ANDREA SPIEGEL: Ja, bevor wir gleich über das Thema Zahlen sprechen, würde mich interessieren, wie gehe ich damit um, wenn meine Mitarbeiter alles haben, was sie brauchen, sich regelmäßig austauschen, aber ein Kunde meinen Mitarbeiter unzufrieden macht? Der Kunde ist genervt, weil etwas zum dritten oder vierten Mal nicht funktioniert hat und ist sehr schlecht gelaunt. Was sage ich meinem Mitarbeiter, der dort sitzt und vielleicht impulsiv reagiert?
MARILLA BAX: Sprichst du über den Kunden oder den Mitarbeiter?
ANDREA SPIEGEL: Über den Mitarbeiter, was sage ich ihm?
MARILLA BAX: Zunächst einmal muss ich meinen Mitarbeiter immer unterstützen und ihm sagen, dass er einen guten Job gemacht hat. Wir sollten gemeinsam herausfinden, wie wir den Kunden beruhigen können, unabhängig von den Gründen des Konflikts.
Der Konflikt kann aus verschiedenen Gründen entstanden sein, auch tagesabhängig. Vielleicht hatte der Kunde einfach einen schlechten Tag, war im Stau, wurde bereits mehrmals angeschnauzt und dann funktioniert die Maschine nicht. Vielleicht hat er Schwierigkeiten, jemanden am Telefon zu erreichen, obwohl es sich für ihn so anfühlt, als hätte er bereits hunderte Male versucht, jemanden zu erreichen, obwohl es in Wirklichkeit nur das dritte Mal in zwei Jahren ist. Aber die Tagesverfassung spielt eine große Rolle. Es ist wichtig, dass Führungskräfte den Mitarbeiter zuerst einmal beruhigen und ihm versichern, dass alles in Ordnung ist, und dass der Kunde möglicherweise nur einen schlechten Tag hat. Es liegt nicht an ihm. Wir müssen uns also zunächst entspannen.
Wenn ein aufgebrachter Kunde auf den Mitarbeiter trifft und dieser bereits in einer Konfliktsituation ist, wird der Mitarbeiter kaum noch in der Lage sein, den Kunden zu beruhigen. Es kann sein, dass bereits im Vorfeld ein Konfliktgespräch stattgefunden hat, und in diesem Fall kann der Mitarbeiter gestärkt werden, indem er darüber spricht, was normalerweise zu Konflikten führt. Hierbei kommen wir auf das zurück, was wir bereits besprochen haben. Die Konfliktentstehung beginnt weit vorher. Es gibt äußere Faktoren, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, wie zum Beispiel schlechte Laune aufgrund eines schlechten Starts in den Tag, nicht verfügbare Lieblingsbrötchen oder fehlender Kaffee. Wenn die Maschine dann auch noch nicht funktioniert und der Kunde nicht sofort durchkommt, kann das zu weiteren Frustrationen führen.
Es ist wichtig, wie der Mitarbeiter in dieser Situation mit dem Kunden umgeht, auch in Bezug auf die Formulierung. Der Konflikt entsteht nicht automatisch, sondern erst, wenn der Kunde das Gefühl hat, dass er nicht gut behandelt wird. Eine negative Verstärkung kann bereits durch Worte wie “Leider kann ich Ihnen nicht helfen” ausgelöst werden, was in gewisser Weise bedeutet, “Das ist nicht mein Problem”. In diesem Fall ist der Konflikt vorprogrammiert.
ANDREA SPIEGEL: Dann wird der Kunde wahrscheinlich noch wütender, wenn sie Pech haben.
MARILLA BAX: Ja, genau. Die Eskalation wird verstärkt. Das ist typisch, und das passiert jedes Mal so. Deshalb ist es wichtig, dass ich dem Konflikt nicht bereits im Vorfeld Tür und Tor öffne, indem ich sage, “Leider kann ich Ihnen nicht helfen”. Stattdessen könnte ich sagen, “Das ist ein interessantes Problem. Ich habe einen Spezialisten, den ich konsultieren kann. Geben Sie mir bitte etwas Zeit, um das zu klären.” Selbst wenn ich nicht in der Lage bin, direkt zu helfen, kann ich immer noch darüber sprechen, wer in dieser Situation helfen kann. Ich konzentriere mich auf die Lösung. Es ist wichtig, wie ich in dieser Situation mit dem Kunden umgehe. Wenn ich weiß, dass am Telefon viel los ist und viele Kunden besetzt sind oder in einer Warteschleife stecken, kann ich den Kunden bereits am Telefon abholen, indem ich sage, “Danke, dass Sie so lange gewartet haben. Ich verstehe, dass es heute sehr beschäftigt ist.”
ANDREA SPIEGEL: Das zeigt Verständnis.
MARILLA BAX: Genau. Der Kunde weiß dann, dass er nicht der Einzige ist, der sich über die schlechte Erreichbarkeit beschwert, aber er hat bereits Raum geschaffen, um sich über die Situation zu ärgern, dass die Erreichbarkeit so schlecht ist. Das ist wichtig, denn ich kann bereits im Vorfeld die Kundenzufriedenheit beeinflussen, indem ich die aktuelle Erreichbarkeit über meine Telefonanlage beobachte und darauf reagiere.
Um Konflikten vorzubeugen, ist es wichtig, die Situation und den Kunden gut zu verstehen. Selbst wenn alles richtig gemacht wurde, kann es vorkommen, dass der Kunde dennoch explodiert. In solchen Fällen, in denen der Kunde möglicherweise viel Geld für den Service ausgegeben hat und die Maschine wiederholt Probleme aufweist, ist es für den Mitarbeiter schwer, die Situation zu retten. In solchen Momenten erwartet der Kunde oft eine höhere Aufmerksamkeit, entweder von der Führungskraft oder von einem Spezialisten, um über die Situation zu sprechen. Als Führungskraft muss ich den Kunden abholen und gemeinsam mit ihm an einer Lösung arbeiten.
Es ist wichtig zu verstehen, woher der Konflikt kommt, aber gleichzeitig schnell zur Lösung überzugehen, anstatt über die Ursachen und Gründe für das Scheitern zu diskutieren. Der Fokus sollte immer auf der Zukunft liegen, nicht zu sehr auf der Vergangenheit. Obwohl, “nicht zu sehr in der Vergangenheit” ist nicht ganz korrekt, denn ich muss den Kunden bereits in seiner aktuellen Situation abholen. Aber ich sollte darauf achten, Verständnis für sein Erlebnis oder seine Probleme zu zeigen. Ich verstehe, dass Sie frustriert sind, es tut mir leid. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, wie wir solche Situationen in Zukunft vermeiden können und wie wir uns verbessern können.
ANDREA SPIEGEL: Das könnte im Alltag sicherlich hilfreich sein. Man weiß es nie.
MARILLA BAX: Ich hoffe es. Es ist immer schwierig, wenn wir keine konkrete Situation vor Augen haben. Aber auf jeden Fall sollte man die Mitarbeiter stärken und ihnen die Souveränität vermitteln, angemessen zu reagieren. Wenn jedoch nichts mehr hilft, ist es wichtig, die nächste Eskalationsstufe zu erreichen. Diese Eskalationsstufen können in den Prozessen definiert werden, um festzulegen, was schief gehen kann. Hierbei stoße ich auf ein häufiges Problem: Missverständnisse bei Begrifflichkeiten auf Kundenseite und auch auf Service-Seite. Hier ist ein Tipp für alle, die zuhören.
Definieren Sie klar, was eine Reklamation ist und wie sie sich von einer Beschwerde unterscheidet. Eine Reklamation ist nicht zwangsläufig eine Beschwerde. Eine Reklamation bedeutet, dass etwas kaputt ist, was nicht kaputt sein sollte, oder dass eine Funktion fehlt und repariert werden muss. Hier kommen die Begriffe Gewährleistung und Garantie ins Spiel. Im Industrieumfeld haben wir selten Garantie, sondern fast immer Gewährleistung, die gesetzlich geregelt ist.
Viele Unternehmen sprechen jedoch fälschlicherweise von Garantien. Aber wir haben gar keine Garantie. Dann kommt jemand anderes und sagt, “Wir haben einen Wartungsvertrag, alles ist inklusive.” Ist das wirklich so? Es ist wichtig, die Begriffe klar zu definieren und zu verstehen, was sich hinter jedem Begriff verbirgt. Welche Leistung wird tatsächlich erbracht? Welche Begriffe verwenden wir? Vertriebsmitarbeiter verwenden oft den Begriff Garantie, obwohl wir in der Regel Gewährleistung haben. Es ist wichtig, dass der Service diese Begriffe korrekt verwendet, um dem Kunden nicht fälschlicherweise zu suggerieren, dass er eine Garantie hat, die wir tatsächlich nicht bieten.
ANDREA SPIEGEL: Das kann wiederum zu Konflikten oder anderen Problemen führen.
MARILLA BAX: Genau. Und auch unterschwellige Beschwerden werden oft nicht erkannt oder erfasst, was eine verpasste Gelegenheit ist, Dinge zu verbessern. Viele Unternehmen sagen uns, dass sie Probleme mit der Erreichbarkeit haben und daran arbeiten müssen. Aber woran machen sie das fest? “Die Kunden beschweren sich ständig”, sagen sie oft. Aber wie viele Kunden beschweren sich und wie oft? Oft stellt sich heraus, dass nur wenige wichtige Kunden beim Vertrieb über die schlechte Erreichbarkeit klagen. Dann ist es wichtig, Kennzahlen zu verwenden. Was sagt Ihre Telefonanlage über die Erreichbarkeit aus? Naja, die sagt 80 Prozent. Okay, ist 80 Prozent jetzt schlecht? Ja, kann man sagen, zum Callcenter ist 80 Prozent schlecht, aber für den Industriekunden ist 80 Prozent gut. Ja, das ist in Ordnung, da kann man mit arbeiten. Da kann es schon mal vorkommen, dass besetzt ist, aber das ist auch in Ordnung.
Dann kommt der nächste Trugschluss, dass viele glauben, ich kann nur mit der Erreichbarkeit Kundenzufriedenheit erreichen. Aber was ist denn Erreichbarkeit tatsächlich faktisch? Eigentlich kann ich Erreichbarkeit schon erreichen, wenn ich 20 Studenten mir einkaufe und sage, ihr geht jetzt bitte alle ans Telefon, dann bin ich erreichbar.
ANDREA SPIEGEL: Ja, aber es ist nicht unbedingt das, was der Kunde dann braucht.
MARILLA BAX: Das ist nicht das, was der Kunde braucht. Der Kunde will jemanden erreichen, der ihm helfen kann. Das heißt, ich brauche eine Erstlösungsquote, eine gute, neben einer Erreichbarkeit. Und dann ist er auch mal bereit, einen besetzt in Kauf zu nehmen, weil er weiß, wenn ich jemanden erreiche, dann wird mir auch gleich geholfen.
Das heißt, ich muss eigentlich, wenn wir auf Qualität gehen, viel mehr noch darauf schauen, wie schaffe ich es, dass diejenigen, die in der ersten Linie sind, so viel Wissen haben, dass sie eine möglichst hohe Erreichbarkeit und eine hohe Erstlösungsquote haben. Das gilt für Telefon mit Erreichbarkeit und beim Techniker vor Ort. Da ist es auch eine Erstlösungsquote, nämlich das Lösen bei der ersten Anfahrt, weil es ist ja nichts teurer, als zum gleichen Kunden noch mal fahren zu müssen für den gleichen Fall.
Ja, zumal wenn der Fehler bei uns liegt, weil der Techniker vielleicht nicht das Material oder nicht das richtige Material hatte oder nicht das richtige Wissen dabei hatte und nicht auf mobiles Wissen zugreifen kann. Also auch da entstehen viele Konflikte. Aber die Frage ist oder die Beschwerde, da muss man auf den Grund gehen und sagen, wann ist jetzt ein paar wenige, die sich beim Vertrieb beschweren? Und dem gegenüber muss ich schauen, wie ist denn eigentlich unsere Kennzahlenlage dazu? Und da stellt sich schon die Frage, wer hat eigentlich ein Service Cockpit mit den richtigen Kennzahlen, die etwas über seine Qualität sagen?