kommt der nächste Trugschluss, dass viele glauben, ich kann nur mit der Erreichbarkeit Kundenzufriedenheit erreichen. Aber was ist denn Erreichbarkeit tatsächlich faktisch? Eigentlich kann ich Erreichbarkeit schon erreichen, wenn ich 20 Studenten mir einkaufe und sage, ihr geht jetzt bitte alle ans Telefon, dann bin ich erreichbar.

ANDREA SPIEGEL: Ja, aber es ist nicht unbedingt das, was der Kunde dann braucht.

MARILLA BAX: Das ist nicht das, was der Kunde braucht. Der Kunde will jemanden erreichen, der ihm helfen kann. Das heißt, ich brauche eine Erstlösungsquote, eine gute, neben einer Erreichbarkeit. Und dann ist er auch mal bereit, einen besetzt in Kauf zu nehmen, weil er weiß, wenn ich jemanden erreiche, dann wird mir auch gleich geholfen.

Das heißt, ich muss eigentlich, wenn wir auf Qualität gehen, viel mehr noch darauf schauen, wie schaffe ich es, dass diejenigen, die in der ersten Linie sind, so viel Wissen haben, dass sie eine möglichst hohe Erreichbarkeit und eine hohe Erstlösungsquote haben. Das gilt für Telefon mit Erreichbarkeit und beim Techniker vor Ort. Da ist es auch eine Erstlösungsquote, nämlich das Lösen bei der ersten Anfahrt, weil es ist ja nichts teurer, als zum gleichen Kunden noch mal fahren zu müssen für den gleichen Fall.

Ja, zumal wenn der Fehler bei uns liegt, weil der Techniker vielleicht nicht das Material oder nicht das richtige Material hatte oder nicht das richtige Wissen dabei hatte und nicht auf mobiles Wissen zugreifen kann. Also auch da entstehen viele Konflikte. Aber die Frage ist oder die Beschwerde, da muss man auf den Grund gehen und sagen, wann ist jetzt ein paar wenige, die sich beim Vertrieb beschweren? Und dem gegenüber muss ich schauen, wie ist denn eigentlich unsere Kennzahlenlage dazu? Und da stellt sich schon die Frage, wer hat eigentlich ein Service Cockpit mit den richtigen Kennzahlen, die etwas über seine Qualität sagen?

ANDREA SPIEGEL: Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen, nämlich das ganze Thema, was ich gerade angeteasert habe, mit den Zahlen. Und zwar wenn ich jetzt von Geschäftsseite her darauf schaue, ist ja schön, wenn meine Mitarbeiter zufrieden sind und wissen, was sie machen müssen. Aber wie belege ich das jetzt quasi auch vielleicht der Geschäftsleitung gegenüber? Okay, wir haben was verändert und das hat ja auch die und die Auswirkungen. Wie kann ich denn messbar machen? Ist mein Service gut? Ist meine Service Qualität da, wo sie sein muss? Du hast jetzt gerade schon ein, zwei Zahlen genannt. Woran kann ich das alles ablegen?

MARILLA BAX: Also ganz wichtig, wie ich bereits gesagt habe, ist die Erreichbarkeit in Kombination mit der Erstlösungsquote und dem Feldeinsatz, sodass man eben bei der ersten Anfahrt alles erledigt hat. Dann kann ich natürlich noch ergänzen, auch das kann ich aus einer Vertragssituation ableiten, eine Kundenbindungsrate. Also wie viele Kunden verlängern ihren Vertrag oder andersrum kündigen ihn nicht? Ich sollte einfach schauen, wie das Verhältnis der Kündiger zum Verhältnis derjenigen, die bleiben, aussieht.

Auch wenn ich Teile verkaufe, wie viele Wartungsteile verkaufe ich? Wie viele müsste ich verkaufen? Ich kann sagen, wie ist meine installierte Basis? Wie viele Maschinen habe ich im Feld? Wie viele Wartungskits müsste ich also regelmäßig verkaufen? Wie viele Wartungen, wie viele Inspektionen müsste ich regelmäßig verkaufen? Und wenn das nach unten geht, dann ist das ein Signal dafür, dass der Kunde irgendwie entweder günstigere Teile woanders bekommt oder den Wartungstechniker günstiger bekommt. Auf jeden Fall droht er womöglich abzuwandern im Service. Und da muss ich natürlich auch hinschauen.

Dann ist es wichtig, dass ich meine Serviceprozesse tatsächlich so anschaue, dass ich sage, was sind denn Qualitätsmerkmale in diesen meist zeitlichen Abläufen, die aus Kundensicht wichtig sind, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht für mich.

Auch so etwas wie eine Rechnungsreklamation. Also wie schnell schaffen wir es oder bei wie vielen Kunden schaffen wir es, dass die Rechnung schnell bezahlt wird und keine Rechnungsreklamation vorliegt? Oder andersrum, wie viele Rechnungsreklamationen haben wir im Service? Wo der Kunde einfach sagt, die Leistung passt nicht, das stimmt nicht, ich habe das gar nicht gekauft, der Techniker war nicht so lange da, die Rechnungsdaten sind falsch oder was auch immer. Oder warum muss ich für 30 Minuten Hotline überhaupt bezahlen? Das sind alles Diskussionen, die mir auch einen Hinweis geben, dass irgendwas im Prozess nicht sauber ist. Entweder ist die Rechnung einfach nicht richtig oder der Kunde ist nicht ausreichend darüber informiert worden, dass er jetzt eine kostenpflichtige Leistung erhält. Auch hier kann ich in den Prozess eingreifen. Grundsätzlich kann ich aus dem Prozess alle Kennzahlen ableiten. Aber ich muss mir Gedanken darüber machen, was zu meinem Business passt, was zu meinen Kunden passt und was auch zu meinen Mitarbeitern passt, die täglich arbeiten. Welche Alltagsroutinen und Qualitätsmerkmale sehe ich da?

ANDREA SPIEGEL: Vielleicht machen wir zum Abschluss noch einmal etwas, vielleicht jetzt spontan. Und zwar, kannst du uns noch einmal so als kleine Zusammenfassung deine drei Top-Tipps oder deine drei wichtigsten Dinge geben, wenn es um das Thema Servicequalität verbessern geht. Was sind die drei wichtigsten Dinge, worauf muss ich achten, worum komme ich nicht herum?

MARILLA BAX: Ja, also das Wichtigste für mich ist, beim Kunden tatsächlich anzufangen, weil Kundenorientierung natürlich dazugehört. Und da ist die Frage, welche Serviceversprechen geben Sie an den Kunden ab? Welche Erwartungen hat er, und wo kommen diese Erwartungen her? Denn diesen Erwartungen muss ich irgendwie gerecht werden, und im besten Fall kann ich die Erwartungen positiv beeinflussen. Das bedeutet Service-Marketing, Service-Verkauf, alles, was meine Leute irgendwie darüber sagen können, welche Serviceleistungen in welcher Qualität erbracht werden. Wenn ich das weiß, wenn ich Klarheit über den Servicekatalog und die Leistungsmerkmale habe, kann ich das natürlich auch den Mitarbeitern vermitteln und ihnen sagen: “Das sind unsere Leistungen, so sehen sie aus. Hier könnt ihr frei entscheiden, hier könnt ihr Nein sagen. Hier habt ihr Spielraum, wenn man so möchte.”

Und dann natürlich auch in den Prozessen wirklich Sicherheit schaffen, also in die Prozesse schauen, wo haben wir Schnittstellen, auch zu anderen, auf die wir angewiesen sind? Wo gibt es Übergabepunkte, die wichtig sind? Also wenn es darum geht, Spielregeln auch miteinander zu vereinbaren, denn nichts ist schlimmer als ein Mitarbeiter am Telefon, der ewig auf eine Rückmeldung von irgendjemandem aus der Entwicklung oder aus dem Second Level wartet, und die im Second Level sagen: “Ich habe jetzt ganz andere Prioritäten.” Also wirklich in diesen Prozess auch einbeziehen.

Und ich finde nach wie vor das Thema Wissen vermitteln, Wissen verfügbar machen über den Kunden, über die Anlage, über alles, was damit zu tun hat. Also auch Tools schaffen und diese Tools so hinterfragen, ob sie in den Prozess des Kunden und des Mitarbeiters passen. Denn nichts ist schlimmer, als wenn ich 87 Klicks benötige, um herauszufinden, wie dieser Kunde heißt und wann der letzte Serviceeinsatz war.

ANDREA SPIEGEL: Und was überhaupt gemacht wurde?

MARILLA BAX: Die Oberfläche, das, was der Mitarbeiter sieht, egal welcher, muss dem entsprechen, was er täglich tut. Und das mit wenigen Klicks. Ich sage mal, mit drei Klicks muss er überall hinkommen. Mit drei Klicks, wenn Sie dann in Ihre Software schauen und Ihre Mitarbeiter fragen, was sie da machen, sind drei Klicks schon wenig. Aber da hätte ich schon kurze Wege.

ANDREA SPIEGEL: Ich wollte gerade sagen, das ist dann auch wieder ein Zeitthema. Apropos Zeit, wir sind quasi jetzt durch. Es ist schon um. Ich freue mich, dass du da warst. Vielen, vielen Dank.

MARILLA BAX: Ich könnte noch so viel erzählen.

ANDREA SPIEGEL: Das kann man. Man kann ja auch viel über dich noch erfahren im Internet oder sich bei euch melden. Ist dann, glaube ich, kein Problem.

MARILLA BAX: Wir sind da, und dann erzähle ich auch auf Knopfdruck.

ANDREA SPIEGEL: Genau. Und vielleicht gibt es auch noch einmal die eine oder andere Folge mit Marilla hier für euch zu sehen. Also es bleibt spannend.

Wenn ihr noch Fragen zum Thema Servicequalität oder Servicequalität verbessern habt, dann könnt ihr uns natürlich jederzeit unten in die Kommentare schreiben. Genauso wie irgendwelche Themenvorschläge für neue Folgen, für weitere Folgen mit Marilla oder auch gerne ganz andere Themen. Genau.

Wenn euch die Folge gefallen hat, lasst uns einen Daumen nach oben da oder eine Bewertung bei iTunes. Und dann würde ich sagen, bis zum nächsten Mal. Macht’s gut.

MARILLA BAX: Ciao.

Welche Idee steckt hinter der Multikommissionierung in der Lagerlogistik?

„Die Idee bei der Multikommissionierung ist auch da, eben solche Leerfahrten, Leerwege, egal ob jemand läuft oder eben fährt, zu vermeiden.“

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